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Berliner Zeitung 19.01.2019

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10 19./20. JANUAR 2019<br />

Zurück<br />

nach Westeros<br />

40 Künstler haben sich der fantastischen Welt von<br />

George R. R. Martin angenommen –und dringen an Orte vor,<br />

die selbst „Game of Thrones“-Profis nie zuvor gesehen haben<br />

VonChristian Seidl<br />

„Harrenhal Cloud“ von Sven Sauer:Inder TV-Serie existiertdie größte Burg von Westeros nur als gespenstische Ruine. Sven Sauer zeigt Harrenhal am Tagnach der Zerstörung durch einen Feuersturm, rund 300 Jahre vor den Ereignissen in „Game of Thrones“. SVEN SAUER<br />

„Shivering Sea“ von JimmyPrzemek Duda: Ein Eisdrache, selbst in der Fantasie-<br />

Welt von Westeros bislang mehr Legende als Wirklichkeit –jedoch mit wahrerem<br />

Kern,als den Akteuren im „Game of Thrones“ lieb sein kann.<br />

JIMMY PRZEMEK DUDA<br />

„Säulenwald“ von Sven Sauer:Auch dieses Werk führtins sagenhafte Valyria, den<br />

Ursprung der Targaryen-Dynastie und ihrer Drachen.<br />

SVEN SAUER<br />

Das Ende naht. Am 14. April<br />

startet die achte und letzte<br />

Staffel von „Game of Thrones“,<br />

und alle Fragen, die die<br />

Geister und Gemüter seit Beginn der<br />

HBO-Serie im Jahr 2011 so umtreiben,<br />

werden beantwortet: Wersind die wahren<br />

Eltern des Bastards Jon Snow? Ist<br />

Bran Stark der heimliche Anführer der<br />

Weißen Wanderer? Und ist der Zwerg<br />

Tyrion in Wirklichkeit ein Prinz und sitzt<br />

am Ende auf dem Eisernen Thron?<br />

Noch jemand da? Tatsächlich hat sich<br />

im Laufe der Jahre eine richtige Wissenschaft<br />

entwickelt um das televisionäre<br />

Fantasy-Epos.Umso mehr,jekomplexer<br />

die Handlung und je gewaltiger das Panoptikum<br />

an Personen und Schauplätzen<br />

wird –und je größer die Abstände zwischen<br />

den Fernsehstaffeln und auch den<br />

ihnen zugrunde liegenden Romanen<br />

von George R. R. Martin. Zwei Jahre ließen<br />

sich die TV-Macher mit den finalen<br />

Folgen Zeit; der fünfte und bislang letzte<br />

der auf sieben Bände angelegten Romanreihe<br />

erschien schon voracht Jahren.<br />

„Das Lied vonEis und Feuer“ heißt sie<br />

–und die Handlung darin, das macht die<br />

Sache erst recht kompliziert, läuft an vielen<br />

Stellen in eine andere Richtung, ist<br />

der TV-Serie hier voraus, hängt dort zurück.<br />

Es ist nicht einmal klar, obMartin<br />

