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Berliner Zeitung 19.01.2019

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20 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 16 · 1 9./20. Januar 2019<br />

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Berlin bewegt sich<br />

Turnen<br />

hoch zu Roß<br />

Voltigieren ist hauptsächlich<br />

ein Kinder-und Jugendsport. Unsere Autorin<br />

hat es trotzdem versucht und fühlte sich frei<br />

wie lange nicht<br />

VonSarah Pepin<br />

Akrobatik auf dem Pferd: Lila und Jannes üben den „Schulterflieger“. Chatman nimmt es gelassen hin. BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER (2)<br />

Dies ist eigentlich kein Ort,<br />

an dem man in der kalten<br />

Jahreszeit intuitiv einen<br />

Montagabend verbringen<br />

würde. Esist kalt und windig,<br />

ich bin mitten im Grunewald, in<br />

einem Reitstall. Katzen huschen<br />

durch die Dunkelheit, die Temperatur<br />

ist die gleiche wie draußen, nur<br />

weniger Wind. Heute Abend trainierenhier<br />

zwei Voltigiergruppen. Voltigieren,<br />

das bedeutet, akrobatische<br />

und turnerische Übungen auf einem<br />

galoppierenden Pferd machen –alleine,zuzweit<br />

oder maximal zu dritt.<br />

Dabei läuft das Pferd ander Longe,<br />

also um die Trainerin im Kreis.<br />

DerUrsprung dieser Sportartliegt<br />

in der Kavallerie. Soldaten sollten<br />

hiermit ihreKraft, Ausdauer und Geschicklichkeit<br />

schulen. Aber sogar in<br />

der Antike soll es schon Menschen<br />

gegeben haben, die auf ihren Pferden<br />

standen.<br />

Training zweimal in der Woche<br />

Modernes Voltigieren gibt es in der<br />

heutigen Form seit der Nachkriegszeit.<br />

Eine recht junge Sportart also,<br />

deren Regeln sich seither ständig weiterentwickelt<br />

haben. Es finden Weltund<br />

Europameisterschaften statt, nur<br />

bei den Olympischen Spielen ist das<br />

Voltigieren nicht vertreten. Das liegt<br />

daran, dass es vor allem ein Kinderund<br />

Jugendsport ist. Wer voltigiert,<br />

braucht nicht nur Beweglichkeit,<br />

Kraft und Körpergefühl, sondern<br />

auch reichlich Koordination. Ich<br />

kann reiten und bin Pferde gewohnt,<br />

aber bis auf eine Voltigierschnupperstunde<br />

in den Reitferien vor fast 20<br />

Jahren und minimale Turnerfahrung<br />

als Kind habe ich nur mittelmäßigen<br />

Mutvorzuweisen.<br />

Jutta Breddermann, die Voltigier-<br />

Verantwortliche des Reitclubs, führt<br />

SERVICE<br />

Eine Vereinsmitgliedschaft ist meist die Voraussetzung,umanVoltigierkursen teilnehmen zu<br />

dürfen. Dabei wird oft eine Aufnahmegebühr fällig,hinzu kommt ein jährlicher Mitgliedsbeitrag.Schnupperstunden<br />

sind oft möglich. Eine Liste der vielen Vereine in Berlin und Brandenburg<br />

gibt es beim Verband unter:voltigieren-bb.de/vereine<br />

Der Reitclub Grunewald (Hüttenweg 92, Tel.: 0172/323 97 18) bietet Kurse für Anfänger<br />

und Fortgeschrittene an. Übungsgruppe 41 Euro monatlich, Leistungsgruppe 46 Euro.<br />

Beim Frohnauer Reitclub e. V. (Am Poloplatz 9, Tel. :0179/696 55 29) sind Probestunden<br />

für fünf Euro möglich. Es gibt vier Gruppen vomAnfänger- bis zum Turnierniveau.<br />

Der BSV AdW (Bruno-Bürgel-Weg 151, Tel.: 030/767 77 77 98) bietet Kurse für Anfänger<br />

und Fortgeschrittene. Ansprechpartner für den Voltigierbereich ist Tina Müller.<br />

Der Reitverein Kleeblatt (Märchenweg 1) verfügt über vier Voltigiergruppen. Monatliche<br />

Schnupperkurse möglich. Kontaktaufnahme per Mail: info@reitverein-kleeblatt-berlin.de<br />

