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Berliner Zeitung 19.01.2019

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10 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 16 · 1 9./20. Januar 2019<br />

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Berlin<br />

Harmsens Berlin<br />

Der Mond ist<br />

ein <strong>Berliner</strong><br />

Torsten Harmsen<br />

hat ein Exklusiv-Interview<br />

mit dem Erdtrabanten<br />

geführt.<br />

Esist wieder große Aufregung um<br />

den Mond. Wegen der Mondfinsternis<br />

am Montag. Was aber bisher<br />

kaum jemand weiß: Der Mond ist in<br />

Wirklichkeit ein <strong>Berliner</strong>, zumindest<br />

ehrenhalber. Die erste Mondrakete<br />

startete 1929 in der Nähe von Berlin,<br />

in den Ufa-Studios in Babelsberg. Angeblich<br />

soll nur ein Stummfilm gedreht<br />

worden sein, die „Frau im<br />

Mond“. Man hatte dafür allerdings<br />

den Raketenpionier Hermann<br />

Oberth engagiert, offiziell als Berater.<br />

Vielleicht ist damals wirklich eine Rakete<br />

losgeflogen. Sagte nicht auch<br />

US-Präsident Kennedy, der den Auftrag<br />

gegeben hatte,Leute zum Mond<br />

zu schicken:„Ich bin ein <strong>Berliner</strong>“?<br />

Alles Quatsch? Abwarten! Wir haben<br />

jetzt endlich ein Exklusiv-Interview<br />

mit dem Mond bekommen. Und<br />

drei Maldarfste raten, wie unser Erdtrabant<br />

spricht. Hier derWortlaut:<br />

RAED SALEH (SPD)<br />

Facebook (privat): nicht sichtbar<br />

Facebook (Fan): 4526 Abonnenten<br />

Instagram: 1311 Abonnenten<br />

Twitter: 737 Follower, 85 Tweets<br />

Bei Twitter zurückhaltend: 85 Tweets,<br />

das zwitschernmanche täglich. Boris<br />

Palmer solle mal „die Klappe halten“ ist<br />

sein flapsigster Tweet der jüngsten Zeit.<br />

Bei Facebook nahbar:ein Schulbesuch<br />

hier,ein Stammtischgespräch da.<br />

Fazit: Gut aufgestellt, jetzt noch mehr<br />

Debattenstoff, bitte!<br />

SILKE GEBEL (GRÜNE)<br />

Facebook (privat): nicht sichtbar<br />

Facebook (Fan): 560 Abonnenten<br />

Instagram: 566 Abonnenten<br />

Twitter: 3129 Follower, 11 700 Tweets<br />

Social-Media-Fan, seit den ersten Facebook-Tagendabei.<br />

Beteiligt sich an Twitterdebatten,<br />

postet bei Instagram Fotos,<br />

die zeigen, wie Politik und Mutterrolle<br />

vereinbartwerden können. Die einzige,<br />

die Kinderfotos (nie vonvorn!) zeigt.<br />

Fazit: Profi. Es menschelt. Und man<br />

erfährtetwas.<br />

ANTJE KAPEK (GRÜNE)<br />

Facebook (Fan-Page): 3603<br />

Instagram: 987 Abonnenten<br />

Twitter: 4566 Follower, 8632 Tweets<br />

Retweet-Expertin bei Twitter,Selfie-Fan<br />

bei Instagram. Bei Facebook dokumentiertKapek<br />

nur noch ihre politische Arbeit.<br />

Das private Profil hat sie abgeschaltet,<br />

nachdem viele persönliche Daten<br />

vonPolitikernimNetz veröffentlicht<br />

wurden.<br />

Fazit: Mehr eigene Tweets würden das<br />

Profil persönlicher machen.<br />

MICHAEL MÜLLER (SPD)<br />

Facebook (Fan-Seite Partei): 11 724<br />

Abonnenten<br />

Facebook (Fan-Seite Senatskanzlei):<br />

6723 Abonnenten<br />

Instagram: 1960 Abonnenten<br />

Twitter: 7412 Follower, 4417 Tweets<br />

Soll Müller selbst twitternund posten?<br />

Das wäre zwar begrüßenswert,aber die<br />

Klageder AfD zeigt auch, dass sich Müller<br />

in seiner Funktion in den Netzwerken<br />

auf dünnem Eis lebt.<br />

Fazit: Ab und zu eigene Tweets mit Kürzel<br />

–das sollte drin sein.<br />

DPA (5), RBB, IMAGO (3)<br />

Hallo Mond, wie geht’s denn so?<br />

Da frachste wat! Wie sollt’n jehn,<br />

wenn de uff eene Seite bei 130 Grad<br />

