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5Robin Ticciati<br />
Ekstasen mit Melancholie<br />
Robin Ticciati und Mitsuko Uchida am 13.+14.04.<br />
Robin Ticciati begann diese Saison, seine zweiteals<br />
Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des DSO,<br />
mit Auszügen aus Richard Wagners ›Parsifal‹ und<br />
stellte diesen Claude Debussys Musik zu Gabriele<br />
D’Annunzios ›Martyrium des Heiligen Sebastian‹ gegenüber.<br />
Erzeichnete damit einen Weg nach, der von Wagner<br />
in Richtung Moderne, einer spirituellen Moderne führt.<br />
Dieser Weg wird im Allgemeinen weniger beachtet, weil man<br />
dazu neigt, Religion und Spiritualität nicht unbedingt für<br />
den Stammplatz des Fortschritts zu halten. Dass Wagner mit<br />
›Tristan und Isolde‹ die emotionalen, psychologischen und<br />
musikalischen Türen zum Neuland der Moderne mehr als einen<br />
Spalt weit öffnete, wird dagegen allgemein anerkannt.<br />
Die Harmonik des ›Tristan‹-Vorspiels gilt als eine Urformel,<br />
welche die Moderne bereits als Gencode enthält.Ticciati geht<br />
auch dieser geschichtlichen Spur nach, aber er verfolgt sie<br />
nicht ins naheliegende Gebiet, zuDebussys Oper ›Pelléas<br />
et Mélisande‹. Diese thematisiert ergegen Ende der Saison,<br />
im Konzert am5.Juni. Am13. und 14. April nimmt er die<br />
exponierte,neuere Moderne in die Mitte–mit Harrison Birtwistles<br />
›Night’s Black Bird‹.<br />
Die Welt der Melancholie<br />
Ticciati steuert diese Mitte von einem Werk aus an, das als<br />
›Tristan‹-Nachfolger und -Antipode auftritt. Für Don Juan<br />
bedeutet die Liebe ebenso ein unausweichliches Schicksal<br />
wie für Tristan; er praktiziert sie (angeblich) tausendfach<br />
und mit einer triumphalen Selbstsicherheit, die in Hybris<br />
umschlägt; Tristan verfällt ihr dagegen durch einen Zaubertrank,<br />
kann sich weder von ihr lösen noch ihre Erfüllung<br />
finden. Für beide Helden endet die Sache tödlich, bei Tristan<br />
aus Unerfüllbarkeit, bei Don Juan (zumindest in Nikolaus<br />
Lenaus Fassung, auf die sich Strauss bezog) aus Überdruss<br />
am Serienglück. In beiden offenbart sich –auf ganz verschiedene<br />
Weise –eine tiefe Melancholie. Sie liegt bei Tristan<br />
in der Einsicht, dass nicht das Leben die große Liebe in<br />
die Wirklichkeit setzt, sondern der Tod; bei Don Juan in der<br />
Erfahrung, dass permanente Wunschbefriedigung am Ende<br />
Langeweile erzeugt, in die nur der Todwahre Abwechslung<br />
bringt: Wenn alles wiederholbar wird, bleibt er das einzig Außergewöhnliche.Entsprechend<br />
pathetischwird er inszeniert.<br />
Bei Wagner klingt die Melancholie zumindest im Vorspiel<br />
permanent mit,bei Strauss wird sie übertönt und überschönt,<br />
setzt sich letztlich als Dramaturgie, das heißt aber: als lenkende<br />
Grundkraft durch.<br />
Harrison Birtwistle macht sie zum Thema. Der ›Schwarze<br />
Vogelder Nacht‹ –die Formulierung stammt aus einem Lautenlied<br />
vonJohn Dowland –hüllt zwar alles in Dunkel, aber<br />
darin wimmelt und rumort es, hallen Rufe (Schreie?) nach,<br />
bilden sich Zonen der Stille, der sanften Bewegung. ›Night’s<br />
