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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 14 · D onnerstag, 17. Januar 2019 – S eite 9 *<br />
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Berlin<br />
Fashion Week:<br />
So gut kann<br />
Nachhaltiges<br />
aussehen Seite 10<br />
Schule ade: Die Kündigung des „Volkslehrers“ ist rechtens Seite 11<br />
Enteignung passé: Ein Vertreter der Wirtschaft zum Wohnungsbau Seite 12<br />
Stadtbild<br />
Fast wie in<br />
Tübingen<br />
Frederik Bombosch<br />
hat auf der Zulassungsstelle<br />
ein Wunder erlebt.<br />
Man entwickelt in Berlin ja seine<br />
Techniken, um die alltäglichen<br />
Zumutungen gar nicht mehr als solche<br />
wahrzunehmen. Das Rennrad<br />
erklärt man zum Accessoire ander<br />
Wand im Flur –dann kann es auch<br />
nicht aus dem Keller geklaut werden.<br />
Soll das Kind in der Sandkiste hinterm<br />
Haus spielen, sucht man sie<br />
vorher gemeinsam nach Scherben<br />
ab –das ist ja auch eine schöne Konzentrationsübung.<br />
Beim Laufen hat<br />
man eh ein Auge auf dem Gehweg,<br />
die Gründe sind bekannt –und wer<br />
aufmerksam ist, wird mit erklecklichen<br />
Münzbeträgen belohnt. Boris<br />
Palmer hätte seine Freude dran,<br />
wäreerdenn fähig, sich zu freuen.<br />
Gleiches gilt bei Behördengängen.<br />
Kürzlich habe ich mir ein Auto<br />
gekauft. Dass ich in die Lüneburger<br />
Heide fahren musste,umesabzuholen<br />
–geschenkt. Die größere Hürde<br />
wartete danach, dachte ich jedenfalls.<br />
Ein Auto muss man zulassen,<br />
und in Berlin war das lange quasi unmöglich.<br />
MehrereWochen betrugen<br />
die Wartezeiten im vorigen Sommer.<br />
Der Verkäufer wusste das schon.<br />
„Ja, ja, Berlin“, sagte er,das seien ja Zustände.<br />
Ich überhörte die Häme und<br />
rief meine Mutter an. In ihrer Stadt in<br />
Schleswig-Holstein beträgt die Wartezeit<br />
bei der Zulassungsstelle unter<br />
zehn Minuten. Ein paar Briefe hinund<br />
herschicken, größer schien der<br />
Aufwand nicht. Undein „B“ am Auto<br />
zu haben, war mir noch nie wichtig.<br />
Aufruf pünktlich auf die Minute<br />
Dann schaute ich doch noch in die<br />
Online-Terminvergabe der <strong>Berliner</strong><br />
Zulassungsstelle –nur um mir zu bestätigen,<br />
dass hier zwar nichts klappt,<br />
aber dass man sich damit prima arrangieren<br />
kann. Zwei Klicks später geriet<br />
mein Bild der Stadt ins Wanken.<br />
An einem willkürlich gewählten Tag<br />
der folgendenWoche waren noch fast<br />
alle Termine frei. Ich hätte im Zehnminutentakt<br />
Autos zulassen können.<br />
Ich buchte den Termin und fühlte<br />
mich, als wäreich in Tübingen.<br />
Einpaar Tage später radelte ich in<br />
die Jüterboger Straße. Die abgeranzten<br />
Warteräume waren fast leer. Auf<br />
die Minute genau wurde meine Nummer<br />
aufgerufen. In einem tristen<br />
Großraumbüro empfing mich ein<br />
fröhlicher junger Mann, an den Tischen<br />
neben ihm saßen ebenso gut<br />
gelaunte Kollegen. Washier passiert<br />
sei, fragte ich ihn. Seit dem Sommer<br />
gebe es in seinem Team drei neue<br />
Mitarbeiter, sagte er. Schon liefe der<br />
Laden wieder. „Für uns ist das auch<br />
schöner, wenn wir nicht ständig mit<br />
genervten Kunden zu tun haben.“<br />
Nachfrage bei der Innenverwaltung:<br />
Wie lässt sich das Wunder von<br />
der Jüterboger Straße erklären? Man<br />
habe die Zahl der Beschäftigten 2018<br />
von202 auf 245 erhöht, lautet die Antwort.<br />
20 Prozent mehr Leute in einem<br />
Jahr,das ist eine gute Bilanz. Auch die<br />