schwitzt und uff die andere Seite bei<br />

minus 160 Grad bibberst. Da weeßste<br />

nie: Soll ick jetz’n Pullover anziehn<br />

oder mir nackich in de Milchstraße<br />

schmeißen? Und denn die Krater-<br />

Akne! Überall Löcher und Beulen!<br />

Der Mond ist<br />

unzufrieden.<br />

DPA/ESA/NASA<br />

Ich habe gehört,<br />

Sie werden jetzt<br />

wieder rot?<br />

Watwerd ick?<br />

Rot? Wersacht’n<br />

so wat? Ick bleib<br />

vornehm blass,<br />

wie immer. Die<br />

Krater-Akne und<br />

denn noch rot werden, dit würde ja<br />

furchtbar aussehen.<br />

Na,ich meine wegen der bevorstehenden<br />

Mondfinsternis. Da färben Siesich<br />

doch so super blutrot.<br />

Ach, tu ick dit? Ickgloobe nich. Bei<br />

mir is et ja dunkel. Ickfreumajedenfalls<br />

schon uff die bevorstehende<br />

Sonnenfinsternis.Dit haste ooch nich<br />

alle Tare, det die kitschije blaue Kurel<br />

über mir sich vor die blöde Sonne<br />

schiebt, dit eitle Ding. Ick werd dit<br />

Schauspiel jedenfalls jenießen.<br />

In diesem Jahr ist ein großes Jubiläum.<br />

Vor 50Jahren landeten Menschen<br />

auf Ihnen. Erinnern Siesich an<br />

die Ankunft vonApollo 11?<br />

Apollo wat? Ickweeß nich, wie dit<br />

janzeZeuch heißt, wat da uff mir uffjeknallt<br />

oder jelandet is. Dit hat vor<br />

einijer Zeit mal bejonnen. Ickbin seitdem<br />

schon viele Male mit die blaue<br />

Kurel umdie Sonne jereist. Un ick<br />

kann dir saren: Et is unanjenehm.<br />

Wasist unangenehm?<br />

Na,ick hatte ja lange Zeit een bisschen<br />

Ruhe jehabt. Ickdachte, det dit<br />

Bombardemang von die hässlichen<br />

Steinbrocken aus’m Allendlich vorbei<br />

is –von wejen Krater-Akne.Denn jing<br />

dit plötzlich los.Erst schlug een Ding<br />

ein, denn det andere. Ick hab mal<br />

nachjezählt: Jut zwanzich Mal isso<br />

een Blechdings bei mir uffjeschlaren,<br />

rumms –kaputt, acht Maliswat jelandet,<br />

hat ’ne Weile jepiepst und liecht<br />

jetz da rum. Sechs Malsind komische<br />

Typen uff mir jehopst.Watdie jesucht<br />

ham, weeß ick nich. Und denn jib’s<br />

noch diese seltsamen Karren.<br />

Mondrover.<br />

Wieooch imma.Vieredavon stehn<br />

hier rum. Zusammjefriemelt mit Joldfolie<br />

und Lenkerband. Hässlich. Und<br />

total nutzlos. Jerade kam wieder een<br />

neuet, aus China oder so.<br />

Mmh, klingt nicht sehr begeistert, lieber<br />

Mond. Wir danken jedenfalls für<br />

das Interview.<br />

Nischt für unjut. Aber holt endlich<br />

mal den janzen Schrott hier ab! Mal<br />

sehn, ob ihr dit schafft.<br />

Antje Kapek reicht es.Nachdem<br />

ein Hacker Anfang<br />

des Monats Tausende private<br />

Daten von Politikern<br />

ins Netz stellte, hat auch sie ihr persönliches<br />

Profil bei Facebook gelöscht.<br />

„Es gab dort zuviele private<br />

Fotos und Korrespondenzen. Das<br />

war mir zu unsicher“, sagt die Fraktionsvorsitzende<br />

der Grünen. Es habe<br />

sich Privates mit Politik vermischt,<br />

und das sei jetzt vorbei. Kapek betreibt<br />

bei Facebook lediglich noch<br />

eine Fanseite –also eine Seite,auf<br />

der sie ihrepolitische Arbeit präsentiert,<br />

aber Persönliches findet<br />

sich dortnicht mehr.<br />

Der massive Datendiebstahl<br />

bei rund tausend Politikern<br />

zum Jahreswechsel hat<br />

viele verunsichert und geschockt.<br />

Allen voran: Robert<br />

Habeck, grüner Fraktionsvorsitzender<br />

im Bund, war<br />

von dem Hack besonders<br />

betroffen. Private Chat-<br />

Nachrichten mit seiner Familie<br />

tauchten im Internet<br />

auf. Habeck hatte zudem<br />

