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Berliner Zeitung 21.02.2019

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Amazing Stuff!<br />

Karina Canellakis über ihr DSO-Debüt am 30.03.<br />

vor mir sitzt, mit der ich mit 15 Jahren im Sommercamp befreundet war.<br />

[lacht] Oder dass ich Leuteaus meinem Studium oder der Karajan-Akademie<br />

wiedertreffe. Die Musikwelt ist letztendlich doch eine kleine. Durch<br />

meine <strong>Berliner</strong> Jahre kenne ich auch ein paar DSO-Mitglieder, und das<br />

erleichtert den Einstieg dann erheblich. Abgesehen davon muss man der<br />

Sache einfach ihren Lauf lassen. Auch die Musiker müssen sich daran<br />

gewöhnen, wie neue Dirigenten aussehen, wie sie sich bewegen, wie sie<br />

sprechen. Am zweiten Probentag spielt das dann schon keine Rolle mehr.<br />

Ihr DSO-Debüt am 30. März eröffnen Sie mit einem Werk, zu dem der<br />

Kritiker Eduard Hanslick einst fragte,»wieman einen so grässlichen,<br />

jedes feinere Gefühl empörenden Stoff zu musikalischer Darstellung<br />

sich wählen konnte«: Antonín Dvořáks ›Mittagshexe‹ – großartige<br />

Musik, aber mit einer schrecklichen Geschichte S. 6.<br />

Allerdings, damit kann man die Leutewirklich schockieren. [lacht] Und die<br />

›Mittagshexe‹ ist ja nur eine von mehreren Tondichtungen Dvořáks, die<br />

alle recht schauderhafteGeschichten erzählen. Aber diese Volksmärchen<br />

von Jaromír Erben gehören für die Tschechen zum kulturellen Erbe und<br />

spielen eine ähnliche Rolle wie die der Gebrüder Grimm für Deutschland.<br />

Ich liebe diese Musik, und dirigiere alle Tondichtungen Dvořáks gerne. Die<br />

›Mittagshexe‹ ist wunderschön, aufregend, extrem gut orchestriert, und<br />

erzählt die Geschichte überaus anschaulich.<br />

Die New Yorkerin Karina Canellakis studierte Violine am Curtis Institute<br />

in Philadelphia und Dirigieren an der Juilliard School in NewYork. Nach<br />

dem Gewinn des ›Sir Georg Solti Conducting Award‹ 2016 und mehreren<br />

aufsehenerregenden Einspringer-Dirigaten gab sie ihr Debüt bei zahlreichen<br />

renommierten Orchestern in Nordamerika und Europa. Im September<br />

2019 tritt sie beim niederländischen Radio Filharmonisch Orkest ihren<br />

ersten Chefposten an. Am 30. März gibt sie ihren Einstand beim DSO.<br />

Frau Canellakis, Sie haben Ihre Karriere als Geigerin begonnen, waren<br />

Mitglied der Orchesterakademie der <strong>Berliner</strong> Philharmoniker<br />

und haben beim Chicago Symphony Orchestra gespielt. Wann begann<br />

Ihr Interesse am Dirigieren?<br />

Schon sehr früh. Da mein Vater Dirigent ist, lagen bei uns immer Partituren<br />

herum, die ich studierte.Mit zwölf Jahren habe ich in der Musikschule<br />

erste Dirigierkurse besucht, doch erst, als ich als Mitglied der Karajan-<br />

Akademie unter vielen großartigen Dirigenten spielte, habe ich das Dirigieren<br />

ernsthaft in Erwägung gezogen–und schließlich auch studiert. In<br />

meinen Zwanzigern habe ich als Geigerin gearbeitet und war damit auch<br />

sehr glücklich, aber irgendetwas hat mir dann doch immer gefehlt …<br />

Wie wichtig sind für Sie Ihre Erfahrungen als Orchestermusikerin<br />

beim Dirigieren?<br />

Meine musikalischen Entscheidungen als Dirigentin speisen sich tatsächlich<br />

aus dem Orchesterspiel, vor allem aber aus dem, was ich in vielen<br />

Jahren des Kammermusizierens gelernt habe. Etliche der großen Streichquartettesind<br />