seinWerk genauso enden lassen wirdwie<br />

HBO. Außerdem hat er keine Eile. Ende<br />

vergangenen Jahres veröffentlichte er<br />

erst mal „Feuer und Blut“, die 900 Seiten<br />

starke Vorgeschichte des untergegangenen<br />

Königshauses Targaryen(dem die in<br />

der Serie von Emilia Clarke gespielte<br />

Drachenreiterin Daenerys entspringt),<br />

zuvor gab er schon den Folianten „Westeros“<br />

heraus,eine Arthistorische Erlebnisreise<br />

über den Fantasie-Kontinent,<br />

auf dem sich die Ereignisse im „Lied von<br />

Eis und Feuer“ abspielen. All dies nährt<br />

natürlich den Kult: Überall finden sich<br />

Verweise auf das„Game of Thrones“-Geschehen,<br />

mögliche Indizien, die zu dessen<br />

Enträtselung führen. Und„es macht<br />

noch einmal ganz andere Welten auf“,<br />

sagt Sven Sauer, der die Ausstellung<br />

„Unseen Westeros“ konzipierthat, in der<br />

diese Welten nun zu sehen sind.<br />

Sauer ist selbst einer der vierzig<br />

Künstler, die vom 24. bis zum 27. Januar<br />

im alten UmspannwerkinReinickendorf<br />

einen Blick auf Westeros gewähren, wie<br />

man es noch nicht kannte – Valyria,<br />

Tyrosh, der Untergang von Harrenhal:<br />

„Alles, was man da sieht, sind Locations<br />

oder Geschichten, auf die in ,Game of<br />

Thrones‘ immer wieder Bezug genommen<br />

wird, die man aber noch nie gesehen<br />

hat“, erzählt Sven Sauer.<br />

Damit, was man schon gesehen hat,<br />

haben Sauer und seine Mitstreiter ebenfalls<br />

jede Menge zu tun: Als Concept<br />

Artist gehörtder <strong>Berliner</strong> seit der 2. Staffel<br />

zum Team der TV-Serie.Zwar wirdan<br />

Originalschauplätzen gedreht, in Nordirland,<br />

auf Island, „aber die krassen Sachen<br />

sind halt doch digital entstanden“,<br />

sagt er: all die fantastischen Kreaturen,<br />

Landschaften und Bauwerke –„das ist<br />

das,was wir gemacht haben“.<br />

Meister Martin selbst hat die Kunstwerke<br />

übrigens persönlich abgesegnet.<br />

Für die Eröffnung lässt er sich allerdings<br />

entschuldigen: Er muss schreiben. Das<br />

Ende naht ja leider noch lange nicht.<br />

„The Gate“ von Max Riess: Valyria, ein 400 Jahre vor der „Game of Thrones“-Zeitrechnung<br />

untergegangens Reich, „Game of Thrones“-Sehernvor allem durch<br />

„Schwerter aus valyrischem Stahl“ ein Begriff.<br />

MAX RIESS<br />

„Tyrosh“ von Claudio Pilia: Die fantastische Inselstadt Tyrosh ist Stoff zahlreicher<br />

