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Berliner Zeitung 17.01.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 14 · D onnerstag, 17. Januar 2019 – S eite 20 **<br />

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Sport<br />

Zu aufregend, um zu schlafen<br />

Ein Unentschieden gegen Frankreich löst bei der deutschen Handball-Nationalmannschaft Euphorie aus und lässt die körperlichen WM-Torturen vergessen<br />

VonBenedikt Paetzholdt<br />

Andreas Wolff hat seit Beginn<br />

dieser WM noch nie<br />

so wenig geschlafen wie in<br />

der letzten Nacht. „Ich<br />

habe erst so um vier Uhr die Augen<br />

zubekommen“, sagte der Torwart<br />

der deutschen Nationalmannschaft.<br />

Es sei durchaus normal, dass man<br />

während eines solchen Turniers mal<br />

bis ein oder zwei Uhr wach liegt.<br />

Aber selbst Zimmergenosse Jannik<br />

Kohlbacher, „der normalerweise in<br />

drei Sekunden einschläft und losschnarcht,<br />

als ob er Brasilien abholzen<br />

will“ hatte noch Gesprächsbedarf<br />

nach dem 25:25 gegen Frankreich<br />

wenige Stunden zuvor.<br />

Es waren keine schweren Gedanken,<br />

die Wolff und Kohlbacher mit<br />

sich herumschleppten. Natürlich<br />

haderten sie mit dem Ausgleichstreffer<br />

der Franzosen in der Schlusssekunde.<br />

Aber vor allem hielten Adrenalin<br />

und Glückshormone beide<br />

wach. Einen solchen Auftritt gegen<br />

den Weltmeister hinzulegen, euphorisierte<br />

Fans und Mannschaft gleichermaßen.„Jeder<br />

vonuns hat einen<br />

Eindruck, was es heißt, eine Heim-<br />

WM zu spielen“, schwärmte Wolff.<br />

Entscheidender Wendepunkt<br />

Der Dienstag war überhaupt ein<br />

ganz entscheidender Wendepunkt<br />

im Turnier. Dank Brasiliens Sieg gegen<br />

Russland und dem Punkt gegen<br />

Frankreich nimmt Deutschland<br />

wahrscheinlich drei Punkte mit in<br />

die Hauptrunde nach Köln. Und<br />

kann es sich im letzten Vorrunden-<br />

Gruppenspiel gegen Serbien am<br />

Donnerstag (18 Uhr) erlauben, noch<br />

mal zu experimentieren. So werden<br />

alle Spieler zum Einsatz kommen,<br />

um an den Abläufen zu feilen und einigen<br />

Dauerspielern mehr Pausen<br />

zu gönnen. Steffen Weinhold wird<br />

gar nicht auflaufen. Der Rückraumspieler<br />

hat sich die Adduktoren gezerrt,<br />

wird wohl vier bis fünf Tage<br />

aussetzen müssen. Kai Häfner stieß<br />

deshalb am Mittwoch zur Mannschaft.<br />

Ob er auch in den 16er-Kader<br />

berufen wird, hängt von Weinholds<br />

Genesung ab. Einmal mehr tritt der<br />

Fall ein, den Frankreichs ebenfalls<br />

angeschlagener Anführer Nikola Karabatic<br />

sarkastisch umschrieb: „Im<br />

Handball bekommst du frei, wenn<br />

du verletzt bist.“<br />

Eine WM ist stets auch ein harter<br />

Abnutzungskampf. Gute Titelchancen<br />

haben nicht nur die Teams mit<br />

dem vermeintlich besten Kader.Entscheidend<br />

ist auch, dass die Schlüsselspieler<br />

ohne größere Blessuren<br />

durch diese intensive Zeit kommen.<br />

Ein bitterer Moment, aber kein Stimmungskiller:Frankreich TimotheyN’Guessan erzielt in der Schlusssekunde den 25:25-Ausgleich.<br />