parallel zu Symphonien entstanden, und darüber habe ich<br />

meinen eigenen Zugang zur Musiksprache vieler Komponisten gefunden.<br />

Wie definieren Sie Ihre Rolle als Dirigentin?<br />

Die meisten Dirigenten, besonders meiner Generation, legen großen Wert<br />

auf kooperativesArbeiten. Wir versuchen, für die Musiker vor uns eine<br />

Atmosphäre zu schaffen, in der sie ihr Bestes geben und sich zugleich<br />

musikalisch so frei wie möglich fühlen können. Aber wie das geht, ist<br />

ein großes Mysterium [lacht]. Anders als das Geigenspiel kann einem<br />

das niemand beibringen. Dahängt viel von der eigenen Persönlichkeit<br />

ab. Historisch gesehen, erleben wir aktuell eine aufregende Zeit, denn<br />

die Mauern zwischen Orchestern und Dirigenten sind gefallen, und ich<br />

selbst pflege einen eher freundschaftlichen Umgang mit den Musikern.<br />

Gerade am Anfang einer Karriere begegnet man vielen Orchestern<br />

zum ersten Mal. Wie gehen Sie damit um?<br />

Bei der ersten Begegnung kann man schon mal etwas nervöswerden, fast<br />

wie bei einem ersten Date. Allerdings kommt mir meine Vergangenheit<br />

oft zu Hilfe. Es passiert schon mal, dass plötzlich eine Konzertmeisterin<br />

Und dann kommt Ligetis Violinkonzert ...<br />

... ein ziemlicher Kontrast! Es ist ein Violinkonzert wie kein anderes, mit<br />

einer ungewöhnlich kleinen, intimen Orchesterbesetzung. Die Violine<br />

klingtoft gar nicht wie eine Violine; sie ist ein Gefäß für die unterschiedlichsten<br />

Klänge, sie intoniert verschiedene Instrumente und Stimmungen<br />

und erschafft einen unglaublichen Klangraum, der sich weit außerhalb<br />

der »traditionellen« Musiksprache bewegt, die wir bei Dvořák und, zumindest<br />

spieltechnisch, selbst noch bei Bartók finden, der außer dem<br />

stark angerissenen Pizzicato keine erweiterten Techniken erfordert. Ligeti<br />

hingegen verwendet diese in Hülle und Fülle, und die Partitur ist einfach<br />

wahnsinnig. [lacht] Es freut mich auch, dass ichdabei endlich einmal mit<br />

Pekka Kuusisto zusammenarbeiten kann.<br />

Bartóks »Konzert für Orchester« ist ein moderner Klassiker, dessen<br />

Deutsche Erstaufführung das DSO (damals RIAS-Symphonie-<br />

Orchester) in seinem zweiten öffentlichen Konzert1947 spielte. Was<br />

schätzen Sie daran?<br />

Bartók ist mir unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts einer der<br />

liebsten. Das »Konzert« ist recht bemerkenswert, gerade wenn man sich<br />

seine Entstehungszeit in Erinnerung ruft, als Bartók seine letzten Jahre<br />

fern der Heimat verbrachte, krank und in Geldnöten. Man hörtdarin das<br />

Echo der Sehnsucht und die Schatten der ungarischen Volksmusik, die<br />

den Keim seines musikalischen Materials bilden. Die Instrumentation<br />

ist zauberhaft, etwa wenn im zweiten Satz die Instrumente als Paare<br />

und in verschiedenen Intervallen auftreten. Das Stück ist mathematisch<br />

geplant und organisiert, Bartók notiert amEnde jedes Abschnitts sogar<br />

eine Zeitangabe für den Dirigenten, und doch fühlt man sich nicht<br />

gegängelt –anders etwa als bei Mahler [lacht]. Der dritte Satz ist pure<br />

Magie, unglaublich atmosphärische »Nachtmusik«, dunkel, ätherisch und<br />

verschattet, und der letzte reißt die Zuhörer dann mit seinem rustikalen<br />

Tanzrhythmus geradezu aus den Sitzen. Amazing stuff!<br />

Sie haben einige Jahre inBerlin gelebt. Wie ist es, wieder einmal<br />

hier zu sein?<br />

Großartig. Meine <strong>Berliner</strong> Zeit liegt fast 15 Jahre zurück, in meiner Erinnerung<br />

waralles etwas dreckiger und verrauchter als heute[lacht], ich<br />

wohnte inMoabit und kaum jemand sprach Englisch. Ich kam damals<br />

aus New York, und Berlin hat mein Leben verändert. Noch heute habe<br />

ich viele Freunde in der Stadt und komme jedes Mal »nach Hause«. Das<br />

Konzert am30. März ist für mich etwas ganz Besonderes, denn ich habe<br />

zwar schon oft in der Philharmonie als Geigerin gespielt, stehe aber nun<br />

zum ersten Mal am Dirigentenpult! Das bedeutet mir sehr viel.<br />

Das Gespräch führte MAXIMILIAN RAUSCHER.<br />

Antonín Dvořák ›Die Mittagshexe‹<br />

György Ligeti Violinkonzert<br />

Béla Bartók Konzert für Orchester<br />

KARINA CANELLAKIS<br />

Pekka Kuusisto Violine<br />

Sa 30. März<br />

20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung<br />

Philharmonie<br />

Karten von 20 €bis 63 €|AboPlus-Preis ab 17 €<br />

Gespräch 3Im<br />

Karina Canellakis

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