Kfz-Innung ist zufrieden. Ihr Sprecher<br />
Anselm Lotz lobt die zuständige<br />
Staatssekretärin Sabine Smentek<br />
(SPD): „Sie hat sich dahinter geklemmt,<br />
und sie hat das hingekriegt.“<br />
An meinem Auto habe ich jetzt<br />
doch ein „B“, eigentlich gefällt es mir<br />
ganz gut. Undmein Fahrrad habe ich<br />
vorige Woche zum ersten Malnachts<br />
vor dem Haus stehen lassen. Am<br />
nächsten Morgen war es noch da.<br />
Vordem Abflug<br />
Wieein Schmetterling sieht der Pavillon des House of Oneander Leipziger<br />
Straße in Mitte nicht aus.Der ArchitektWilfried Kuehn nannte ihn<br />
so, weil der Bau mobil ist und Pavillon sich vom lateinischen Papilio,<br />
also Schmetterling, ableitet. Der leichtgewichtige Bau aus Holz und<br />
Kunststoff wirdnach LutherstadtWittenbergzurückgebracht, wo er bereits<br />
2017 für das House of One warb. AmMittwoch verabschiedeten<br />
Imam Kadir Sanci, Rabbiner Andreas Nachama und Pfarrer Gregor<br />
AfD contra Müller<br />
Rechtspopulisten verklagen den Regierenden: Er soll mit einem Tweet das Neutralitätsgebot verletzt haben<br />
VonElmar Schütze<br />
Michael Müller ist juristisch<br />
gesehen zwei Personen<br />
– mindestens:<br />
die sich gerne auch politisch<br />
äußernde Privatperson Michael<br />
Müller und die Amtsperson,<br />
nämlich der Regierende Bürgermeister<br />
vonBerlin. Als Privatperson darfer<br />
politische Wertungen abgeben, als<br />
Amtsperson darf eres–möglicherweise<br />
–nicht. Waserinwelcher Person<br />
darfund was nicht, darüber muss<br />
nun der <strong>Berliner</strong> Verfassungsgerichtshof,<br />
das höchste Gericht Berlins,<br />
befinden. Die AfD hat Feststellungsklage<br />
eingereicht. Am Mittwoch<br />
wurde der Fall verhandelt.<br />
15 000 gegen 5000<br />
Derkonkrete Fall geht zurück auf die<br />
Ereignisse vom 27. Mai vergangenen<br />
Jahres,einem Sonntag: DieAfD hatte<br />
zu der Demonstration unter dem<br />
Motto „Zukunft Deutschland – für<br />
Freiheit und Demokratie“ gerufen.<br />
Die Versammlungsbehörde zählte<br />
rund 5000 Leute,die sich am Hauptbahnhof<br />
versammelten und nach<br />
langen Verzögerungen Richtung<br />
Brandenburger Tor losliefen. Um<br />
15.15 Uhr beendete der Veranstalter<br />
den Aufzug offiziell.<br />
Der AfD stellten sich insgesamt –<br />
ebenfalls nach Angaben der Versammlungsbehörde<br />
– 15000 Leute<br />
entgegen: als Straßenparty unter dem<br />
Motto „AfD wegbassen“, zu Boot und<br />
Schiff bei einer Parade auf der Spree,<br />
oder zu Fußauf der anderen Seite des<br />
Hauptbahnhofs. Manche Gegenveranstaltung<br />
ging bis in den späten<br />
Abend.<br />
Das Wanka-Urteil: Im Februar 2018 entschied<br />
das Bundesverfassungsgericht, dass<br />
Johanna Wanka sagen dürfe, die AfD unterstütze<br />
Rechtsextreme und Volksverhetzer und<br />
leiste „der Radikalisierung der Gesellschaft“<br />
Vorschub.Das dürfe sie in Interviews und<br />
Talkshows sagen oder auf Parteiveranstaltungen–jedoch<br />
nur als Politikerin (der CDU) und<br />
nicht als Ministerin. Genau dies hatte Wanka<br />
jedoch drei Jahre zuvor als Bundesbildungsministerin<br />
auf der Homepageihres Ministeriums<br />
getan. Damit habe sie gegendie Verfassung<br />
verstoßen, erkannten die Karlsruher<br />
Richter.<br />
VORGESCHICHTEN<br />
Der Schwesig-Fall: Im August 2016, wenige<br />
Tage vorder Landtagswahl in Mecklenburg-<br />
Vorpommern, sagte Manuela Schwesig –damals<br />
Bundesfamilienministerin –über die<br />
AfD: „Aus Frauensicht ist die Partei nicht<br />
