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Berliner Zeitung 21.02.2019

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5Robin Ticciati<br />

Ekstasen mit Melancholie<br />

Robin Ticciati und Mitsuko Uchida am 13.+14.04.<br />

Robin Ticciati begann diese Saison, seine zweiteals<br />

Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des DSO,<br />

mit Auszügen aus Richard Wagners ›Parsifal‹ und<br />

stellte diesen Claude Debussys Musik zu Gabriele<br />

D’Annunzios ›Martyrium des Heiligen Sebastian‹ gegenüber.<br />

Erzeichnete damit einen Weg nach, der von Wagner<br />

in Richtung Moderne, einer spirituellen Moderne führt.<br />

Dieser Weg wird im Allgemeinen weniger beachtet, weil man<br />

dazu neigt, Religion und Spiritualität nicht unbedingt für<br />

den Stammplatz des Fortschritts zu halten. Dass Wagner mit<br />

›Tristan und Isolde‹ die emotionalen, psychologischen und<br />

musikalischen Türen zum Neuland der Moderne mehr als einen<br />

Spalt weit öffnete, wird dagegen allgemein anerkannt.<br />

Die Harmonik des ›Tristan‹-Vorspiels gilt als eine Urformel,<br />

welche die Moderne bereits als Gencode enthält.Ticciati geht<br />

auch dieser geschichtlichen Spur nach, aber er verfolgt sie<br />

nicht ins naheliegende Gebiet, zuDebussys Oper ›Pelléas<br />

et Mélisande‹. Diese thematisiert ergegen Ende der Saison,<br />

im Konzert am5.Juni. Am13. und 14. April nimmt er die<br />

exponierte,neuere Moderne in die Mitte–mit Harrison Birtwistles<br />

›Night’s Black Bird‹.<br />

Die Welt der Melancholie<br />

Ticciati steuert diese Mitte von einem Werk aus an, das als<br />

›Tristan‹-Nachfolger und -Antipode auftritt. Für Don Juan<br />

bedeutet die Liebe ebenso ein unausweichliches Schicksal<br />

wie für Tristan; er praktiziert sie (angeblich) tausendfach<br />

und mit einer triumphalen Selbstsicherheit, die in Hybris<br />

umschlägt; Tristan verfällt ihr dagegen durch einen Zaubertrank,<br />

kann sich weder von ihr lösen noch ihre Erfüllung<br />

finden. Für beide Helden endet die Sache tödlich, bei Tristan<br />

aus Unerfüllbarkeit, bei Don Juan (zumindest in Nikolaus<br />

Lenaus Fassung, auf die sich Strauss bezog) aus Überdruss<br />

am Serienglück. In beiden offenbart sich –auf ganz verschiedene<br />

Weise –eine tiefe Melancholie. Sie liegt bei Tristan<br />

in der Einsicht, dass nicht das Leben die große Liebe in<br />

die Wirklichkeit setzt, sondern der Tod; bei Don Juan in der<br />

Erfahrung, dass permanente Wunschbefriedigung am Ende<br />

Langeweile erzeugt, in die nur der Todwahre Abwechslung<br />

bringt: Wenn alles wiederholbar wird, bleibt er das einzig Außergewöhnliche.Entsprechend<br />