„Game of Thrones“-Legenden –gesehen hat man sie noch nie.<br />

CLAUDIO PILIA<br />

Gutsch<br />

Leo<br />

ImHerbst bestellte meine Frau irgendwas<br />

im Versandhandel, das macht sie gerne.<br />

Sie liebt es, West-Pakete auszupacken, so<br />

sehr, dass ich manchmal denke: Vielleicht<br />

kommt sie gar nicht aus Brasilien, sondern<br />

aus Karl-Marx-Stadt.<br />

Elfriede Jelinek, unsere Katze, liebt ebenfalls<br />

Pakete. AmInhalt ist sie nicht interessiert.<br />

Aber am leeren Karton. Sie springt soforthinein,<br />

reibt sich kurzander Pappe und<br />

legt sich dann wohlig-brummend in den<br />

Karton mit einem Blick, der sagt: Danke für<br />

meine neue Eigentumswohnung.<br />

Am Anfang dachte ich: Mein Gott, wie<br />

süß! Ich machte süße Handyfotos, ungefähr<br />

180 Stück. Heute denke ich: Warum hast du<br />

das Grauen nicht aufgehalten, als es noch<br />

beherrschbar war?<br />

VorWeihnachten kamen weitere Pakete<br />

an. Große Pakete, große Kartons. Die Katze<br />

sprang in alle hinein, brummte behaglich<br />

und hatte wieder diesen Wohnungsbesitzerblick.Wirließen<br />

alle Kartons in derWohnung<br />

Die Katze<br />

ist der Chef<br />

VonJochen-Martin Gutsch<br />

stehen. Warum? Es war so süß! Bald fing die<br />

Katzean, zwischen den Kartons zu pendeln.<br />

Den Vormittag verbrachte sie schlafend in<br />

ihrer Eigentumswohnung im Flur. Zentrale<br />

Lage, kurze Wege zum Futternapf, gute Anbindung<br />

zur Toilette.Nachmittags wechselte<br />

sie in den Schlafzimmer-Karton. Zur Erholung.<br />

Ruhige Lage,Seeblick. EinLandhaus in<br />

Brandenburg. Für den Abend entschied sie<br />

sich für ihr neues,repräsentativesWohnzimmer-Loft,<br />

aus dem sie die kurzen, felligen<br />

Beine baumeln ließ.<br />

Nach Weihnachten trafen weitere Pakete<br />

ein. Ichsagte zu meiner Frau: Du musst aufhören<br />

mit den Bestellungen! Meine Frau<br />

sagte, nicht ganz zu Unrecht: Schmeiß die<br />

Kartons doch einfach weg!<br />

Ich habe es versucht. Aber sobald ich begann,<br />

einen Karton zusammenzufalten, kam<br />

die Katze, sprang hinein, und brummte behaglich<br />

wie ein Hausbesetzer. Ich fing an,<br />

nachts zu arbeiten. Im Schutze der Dunkelheit<br />

entsorgte ich einen Karton. Am nächsten<br />

Tagsaß die Katzemaunzend und mit anklagendem<br />

Blick an der Stelle, woeinst der<br />

Karton stand, und ich fühlte mich wie ein fieser<br />

Typder „Deutsche Wohnen“, der gerade<br />

ein Großmütterchen entmietet hat. Weitere<br />

Kartons wurden seitdem nicht mehr entsorgt.<br />

Ichbringe es einfach nicht übers Herz.<br />

Unserer Wohnung tut das natürlich nicht<br />

gut, ästhetisch gesehen.<br />

BevorElfriede Jelinek bei uns einzog, war<br />

ich manchmal bei Katzenbesitzern zuBesuch.<br />

Fast immer wunderte ich mich über<br />

die spermafarbenen Katzenkratzbäume, die<br />

im Wohnzimmer bis unter die Decke wucherten.<br />

„Wie kann man seine Wohnung nur<br />

so verschandeln?“, flüsterte ich meiner Frau<br />

zu.„Unfassbar hässlich, ich muss gleich würgen!<br />

Wie kann man sich einer Katze nur so<br />

unterwerfen?“, flüsterte meine Frau zurück.<br />

Heute wohnen wir selbst in einer Art<br />

SERO-Annahmestelle. InBerlin-Kistenhausen.<br />

Wegen der Katze. Unddas ist ja nicht alles.<br />

Oft kommt es vor, dass die Katze ein<br />

Stückchen Käse, ein Stückchen Rindfleisch<br />

oder Teile eines erlegten Vogels zum Spielen<br />

durch die Wohnung trägt. Dort rutscht das<br />

Essen dann unter einen Schrank. Oder hinter<br />

die Waschmaschine. Oder es versinkt in den<br />

tiefen Ritzen der alten Holzdielung.<br />

Anfangs war ich noch total hinterher und<br />

suchte die Wohnung nach Essensresten ab.<br />

Heute lasse ich es laufen. Die Katze ist der<br />

Chef. Umso schneller man das akzeptiert,<br />

umso schneller man sich unterwirft, umso<br />

leichter wirddas Leben.<br />

Zuweilen kommt es mir jetzt vor, als röche<br />

es etwas käsig in unserer Wohnung. Oder<br />

nach altem Rind, das hinter der Waschmaschine<br />

vorsich hin gammelt. Aber man muss<br />

eben gut lüften. Vielleicht rufe ich auch mal<br />

bei Kabel 1anund bewerbe mich für die Sendung<br />

„Raus aus dem Messie-Chaos“. Wenn<br />

ich dann, umweht vom beißenden Geruch,<br />

gefragt werde, wie alles begann, zeige ich nur<br />

stumm auf die Katze, die brummend in einer<br />

der mittlerweile 1386 Karton-Kisten hockt.

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