GRUPPE A GRUPPE B GRUPPE C<br />

Berlin<br />

Russland −Brasilien 23:25<br />

Korea −Serbien 29:31<br />

Deutschland −Frankreich 25:25<br />

1 Frankreich 4 115: 91 7: 1<br />

2 Deutschland 4 111: 87 6: 2<br />

3 Russland 4 109: 104 4: 4<br />

4 Brasilien 4 92: 103 4: 4<br />

5 Serbien 4 104: 115 3: 5<br />

6 Korea 4 98: 129 0: 8<br />

Nächste Spiele:<br />

Brasilien−Korea Do., 15.30<br />

Deutschland −Serbien Do., 18.00<br />

Frankreich−Russland Do., 20.30<br />

München<br />

Japan −Island 21:25<br />

Kroatien −Bahrain 32:20<br />

Mazedonien −Spanien 21:32<br />

1 Kroatien 4 129: 96 8: 0<br />

2 Spanien 4 123: 91 8: 0<br />

3 Island 4 113: 102 4: 4<br />

4 Mazedonien 4 109: 115 4: 4<br />

5 Japan 4 99: 124 0: 8<br />

6 Bahrain 4 84: 129 0: 8<br />

Nächste Spiele:<br />

Bahrain −Japan Do., 15.30<br />

Mazedonien −Island Do., 18.00<br />

Spanien−Kroatien Do., 20.30<br />

Herning<br />

Saudi-Arabien −Tunesien 20:24<br />

Norwegen −Chile 41:20<br />

Österreich −Dänemark 17:28<br />

1 Norwegen 4 149: 89 8: 0<br />

2 Dänemark 4 137: 77 8: 0<br />

3 Tunesien 4 106: 120 4: 4<br />

4 Österreich 4 94: 116 2: 6<br />

5 Chile 4 98: 140 2: 6<br />

6 Saudi-Arabien 4 85: 127 0: 8<br />

Nächste Spiele:<br />

Chile−Saudi-Arabien Do., 15.00<br />

Österreich −Tunesien Do., 17.30<br />

Dänemark−Norwegen Do., 20.15<br />

GRUPPE D<br />

IMAGO<br />

Kopenhagen<br />

Angola−Argentinien 26:33<br />

Ungarn−Ägypten 30:30<br />

Katar−Schweden 22:23<br />

1 Schweden 4 118: 81 8: 0<br />

2 Ungarn 4 121: 105 6: 2<br />

3 Ägypten 4 99: 105 3: 5<br />

4 Argentinien 4 94: 104 3: 5<br />

5 Katar 4 99: 102 2: 6<br />

6 Angola 4 93: 127 2: 6<br />

Nächste Spiele:<br />

Ägypten −Angola Do., 15.30<br />

Katar−Argentinien Do., 18.00<br />

Schweden−Ungarn Do., 20.30<br />

Maximal zehn Spiele in 19 Tagen<br />

sind selbst für durchtrainierte Körper<br />

eine Tortur.Soziemlich jeder leidet<br />

an einem Ziepen hier oder einem<br />

verhärteten Muskel da. Aber man hat<br />

sich eben damit arrangiert, die<br />

Zähne zusammenzubeißen. DHB-<br />

Mannschaftsarzt Kurt Steuer sagt:<br />

„Wenn man rein auf die Wissenschaft<br />

geht, kann es nicht funktionieren.<br />

Aber in der Realität muss es<br />

funktionieren.“<br />

Neben der Gewohnheit, in einem<br />