pathetischwird er inszeniert.<br />

Bei Wagner klingt die Melancholie zumindest im Vorspiel<br />

permanent mit,bei Strauss wird sie übertönt und überschönt,<br />

setzt sich letztlich als Dramaturgie, das heißt aber: als lenkende<br />

Grundkraft durch.<br />

Harrison Birtwistle macht sie zum Thema. Der ›Schwarze<br />

Vogelder Nacht‹ –die Formulierung stammt aus einem Lautenlied<br />

vonJohn Dowland –hüllt zwar alles in Dunkel, aber<br />

darin wimmelt und rumort es, hallen Rufe (Schreie?) nach,<br />

bilden sich Zonen der Stille, der sanften Bewegung. ›Night’s<br />

Black Bird‹ ist,bei aller Elementarkraft,die Birtwistles Komposition<br />

ausstrahlt,keine Musik aus dem Abgrund, sondern<br />

aus dem Bereich, in dem sich Erinnerung und Ahnung, Trauer<br />

und Schönheit die Hand reichen und ein eigentümlich flackerndes,<br />

aber ungrelles Leuchten erzeugen. Birtwistle wollte<br />

nach eigenen Worten »die Welt der Melancholie erkunden,<br />

wie sie vonDichtern und Komponisten im späten 16.und frühen<br />

17.Jahrhundertbegriffen und gefeiertwurde. Bei ihnen<br />

ist Melancholie nicht länger eine lähmende und depressive<br />

Stimmung, sondern ein Humor der Nacht, eine inspirierte,<br />

angeregte Geistesverfassung«, eine Phase gesteigerter Expressivität.<br />

Birtwistle fängt sie mit seiner Musik wie einen<br />

Klangtraum ein.<br />

Magie des großen Klangs<br />

Im Zentrum von Weberns Sechs Orchesterstücken steht ein<br />

Trauermarsch. Inseinem tragischen Charakter ist alles enthalten,<br />

wassich an innerer Spannung und Melancholie über<br />

das Werk ausbreitet. Erinnerungen an seine Mutter, ihren<br />

Todund ihr Begräbnis bewegten Webern bei der Komposition<br />

der Stücke. Sie gehen kurze, sensible Wege. Ihre Schönheit<br />

entfalten sie im fragmentarischen Klang, der nichts an Farbkraft<br />

einbüßt. Gut 100 Jahre nach ihrer Entstehung dürften<br />

sie das äußerlich Schockhafte imSinne des Bürgerschrecks<br />

verloren haben und sich als nicht allzu ferne Verwandtevon<br />

Wagners ›Tristan‹ und seiner Harmonik erweisen. Und Ravel?<br />

Sein Klavierkonzertist ein brillantes Werk, aber es entfesselt<br />

nicht die Farbkaskaden etwavon ›La valse‹ oder ›Gaspard de<br />

la Nuit‹. Bei aller stupenden Virtuosität des Soloparts bleibt<br />

der Klang versachlicht,wie es dem Trend der Zeit entsprach.<br />

Liegt darin nicht auch ein Moment jener Melancholie, die<br />

Harrison Birtwistle in den Künsten der elisabethanischen<br />

Äraerkannte? Mit dem G-Dur-Konzertist die große Pianistin<br />

Mitsuko Uchida zum ersten Mal beim DSO zu Gast.<br />

Robin Ticciati liebt die Magie des großen Klangs in ihrer puren<br />

Entfaltung und in ihrer bewussten Zurücknahme, in der<br />

sie bei Webern und in Ravels Klavierkonzert präsent und<br />

wirksam bleibt. Erliebt das Spiel mit dem offenbaren und<br />

verborgenen Zauber orchestraler Farben. Insofern stehen sei-<br />

ne Konzerte am 13.und 14.April auch in der Linie vonHector<br />

Berlioz und dessen erfindungsreichem Experimentiergeist.In<br />

den Gedanken über Wagner schwingt der französische Fantast,den<br />

Ticciati einmal eine »Wild Card« nannte, mit seinem<br />

Œuvre und seinen Ideen eigentlich immer mit.<br />

HABAKUK TRABER<br />

Richard Strauss ›Don Juan‹<br />

Maurice Ravel Klavierkonzert G-Dur<br />

Harrison Birtwistle ›Night’s Black Bird‹<br />

Anton Webern Sechs Stücke für Orchester<br />

RichardWagner Vorspiel und ›Liebestod‹ aus der Oper<br />

›Tristan und Isolde‹<br />

ROBIN TICCIATI<br />

MitsukoUchida Klavier<br />

Sa 13.+So 14.April<br />

20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung<br />

Philharmonie<br />

Karten von 20 €bis 63 €|AboPlus-Preis ab 17 €

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