wegen einer missglückten<br />

Formulierung in einem Video<br />

im Vorfeld des Landtagswahlkampfes<br />

in Thüringen einen<br />

Shitstormgeerntet.<br />

Robert Habeck hat Konsequenzen<br />

gezogen, er löschte seinen<br />

Twitter- und Facebook-Account.<br />

DerWochenzeitung Zeit sagte<br />

er,dass man Twitter nicht mit digitaler<br />

Demokratie gleichsetzen könne.<br />

Seiner resoluten Löschaktion folgte<br />

ein Aufschrei im Netz: ein moderner,<br />

nahbarer Grünen-Politiker, der sich<br />

den sozialen Netzwerken entzieht?<br />

Gibt’s denn das? Darf der das? Kann<br />

der das überhaupt?<br />

DerDruck wirdgrößer<br />

„Absolut menschlich und nachvollziehbar“,<br />

findet Kapek den Schritt<br />

ihres Parteikollegen, „wenn das meiner<br />

Familie passiert wäre, ich hätte<br />

vermutlich auch so reagiert“, sagt<br />

sie. Hier sei eine Grenze überschritten<br />

worden.<br />

Die Trennung von Beruf und Privatem,<br />

das klingt gut, das klingt so logisch<br />

wie Mülltrennung, doch ist in<br />

der Praxis gar nicht so leicht. Vorallem<br />

für Politiker nicht. Ob ein Kinderfoto<br />

den Weg ins Netz findet,<br />

kann man steuern –aber wo fängt<br />

das Private eigentlich an?<br />

Grünen-Frau Kapek stört vor allen<br />

die Erwartungshaltung einiger<br />

Menschen, dass Politiker immer und<br />

überall erreichbar sein müssen.<br />

„Wenn ich nicht sofort reagiere, weil<br />

ich zum Beispiel am Sonntag mit<br />

meinen Kindern im Schwimmbad<br />

bin, wird mir unterstellt, dass ich<br />

mich wegducke“, erzählt sie.Der Respektvor<br />

dem Privaten entfalle komplett.<br />

„Und je mehr man online ist,<br />

desto stärker wird der Druck. Das<br />

Alle<br />

drin?<br />

Muss man als Politiker bei Facebook<br />

und Twitter sein? Die <strong>Berliner</strong> Fraktionsvorsitzenden<br />

und Senatschef Michael Müller erzählen,<br />

wie sich Privates und Politik oft vermischen<br />

empfinde ich als hochgradig belastend“,<br />

erklärtsie.<br />

Diesen Widerspruch kennen<br />

wahrscheinlich viele Nutzer: Es<br />

stört, es nervt, es belastet und trotzdem<br />

schaut man ständig auf das<br />

Display. Es blinkt, es pusht, es<br />

summt, es klingelt. Widerstand<br />

zwecklos. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts<br />

YouGov-<br />

Umfrage ergab, dass jeder dritte<br />

Smartphone-Nutzer in Deutschland<br />

seine eigene Zeit am Handy als<br />

zu lang empfindet.<br />

Immer häufiger ist davon die<br />

Rede, dass sich latent überforderte<br />

Nutzer öfter mal selbst eine zumindest<br />

zeitweise Abstinenz bei den Sozialen<br />

Medien auferlegen sollten.<br />

Die Branche spricht von Digital Detox,<br />

digitaler Entgiftung also.<br />

Bei Politikern –und nicht nur ihnen<br />

–sieht der Alltag dagegen ganz<br />

anders aus. „Mindestens ein Mal in<br />

der Stunde, eher mehr“ – so oft<br />

schaut Kapek aufs Telefon. Auch im<br />

Urlaub,klar.<br />

VonMelanie Reinsch<br />

„Ich bin erstaunt<br />

und eher betroffen,<br />

wie harsch und<br />

unsachlich in den<br />

sozialen Medien<br />

Kritik geäußert<br />

wird. Es scheint,<br />

als bewirkt das<br />

Fehlen des direkten<br />

Gegenübers,<br />

dass alle Grenzen<br />

fallen.“<br />

Michael Müller (SPD)<br />

Regierender Bürgermeister von Berlin<br />

Und auch Silke Gebel, Kapeks<br />

Kollegin als Fraktionschefin der Grünen,<br />

weiß, dass das Private auch immer<br />

politisch ist. Das könne man<br />

nicht sauber voneinander trennen.<br />

Sie musste sich der Frage stellen, ob<br />

man als Politikerin auch „mal etwas<br />