Unsere Autorin im Galopp auf dem Voltigierpferd<br />

durch den Stall. Für sie ist das familiäres<br />

Terrain, denn ihr Vater hat diesen<br />

Verein vormehr als 50 Jahren gegründet.<br />

Unser Ziel ist Chatmans Box.<br />

Chatman, ein brauner, 1,75 Meter<br />

großer und elfjähriger Brandenburger,<br />

ist eines der vier Voltigierpferde<br />

des Vereins. Unsere Gruppe wird an<br />

diesem Abend auf ihm trainieren.<br />

Zwischen den Boxen wird er erst<br />

noch gestriegelt, bekommt Gamaschen<br />

und Trense angelegt, dann<br />

wirdihm ein großer weißer Voltigiergurtaufgesetzt.<br />

DieAusbildung zum<br />

Voltigierpferd ist langwierig, die<br />

Tieremüssen an die Turner gewöhnt<br />

werden –und an den lauten Trubel<br />

bei den Turnieren.<br />

Um ihn herum steht die Gruppe,<br />

davon vier Mädchen und ein Junge,<br />

alle zwischen 13 und 22 Jahre alt.<br />

Dieses Jahr sind sie von der Leistungsklasse<br />

Azur Leistungsklasse L<br />

aufgestiegen –das Lsteht zwar für<br />

„Leicht“, bedeutet aber dennoch ein<br />

weit fortgeschrittenes Niveau. Die<br />

Gruppe trainiertzweimal in der Woche<br />

in der Reithalle, einmal wöchentlich<br />

ist Turntraining; daneben<br />

starten sie regelmäßig bei Turnieren.<br />

Anja Christmann, die Trainerin<br />

der Gruppe,bindet Chatman los,wir<br />

machen uns auf den Wegindie Reithalle.Das<br />

Pferdschnauft durch seine<br />

Nüstern, Dampf steigt auf. „Ich habe<br />

mit fünf Jahren angefangen zu voltigieren.<br />

Mittlerweile sind wir eine regelrechte<br />

Volti-Familie, meine Kinder<br />

voltigieren ebenfalls hier“, erzählt<br />

Anja, während wir mit Chatman<br />

unsereAufwärm-Runden in der<br />

Halle drehen. Diemeisten Voltigierer<br />

fangen im Alter von etwa sieben bis<br />

acht Jahren an, es gibt aber auch<br />

Quereinsteiger zwischen zwölf und<br />

fünfzehn, die aus anderen Sportarten<br />

kommen. Anja nimmt Chatman<br />

an die Longe,soheißt das lange Seil,<br />

an dem das PferdimKreis geht.<br />

Während die Gruppe sich aufwärmt,<br />

wird nebenan ein Holzpferd<br />

aufgebaut. Darauf trainiert man die<br />

Bewegungsabläufe der Posen, bevor<br />

man sie auf dem Pferd macht. „So<br />

weiß man ganz genau, wo man hingreifen<br />

muss.Denn auf dem Pferdist<br />

es danach viel hibbeliger“, sagt die<br />

14-jährige Lila. Ich schaue der<br />

Gruppe zu: Mit einem Sprung sitzt<br />

Anjas Sohn Jannes auf dem Holzpferd,<br />

Lila springt hinzu, steht auf,<br />

dann hält Jannes sie im Quasi-Spagat<br />

hoch. Dann ein hoher, eleganter<br />

Sprung nach unten. Beeindruckend,<br />

auch auf dem Holzpferdschon.<br />

Ich frage mich kurz, worauf ich<br />

mich eingelassen habe. Chatman<br />

trabt mittlerweile um Anja im Kreis<br />

herum, sie schnalzt, dann galoppiert<br />

er. Damit das Pferd sich darauf einstellen<br />

kann, dass bald Menschen auf<br />

ihm herumturnen, läuft man erst an<br />

der Longe dem Pferdekopf entgegen<br />

und dann neben dem Tier her. Ich<br />

versuche es, auf Anhieb funktioniert<br />

es. Also koordiniere ich meine Füße<br />

mit Chatmans Hufen, komme in den<br />

gleichen Rhythmus, links, rechts, dabei<br />

klopfe ich ihm auf den Hals. Am<br />

Ende fasse ich mit beiden Händen an<br />

die Griffe des Gurts, bevor ich loslasse<br />

und zurück in die Mitte laufe.<br />

Bei der nächsten Runde steigen<br />

wir endlich auf, Jannes hilft mir auf<br />

den Pferderücken. Als ich oben bin,<br />

üben wir zunächst den Grundsitz im<br />

Schritttempo.„Undjetzt langsam die<br />

Arme heben, parallel zum Boden!“,<br />

ruft Anja mir zu. Klappt. Dann ziehe<br />

ich langsam ein Knie hoch, habe<br />

Angst, das Gleichgewicht zu verlieren,<br />

ziehe das zweite trotzdem hoch.<br />

„Versuch mal eine Fahne!“ sagt Anja.<br />

Dafür soll ich aus dem Kniesitz ein<br />

Bein anheben, das kenne ich vom<br />

Yoga. Aber hoch zu Roßund in Bewegung<br />

ist es viel anstrengender, dafür<br />

aber belohnender, als ich es schaffe.<br />

Eine Mühle –eine Art Drehung im<br />

Sitzen –geht auch noch.<br />