wählbar.“ Die Äußerung rief zwar Kritik hervor,<br />
blieb aber juristisch ungeahndet. Pikanterie<br />
am Rande: SPD-Mann Erwin Sellering<br />
gewann die Landtagswahl und blieb Ministerpräsident<br />
in Schwerin. Ein knappes Jahr später<br />
trat der Regierungschef vonMecklenburg-<br />
Vorpommernaus gesundheitlichen Gründen<br />
zurück. Seine Nachfolgerin: Manuela Schwesig<br />
(ebenfalls SPD).<br />
Vordiesem Hintergrund muss an<br />
jenem Sonntag im Roten Rathaus das<br />
dringende Bedürfnis entstanden<br />
sein, die Gegendemonstranten zu loben.<br />
Unter dem Account des Regierenden<br />
wurde gegen 17.30 Uhr–also<br />
rund zwei Stunden nach Ende der<br />
AfD-Demo –folgender Tweet abgesetzt:<br />
„Zehntausende in Berlin heute<br />
auf der Straße,vor dem Brandenburger<br />
Torund auf dem Wasser.Was für<br />
ein eindrucksvolles Signal für Demokratie<br />
und Freiheit, gegen Rassismus<br />
und menschenfeindliche Hetze.“<br />
Die genauen Zeitangaben, nämlich<br />
15.15 Uhr und 17.30 Uhr, sind<br />
möglicherweise wichtig, weil ein Regierungschef<br />
und jede andere Amtsperson<br />
nach gängiger Rechtsprechung<br />
(siehe Kasten) mit politischer<br />
Meinungsäußerung äußerst vorsichtig<br />
sein muss.Das gilt erst recht beim<br />
besonders sensiblen Fall politischer<br />
Kundgebungen auf der Straße.Wenn<br />
also eine Demo beendet ist, mag eine<br />
Parteinahme weniger problematisch<br />
sein, so der Tenor.<br />
Man sei sich der Verantwortung<br />
sehr bewusst gewesen, als man damals<br />
twitterte, sagte SenatssprecherinClaudia<br />
Sünder,die am Mittwoch<br />
zur Verhandlung im Kammergericht<br />
am KleistparkinSchönebergerschienen<br />
war. Sünder ist in der Behörde<br />
auch für die Social-Media-Aktivitäten<br />
zuständig –also auch für Twitter.<br />
An jenem Tag„hatten wir das Bedürfnis<br />
uns zu äußern. Schließlich<br />
war es zum ersten Malseitlanger Zeit,<br />
dass wieder so viele Leute für Demokratie<br />
und Freiheit, gegen Rassismus<br />
und menschenfeindliche Hetze auf<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
Hohberg(v.l.), die Repräsentanten der drei Religionen, deren Organisationen<br />
an dieser Stelle ein Bet- und Lehrhaus errichten, den Pavillon<br />
mit einem Friedensgebet. Die Vorbereitungen für das echte House of<br />
One beginnen. Ein Jahr sind für Gründungs- und Tiefbauarbeiten veranschlagt,<br />
70 über 30 Meter lange Betonpfeiler müssen in den sumpfigen<br />
Untergrund gebohrtwerden. Am 14. April2020 soll der Grundstein<br />
für den 43,5 Millionen Euro teuren Baugelegt werden. (juli.)<br />
die Straße gegangen waren“, erinnertesich<br />
Sünder nach derVerhandlung.<br />
DieAfD habe man nichtprovozieren<br />
wollen –„wir“, das seien im<br />
Übrigen Kathi Seefeld, die für die<br />
Linkspartei dem Sprecherteam im<br />
Roten Rathaus angehört, der Regierende<br />
Bürgermeister und sie selbst<br />
gewesen. Man habe die Köpfe über<br />
den Text gesteckt und dann quasi gemeinsam<br />
auf den Knopf gedrückt.<br />
Schützenswerte Opposition<br />
Wie auch immer; jedenfalls fühlte<br />
sich die AfD sehr wohl provoziertund<br />
bei den Schlüsselbegriffen angesprochen<br />
– man sei doch ebenfalls für<br />
Freiheit und Demokratie und gegen<br />
Rassismus und menschenfeindliche<br />
Hetze, führte der Abgeordnete und<br />
Rechtsanwalt Marc Vallendar aus.<br />
Dennoch sei man selber offenbar der<br />
Bezugspunkt, schließlich hätten alle<br />
anderen Demos an jenem Tagohne<br />
die AfD nicht stattgefunden.<br />
Der Regierende Bürgermeister<br />