Belangloses“ posten dürfe. „Das<br />

kannst du jetzt in dieser Funktion<br />

nicht mehr“, sagte man ihr.<br />

Aber warum denn nicht? Auf Instagram<br />

gibt es bei Silke Gebel deswegen<br />

auch mal das obligatorische<br />

Mittagessen-Foto (#foodporn) zu sehen.<br />

„Hmmmmm. Lecker rote<br />

Beete.“ Kinderbilder auch, „aber nie<br />

von vorn“, sagt sie. Ihr kleiner Sohn<br />

begleitet sie –zur Pressstelle oder ins<br />

Plenum, wo er gern rumgereicht<br />

wird. Vereinbarkeit Mutterrolle und<br />

Politikerin? Gebel zeigt auf Instagram,<br />

wie es geht, und kann damit<br />

vielleicht auch Vorbild sein. Zu privat?<br />

Oder doch schon Politik?<br />

Auf Twitter steigt Gebel dagegen<br />

in politische Diskussionen ein, mehr<br />

als 11 700 Tweets zeugen davon.<br />

„Man darf das Feld nicht den anderen<br />

überlassen“, findet die Politikerin,<br />

die schon mehr als zwölf Jahre<br />

bei Facebook ist und damit wohl zu<br />

den Social-Media-Urgesteinen im<br />

Abgeordnetenhaus zählt.<br />

Auch CDU-Fraktionschef BurkardDregger<br />

checkt seine Nachrichten<br />

und sozialen Netzwerke auch im<br />

Urlaub. Das gehöre dazu. Auch zu<br />

Hause: abends auf dem Sofa mit seinen<br />

drei Kindern – 14, 17 und 18<br />

Jahre. Alle haben ein Handy,alle lesen,<br />

posten, checken. Nicht immer<br />

kann sich Dregger durchsetzen,<br />

seine Kinder davon zu<br />

überzeugen, das Handy auch<br />

mal wegzulegen. Auf keinen<br />

Fall wolle er ihnen den Gebrauch<br />

verbieten, schließlich<br />

informieren seine Kinder<br />

sich dabei auch über Politik<br />

und stellen auch Fragen<br />

dazu. „Deswegen kann<br />

ich das nicht kritisieren“, so<br />

Dregger.<br />

Deswegen findet der<br />

CDU-Mann Habecks Rückzug<br />

aus dem Digitalen „kindisch“.<br />

„Debatten finden<br />

heute nicht mehr nur im Plenarsaal<br />

statt“, sagt er. Und da<br />

will Dregger als Vorsitzender<br />

der größten Oppositionsfraktion<br />

mitmischen, gegenhalten, diskutieren<br />

–etwa, „wenn wieder gegen<br />

Merkel gebasht“ oder„faktenfrei diskutiert“<br />

werde. Nur sokönne man<br />

auch Leute zurückgewinnen, hofft<br />

er.Wen? Die, die man an die AfD verloren<br />

habe.<br />

Für Dregger ist aber klar:„Privates<br />

wird nicht gepostet.“ Zudem sei er<br />

im Netz vorsichtig, halte seine Sicherheitsstandards<br />

stets auf dem<br />

neuesten Stand. Schließlich habe es<br />

immer wieder Angriffe auf seinen<br />

E-Mail-Account gegeben.<br />

Saleh war vonHack betroffen<br />

Politiker,Familienmensch, Sozialdemokrat,<br />

Stadtrandler, Hauptstädter,<br />

Spandauer, Arbeiterkind – so beschreibt<br />

sich der SPD-Fraktionsvorsitzende<br />

Raed Saleh bei Twitter. Im<br />

analogen Leben sieht man ihn selten<br />

ohne Smartphone –amOhr oder mit<br />

den Fingern scrollend auf dem Display.<br />

Nach wenigen Klingeltönen<br />

geht er meist schon ans Telefon.<br />

Als einziger Fraktionschef hat Saleh<br />

einen eigenen Podcast. Sechs<br />

Folgen gibt es schon. DerSpandauer<br />

spricht dabei schon mal mit einem<br />

Rabbiner, einer Journalistin aus Tel<br />

Aviv oder einem Filmemacher. Die<br />

sozialen Netzwerke löschen? Aufkeinen<br />

Fall, sagt er. Dabei war Saleh<br />

selbst vom jüngsten Datenskandal<br />

betroffen – seine Handynummer<br />

wurde öffentlich. Geänderthat er sie<br />

trotzdem nicht. Auch derSPD-Mann<br />

hält sich an eine goldene Regel: Niemals<br />

Privates öffentlich machen.<br />

Kinderfotos im Netz? Niemals!

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