Dann sind die anderen an der<br />

Reihe, führen Übungen aus der Kür<br />

des letzten Turniers vor: Jedes Voltigierturnier<br />

beinhaltet eine Pflicht<br />

mit technischen Übungen und eine<br />

Kür, bei der auch Gestaltung und<br />

Kreativität bewertet werden.<br />

Kuscheln statt wälzen<br />

Beim zweiten Maldie gleichen Basisposen<br />

im Galopp. Die Geschwindigkeit<br />

ist gewöhnungsbedürftig. Konzentration.<br />

Ich strecke die Arme zur<br />

Seite: Freiheitsgefühl total. Beim<br />

zweiten Malkommen die Knie sogar<br />

hoch. Ich entwickle mehr Vertrauen,<br />

etwas, das für diesen Sport unentbehrlich<br />

ist. Sonst funktioniert das<br />

Dreiergespann zwischen Pferd, Voltigierer<br />

und Longenführer nicht.<br />

Trotzdem habe ich Angst, bei der Geschwindigkeit<br />

das Gleichgewicht zu<br />

verlieren und runterzufallen.<br />

„Viel davon ist Kopfsache“, sagt<br />

Lila nach einem Stützschwung, bei<br />

dem sie ihre Beine in die Höhe<br />

schwingt und eine Art Handstand<br />

macht. Doch Mutallein genügt natürlich<br />

nicht, will man als Erwachsener<br />

mit dem Voltigieren beginnen. Gute<br />

Vorkenntnisse im Turnen sind nötig,<br />

Erfahrung im Umgang mit Pferden ist<br />

sinnvoll.<br />

Nach der Stunde lässt Anja<br />

Christmann das Pferd inder Halle<br />

frei laufen. Chatmann soll Gelegenheit<br />

bekommen, sich nach der Anstrengung<br />

zu wälzen. Doch der<br />

große Braune zieht es vor, mit der<br />

Gruppe zu kuscheln.<br />

Posen auf dem Pferd<br />

Fahne<br />

Die Fahne gehört zuden Basisübungen<br />

desVoltigierens,ein guter<br />

Gleichgewichtssinn ist dafür unabdingbar.<br />

Bei der Fahne setzt man sich erst<br />

auf die Knie und streckt dann das<br />

rechte Bein waagerecht nach hinten<br />

aus. Die Schultern sind über dem<br />

Gurt,die rechte Hand bleibt auf ihm<br />

liegen. Den linken Arm streckt man<br />

dann waagerecht nach vorne.<br />

Dabei ist es wichtig, dass der<br />

Oberschenkel sich im 90-Grad-<br />

Winkel zum Oberkörper befindet,<br />

auch sollte das Gewicht gleichmäßig<br />

auf den rechten Arm und den<br />

linken Unterschenkel verteilt sein.<br />

DerBlick ist nach vornegerichtet.<br />

Die Körperspannung und das<br />

Gleichgewicht müssen permanent<br />

gehalten werden. (sap.)<br />

1<br />

3<br />

5<br />

2<br />

4<br />

6<br />

Mühle<br />

Wenn man eine Mühle auf dem<br />

Pferd macht, dreht man sich<br />

im Sitzen um 360 Grad. Das Ganze<br />

passiert in vier Phasen. Zunächst<br />

bringt man das rechte Bein über den<br />

Pferdehals und schließt die Beine auf<br />

der Innenseite. Anschließend hebt<br />

man das linke Bein über die Kuppe,<br />

sodass man mit geöffneten Beinen<br />

gen Pferdehintern sitzt. In der dritten<br />

Phase hebt man das rechte Bein,<br />

und bringt es zum linken auf der Außenseite.<br />

AmEnde öffnet man das<br />

linke Bein, um wieder im Anfangssitz<br />

zu landen.<br />

In jeder Phase erfolgt auch ein<br />

Griffwechsel am Gurt. Die Schwierigkeit<br />

liegt darin, dass diese Bewegungen<br />

mit dem Galopptakt des<br />

Pferdes abgestimmt sein müssen. Es<br />

geht also relativ schnell. (sap.)<br />

BLZ/GALANTY (3)<br />

Stützschwung<br />

Der Stützschwung ist wohl das,<br />

was dem Fliegen auf dem Pferd<br />

am nächsten kommt. Aus dem Sitz<br />

heraus streckt man die Beine erst<br />

nach vorne, ehe man sie schnell, mit<br />

voller Kraft und Präzision nach hinten<br />

oben schwingt. Sie bleiben zusammen<br />

und gestreckt. In der Zeit,<br />

in der die Beine gen Reithallendecke<br />

zeigen, sind lediglich die Hände am<br />

Griff, der Rest des Körpers ist in der<br />

Luft über dem Pferd.<br />

Das Gewicht liegt vollkommen<br />

auf den Armen –wenn man während<br />

des Schwungs den höchsten Punkt<br />

mit den Beinen erreicht hat, werden<br />

sie wieder geöffnet, um hinter dem<br />

Gurt zu landen.<br />

Es gibt den Stützschwung auch<br />

rücklings, dann sitzt man mit dem<br />

Rücken zum Pferdekopf. (sap.)

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