müsse neutral und sachlich sein, alles<br />
anderesei schon wegen der aus Steuergeldern<br />
bezahlten Pressestelle unzulässig.<br />
„Die Opposition muss besonders<br />
geschützt sein“, sagteVallendar<br />
–mit Blick auf den in der ersten<br />
Reihe sitzenden Chef der Senatskanzlei,<br />
Christian Gaebler, und Senatssprecherin<br />
Sünder (beide SPD):<br />
„Kann ja mal sein, dass die AfD den<br />
Regierenden Bürgermeister stellt,<br />
dann wäredie SPD sicher froh um das<br />
Neutralität- und Sachlichkeitsgebot.“<br />
Wie das Verfassungsgericht den<br />
Fall sieht, wird man am 20. Februar<br />
wissen. Für diesen Tagkündigte Gerichtspräsidentin<br />
Sabine Schudoma<br />
das Urteil an.<br />
NACHRICHTEN<br />
Vergessene Akten betreffen<br />
25 000 frühere Patienten<br />
Dervon <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> und <strong>Berliner</strong><br />
Kurier publik gemachte Aktenfund<br />
in einem leer stehenden Gebäude<br />
des früheren Stasi-Krankenhauses<br />
in Buch betrifft Unterlagen<br />
vonrund 25 000 Menschen. Das<br />
sagte eine Sprecherin der Datenschutzbeauftragten<br />
Maja Smoltczyk<br />
am Mittwoch. „Ein solches Ausmaß<br />
vonAktenfunden ist selten“, sagte<br />
sie.Demnach handelt es sich um<br />
Unterlagen über Patienten und medizinische<br />
Behandlungen aus DDR-<br />
Zeiten, aber auch aus der Zeit nach<br />
Wende undWiedervereinigung. Man<br />
prüfe den Vorgang nun auf mögliche<br />
Verstöße gegen Datenschutzregeln.<br />
DieKlinikleitung habe mitgeteilt,<br />
dass sie die Betroffenen soweit möglich<br />
informieren wolle. (dpa)<br />
Lehrer profitieren von<br />
Brennpunkt-Zulage<br />
Vonder neuen Zulage für Lehrer an<br />
Brennpunktschulen profitieren etwa<br />
2300 Pädagogen an fast 60 Einrichtungen.<br />
Dasteilte Bildungsstaatssekretär<br />
Mark Rackles auf eine jüngst<br />
gestellte parlamentarische Anfrage<br />
der SPD hin mit. Senat und Abgeordnetenhaus<br />
hatten im Dezember beschlossen,<br />
Brennpunkt-Lehrern<br />
rückwirkend zum Schuljahresbeginn<br />
monatlich 300 Euro Zulage zu<br />
zahlen. Damit will Rot-Rot-Grün die<br />
besonders schwierige Arbeit der<br />
Lehrkräfte an diesen Schulen würdigen.<br />
Brennpunktschulen liegen in<br />
sieben der zwölf Bezirke, vorallem in<br />
Mitte,Neukölln und Friedrichshain-<br />
Kreuzberg. Siehaben einen besonders<br />
hohen Anteil vonKindern, die<br />
aus Hartz-IV-Familien stammen.<br />
Dortgibt es häufig mehr Probleme<br />
als an anderen Schulen. Dierückwirkend<br />
zum 1. August 2018 beschlossene<br />
Höherstufung betrifft laut Bildungsverwaltung<br />
auch rund 300 Erzieher<br />
an 32 Grundschulen. (dpa)<br />
Kurzschluss verantwortlich<br />
für Feuer am Alexanderplatz<br />
DieUrsache für den Brand im Zwischengeschoss<br />
des Bahnhofs Alexanderplatz<br />
am Dienstagabend ist geklärt.<br />
Nach Informationen der Polizeihat<br />
ein Kurzschluss in einer<br />
Maschine eines Serviceladens das<br />
Feuer ausgelöst. Beidem Brand, der<br />
gegen 18 Uhrunter Kontrolle war,<br />
wurden ein Ladeninhaber und ein<br />
Feuerwehrmann verletzt. Während<br />
der Löscharbeiten war der Bahnhof<br />
gesperrt. DieU-Bahn-Linien U8 und<br />
U2 fuhren zwischenzeitlich ohne<br />
Halt durch den Bahnhof Alexanderplatz,<br />
die U5 fuhr nur bis zum Bahnhof<br />
Frankfurter Allee.Tausende<br />
Menschen waren davon betroffen.<br />
DieFeuerwehr war mit 80 Beamten<br />
im Einsatz. (ls.)<br />
Dicker schwarzer Rauch stieg aus dem<br />
Zwischengeschoss des Bahnhofs. DPA