Black Bird‹ ist,bei aller Elementarkraft,die Birtwistles Komposition<br />
ausstrahlt,keine Musik aus dem Abgrund, sondern<br />
aus dem Bereich, in dem sich Erinnerung und Ahnung, Trauer<br />
und Schönheit die Hand reichen und ein eigentümlich flackerndes,<br />
aber ungrelles Leuchten erzeugen. Birtwistle wollte<br />
nach eigenen Worten »die Welt der Melancholie erkunden,<br />
wie sie vonDichtern und Komponisten im späten 16.und frühen<br />
17.Jahrhundertbegriffen und gefeiertwurde. Bei ihnen<br />
ist Melancholie nicht länger eine lähmende und depressive<br />
Stimmung, sondern ein Humor der Nacht, eine inspirierte,<br />
angeregte Geistesverfassung«, eine Phase gesteigerter Expressivität.<br />
Birtwistle fängt sie mit seiner Musik wie einen<br />
Klangtraum ein.<br />
Magie des großen Klangs<br />
Im Zentrum von Weberns Sechs Orchesterstücken steht ein<br />
Trauermarsch. Inseinem tragischen Charakter ist alles enthalten,<br />
wassich an innerer Spannung und Melancholie über<br />
das Werk ausbreitet. Erinnerungen an seine Mutter, ihren<br />
Todund ihr Begräbnis bewegten Webern bei der Komposition<br />
der Stücke. Sie gehen kurze, sensible Wege. Ihre Schönheit<br />
entfalten sie im fragmentarischen Klang, der nichts an Farbkraft<br />
einbüßt. Gut 100 Jahre nach ihrer Entstehung dürften<br />
sie das äußerlich Schockhafte imSinne des Bürgerschrecks<br />
verloren haben und sich als nicht allzu ferne Verwandtevon<br />
Wagners ›Tristan‹ und seiner Harmonik erweisen. Und Ravel?<br />
Sein Klavierkonzertist ein brillantes Werk, aber es entfesselt<br />
nicht die Farbkaskaden etwavon ›La valse‹ oder ›Gaspard de<br />
la Nuit‹. Bei aller stupenden Virtuosität des Soloparts bleibt<br />
der Klang versachlicht,wie es dem Trend der Zeit entsprach.<br />
Liegt darin nicht auch ein Moment jener Melancholie, die<br />
Harrison Birtwistle in den Künsten der elisabethanischen<br />
Äraerkannte? Mit dem G-Dur-Konzertist die große Pianistin<br />
Mitsuko Uchida zum ersten Mal beim DSO zu Gast.<br />
Robin Ticciati liebt die Magie des großen Klangs in ihrer puren<br />
Entfaltung und in ihrer bewussten Zurücknahme, in der<br />
sie bei Webern und in Ravels Klavierkonzert präsent und<br />
wirksam bleibt. Erliebt das Spiel mit dem offenbaren und<br />
verborgenen Zauber orchestraler Farben. Insofern stehen sei-<br />
ne Konzerte am 13.und 14.April auch in der Linie vonHector<br />
Berlioz und dessen erfindungsreichem Experimentiergeist.In<br />
den Gedanken über Wagner schwingt der französische Fantast,den<br />
Ticciati einmal eine »Wild Card« nannte, mit seinem<br />
Œuvre und seinen Ideen eigentlich immer mit.<br />
HABAKUK TRABER<br />
Richard Strauss ›Don Juan‹<br />
Maurice Ravel Klavierkonzert G-Dur<br />
Harrison Birtwistle ›Night’s Black Bird‹<br />
Anton Webern Sechs Stücke für Orchester<br />
RichardWagner Vorspiel und ›Liebestod‹ aus der Oper<br />
›Tristan und Isolde‹<br />
ROBIN TICCIATI<br />
MitsukoUchida Klavier<br />
Sa 13.+So 14.April<br />
20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung<br />
Philharmonie<br />
Karten von 20 €bis 63 €|AboPlus-Preis ab 17 €