geschundenen Körper zu leben, im<br />

Schnitt fällt jeder Handballer pro<br />

Jahr 30 Tage verletzt aus,ist es vorallem<br />

auch die Mentalität, vielleicht<br />

sogar eine Spur Stolz, dass Handballer<br />

solche Torturen unaufgeregt wegstecken.<br />

Als Neuling Franz Semper<br />

wegen eines Erkältungsinfektes zu<br />

Turnierbeginn kurzzeitig das Bett<br />

hüten musste, sagte Torwart Silvio<br />

Heinevetter:„So ein bisschen Schüttelfrost<br />

ist kein Grund, nicht zu spielen.<br />

Und auch keine Ausrede wie in<br />

anderen Sportarten.“ Hinzu kommt<br />

in diesen Tagen natürlich das Aufputschmittel<br />

Heim-WM.<br />

Ähnlich wie 2016<br />

Die Unterstützung der stets ausverkauften<br />

Halle hilft dabei nicht nur,<br />

das Leid zu ertragen. Sie hilft auch<br />

dabei, den Teamgeist zu stärken. „Es<br />

ist gigantisch, weil wir es hinbekommen,<br />

die Partystimmung auf das<br />

Spielfeld zu übertragen“, sagt DHB-<br />

Vizepräsident BobHanning. DerDirigent<br />

des deutschen Handballs fühlt<br />

sich gar schon an 2016 erinnert, als<br />

die „Bad Boys“ Europameister wurden.<br />

„Ich habe es nur 2016 erlebt,<br />

dass wir so als Team aufgetreten<br />

sind. Wirhaben dieses Kribbeln wieder<br />

gehabt.“<br />

Und someint es der Turnierkalender<br />

gut mit den Deutschen. Gegen<br />

Serbien können sich die Deutschen<br />

noch mal volltanken mit guten<br />

Gefühlen für die dann bevorstehenden<br />

Hauptrundenspiele auf dem<br />

Wegzum Halbfinale. Mit den Erinnerungen<br />

an die Heim-WM 2007,<br />

wirdgewiss auch die an sich nervige<br />

Anreise nach Köln zum Stimmungs-<br />

Multiplikator. Wolff spricht über die<br />

dortige Halle nicht umsonst vom<br />

„Wohnzimmer“.<br />

MitSicherheit werden auch dann<br />

die Nächte kurz sein. Und das nicht<br />

wegen des Grübelns nach vertaner<br />

Chance.„Wir haben uns eingeredet,<br />

dass wir die Pechsträhne hinter uns<br />

lassen“, sagt Wolff. Seit dem Dienstag<br />

sind sie beim DHB durchweg<br />

überzeugt, dass die Euphorie noch<br />

eine Weile anhält. Da stören auch<br />

Wehwehchen nur marginal.<br />

Per Klick zum Verein<br />

Mit den Fanzonen in den vier WM-Standorten will der Deutsche Handball-Bund die oft propagierte Volksnähe greifbar machen<br />

