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Develop³ Systems Engineering 01.2015

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ANWENDUNGEN<br />

AUS DER PRAXIS DES SYSTEMS ENGINEERINGS<br />

Prof. Hanno Weber, Prorektor der Hochschule Pforzheim<br />

„Wissen über die Synthese fehlt noch“<br />

Im Rahmen der Rubrik ‚Aus der Praxis des <strong>Systems</strong> <strong>Engineering</strong>s‘ gab uns Prof. Hanno Weber<br />

Auskunft zu seinen Erfahrungen. Bereits in seiner Promotion beschäftigte ihn die modellbasierte<br />

Produktentwicklung, heute verantwortet er die Ingenieur-Ausbildung an der Hochschule<br />

Pforzheim.<br />

develop 3 : Prof. Weber, können Sie uns basierend auf Ihren Erfahrungen<br />

ein Beispiel für die gelungene Anwendung des <strong>Systems</strong><br />

<strong>Engineering</strong>s nennen?<br />

Weber: Ein gutes Beispiel ist die Einführung einer Leitstandsteuerung<br />

im Druckmaschinenbereich. Das waren auch früher schon riesige<br />

Maschinen, durch die hindurch eine Zentralwelle gelegt war,<br />

von der alle anderen Elemente ihre Drehzahl über Getriebe abgriffen<br />

– klassischer Maschinenbau. Moderne Druckmaschinen verfügen<br />

dagegen heute über geregelte Einzelantriebe, die über Lichtwellenleiter<br />

verbunden synchronisiert werden. Das ermöglicht eine enorme<br />

Leistungssteigerung, ganz andere Geschwindigkeiten.<br />

develop 3 : Können Sie das kurz erläutern?<br />

Weber: Durch die Benetzung mit Farbe dehnt sich das Papier – es<br />

wird also beim Lauf durch die Maschine länger. Mit geregelten Einzelantrieben<br />

ist das kein Problem, weil man etwa die letzte Walze<br />

einfach vier bis fünf Promille schneller drehen lassen kann. Vergleichbares<br />

konnte man mit den Getrieben gar nicht ausgleichen,<br />

was natürlich die erreichbare Druckleistung begrenzte. Hinzu<br />

kommt ein weiterer Aspekt: Wird frühmorgens beispielsweise die<br />

Zeitung gedruckt, sollen nun nachmittags Prospekte folgen – quasi<br />

auf Knopfdruck. Auch dann, wenn sich das Format ändert, ein anderer<br />

Falzapparat benötigt wird oder ein Trockner dazukommt. Früher<br />

ging das auch, doch musste dazu stundenlang geschraubt werden,<br />

der Umrüstaufwand war immens. Soll das alles auf Knopfdruck passieren,<br />

stoßen die Vorgehensweisen aus dem klassischen Maschinenbau<br />

an ihre Grenzen. Gefragt ist dann die interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />

bezüglich Mechanik und Steuerungstechnik – wobei<br />

entscheidend ist, dass der Druckprozess verstanden wird, entsprechende<br />

Spezialisten sind einzubeziehen. Das kann in der Summe<br />

nur das <strong>Systems</strong> <strong>Engineering</strong> leisten.<br />

develop 3 : Wollen Sie kurz das <strong>Systems</strong> <strong>Engineering</strong> einmal<br />

aus Ihrer Sicht definieren?<br />

Weber: Es handelt sich um einen interdisziplinären Ansatz – bestehend<br />

aus Methoden zur Entwicklung komplexer Systeme und aus<br />

Methoden für das Management dieser Entwicklung. Ein Schlüsselbegriff<br />

ist Integration – zu verstehen in zweierlei Hinsicht: Einerseits<br />

geht es darum, ein Produkt in den späteren Nutzungskontext zu integrieren,<br />

andererseits um das Zusammenfügen einzelner Teile zu<br />

einem funktionsfähigen Ganzen. Entscheidend ist, dass sich im Vorfeld<br />

nur dann ein Lösungsraum erschließen lässt, wenn es gelingt,<br />

Interview: Michael Corban,<br />

Chefredakteur develop 3 systems engineering<br />

die Gesamtfunktion – in der der Kunde denkt – zu zerlegen. Dem<br />

analytischen, dem ‚zerlegenden‘ Weg gemäß V-Modell muss dann<br />

aber die Integration folgen – und diese Synthese steht beim <strong>Systems</strong><br />

<strong>Engineering</strong> im Vordergrund. Man könnte auch sagen: Es gibt genügend<br />

Wissenschaften, die analysieren können, aber noch zu wenig<br />

Wissen über die Synthese. Insbesondere dann, wenn zahlreiche Zulieferer<br />

– weltweit verteilt – mitentwickeln, gewinnt diese Aufgabe<br />

enorm an Komplexität und Dynamik. Da kann man nicht einfach<br />

nach VDI-Richtlinie 2221 weiterkonstruieren.<br />

develop 3 : Welche Schwierigkeiten tauchen denn typischerweise<br />

beim <strong>Systems</strong> <strong>Engineering</strong> auf?<br />

Weber: So bald eingefahrene Strukturen und Prozesse aufgebrochen<br />

werden, wird es schwierig. Ein Beispiel sind die vielen Dinge,<br />

die früher nicht kommuniziert wurden, nun aber zu dokumentieren<br />

sind – und das ist sicherlich nicht die Lieblingsbeschäftigung von<br />

Konstrukteuren. Allerdings führt daran kein Weg vorbei, wir brauchen<br />

heute eine verlässliche Beschreibung von Schnittstellen! Und<br />

wir brauchen darauf aufsetzend ein Konfigurations-Management.<br />

Letztlich sind das ja die Spezifikationen für all diejenigen, die zuarbeiten,<br />

sei es in einer anderen Abteilung oder anderen Unternehmen.<br />

Die Schnittstellenbeschreibung ist an dieser Stelle Vertragsgrundlage<br />

– ändern wir die, ohne dass unsere Partner das erfahren,<br />

führt dies zu großen Problemen. Denken Sie nur an die Frage, wer<br />

die Kosten übernimmt, wenn vier Wochen in die falsche Richtung<br />

entwickelt wurde.<br />

Zur Person<br />

INFO<br />

Hanno Weber, geboren 1965 in Lahr/Schwarzwald, studierte<br />

von 1987 bis 1993 Maschinenbau an der Technischen<br />

Universität Berlin und der University of Michigan,<br />

USA. Nach seiner Promotion über Entwurfsmethoden für<br />

komplexe Systeme, insbesondere die modellbasierte Produktentwicklung,<br />

arbeitete er für eine Düsseldorfer Unternehmensberatung.<br />

Seit 2001 lehrt er an der Hochschule<br />

Pforzheim unter anderem den ‚Entwurf komplexer Systeme‘<br />

sowie das Produktdatenmanagement. Seit 2011 ist er<br />

dort als Prorektor für das Ressort Studium und Lehre zuständig.<br />

Tel. +49 7231/28-6001<br />

hanno.weber@hs-pforzheim.de<br />

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