VonCarolin Paul<br />

In der neuen Veranstaltungshalle<br />

neben der Arena am Ostbahnhof<br />

kommen gewöhnlich Musikfans ihrenLieblingen<br />

etwas näher als sonst<br />

in großen Sälen. In diesen WM-Tagen<br />

möchte der Handball als Branche<br />

noch greifbarer werden. In der<br />

ersten Etage des kürzlich erst errichteten<br />

Gebäudes wurde für die Tage<br />

des Turniers eine Fanzone errichtet.<br />

„Wir wollen nahbar sein. Das<br />

macht unseren Sport aus und das<br />

wollen wir auch vermitteln. Wirsind<br />

nicht diejenigen die vergöttert werden<br />

wollen“, formuliertAxel Kromer,<br />

Sportvorstand des deutschen Handballbundes,<br />

eines der Ziele dieser<br />

Weltmeisterschaft im eigenen Land.<br />

Gerne wurde dahingehend der Vergleich<br />

zum Fußball gezogen, nicht<br />

zuletzt weil sich Verbands-Vizepräsident<br />

Bob Hanning eine Spitze gegen<br />

Franck Ribéry erlaubte: „Wir<br />

wollen kein goldenes Steak essen.“<br />

Der Wirbel um den Mittelfeldspieler<br />

des FC Bayern München kam<br />

dabei gerade recht, um etwas Aufmerksamkeit<br />

auf den Handball zu<br />

lenken. Gerne nutzte man die<br />

Chance sich als bescheidene Alternative<br />

zum Fußball zu verkaufen.<br />

Und sosagte Füchse- und Nationaltorhüter<br />

Silvio Heinevetter:<br />

„Wir sind eher bodenständige Typen.<br />

Das liegt schon daran, dass<br />

wir weitaus weniger verdienen.“<br />

Doch es gibt einen Widerspruch.<br />

Der Handball verkauft sich zwar<br />

gerne als der Sportzum Anfassen, allerdings<br />

hat man es in den letzten<br />

Jahren versäumt, sich medienwirksam<br />

zu vermarkten. Trotz des gewonnenen<br />

WM-Titels 2007 und der<br />

erfolgreichen Europameisterschaft<br />

2016 lebt Handball noch<br />

immer in einer Nische.Das<br />

soll sich in diesem Jahr mit<br />

der Heim-WM endlich ändern.<br />

Ein Mittel, um die Begeisterung<br />

zu steigern,<br />

sind eben diese Fanzones,<br />

die an allen vier deutschen<br />

Vorkämpfer:<br />

Bob Hanning<br />

gen. Beim Torwand-Werfen angefangen,<br />

kann die eigene<br />

Geschicklichkeit getestet oder die<br />

Wurfgeschwindigkeit gemessen werden.<br />

Zusätzlich gibt es Fotoboxen,<br />

in denen der Besucher<br />

virtuell mit den<br />

Spielern posieren kann.<br />

Maskottchen Stan steht<br />

ebenfalls bereit für eine<br />

Aufnahme.<br />

DPA/STACHE<br />

Im Sinne der Nachhaltigkeit<br />

findet sich hier auch<br />

ein Vereinsfinder, andem<br />

sich Interessierte Handball-Vereine<br />

in ihrer Umgebung<br />

heraussuchen und bei Bedarf<br />

direkt kontaktieren können.<br />

Doch damit nicht genug. Für die<br />

ganz Kleinen wurde eine Mini-WM<br />

ins Leben gerufen. An den Spielta-<br />

Austragungsorten Berlin,<br />

München, Köln und HamburgAnlaufpunkt<br />

sein sollen.<br />

Neben der Möglichkeit die<br />

Spiele via Public Viewing zu verfolgen,<br />

wird auf den 1540 Quadratmetern<br />

in Berlin außerdem ein Programm<br />

geboten, um sich zu vergnügen<br />

treten hier Grundschulklassen<br />

für die verschiedenen Nationen an<br />

und tragen im Kleinformat ein<br />

Handball-Turnier aus. Da schaute<br />

dann auch schon mal Handball-<br />

Ikone Stefan Kretzschmar vorbei,<br />

um den Sieger zu küren.<br />

Die <strong>Berliner</strong> WM-Botschafter<br />

Torsten Mattuschka und Andreas<br />

„Zecke“ Neuendorfgelten ja auch als<br />

volksnah. Am Dienstag besuchten<br />

die beiden einstigen Fußballer die<br />

Fanzone und probierten sich an den<br />

einzelnen Stationen aus. Die Spiele<br />

entwickelten sich dabei schnell zum<br />

Duell zwischen Hertha (Neuendorf)<br />

und Union (Mattuschka), auch wenn<br />

schnell ersichtlich wurde,dass beide<br />

mit dem Ball am Fuß besser agieren<br />

als in der Hand. „Seit dem ich fünf<br />

oder sechs bin, habe ich Fußball gespielt<br />

und das hat sich dann nicht<br />

mehr geändert“, gab Mattuschka zu<br />

seiner Entschuldigung an und schob<br />

respektvoll hinterher: „Gegenüber<br />

Handball ist Fußball ja wie Mickey<br />

Mouse.“ Sein Gegenüber Neuendorf<br />

konnte da nur zustimmen, so viel<br />

Körperkontakt gäbe es beim Fußball<br />

nicht. Stolz auf seinen Posten ist er<br />

aber allemal: „Es ist schön als Repräsentant<br />

für Berlin und alle für alle<br />

Sportvereine hier zu fungieren. Bei<br />

den vollen Hallen haben wir anscheinend<br />

keinen so schlechten Job<br />

gemacht.“<br />

Ob es nun an den beiden liegt, sei<br />

mal dahin gestellt, allerdings ist zu<br />

verbuchen, dass die Stimmung in<br />

der Fanzone als auch in der Arena<br />

über den Erwartungen liegt, die ohnehin<br />

schon hoch waren.

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