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world of mtb Magazin AllMountain & Tour 2019

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DAMENSATTEL<br />

LINKS Grundlegende Daten über die Anatomie des weiblichen Beckens müssen Janina und ihr Team erst sammeln, bevor es an das eigentliche Design<br />

des Sattels geht. RECHTS „...Loch rein, fertig ist der Frauensattel?“ Der Schein trügt. Dieser Schlitz hat es in sich. Bild Ergon / Sascha Bamberg<br />

Das Rad neu erfinden – zumindest den Teil, auf dem wir sitzen<br />

Für Janina war es die Erfahrung am eigenen Körper, die ihr das Thema<br />

ihrer Masterarbeit in Erinnerung rief: Für ihr Rennrad – bei dem<br />

aufgrund der gestreckteren Sitzposition generell häufiger Beschwerden<br />

auftreten – fand sie nichts, „was nicht die kompletten Weichteile zerquetscht“.<br />

Das war der Auslöser für den Entwicklungsprozess, an dessen<br />

Ende heute eine waschechte Frauensattel-Linie steht. Peinliche Gespräche,<br />

gesellschaftliche Tabus, dürre Studienlage – von keiner dieser<br />

Hürden ließen sich Janina und ihr Entwicklerinnen-Team abhalten. Die<br />

Lösungen für die Probleme schuf sie sich kurzerhand selbst. Ein ganzes<br />

Jahr lang reiste sie auf Camps und Events und interviewte Frauen<br />

zu ihren Sitz-Problemen. Sie sprach mit Anfängerinnen und Pr<strong>of</strong>is, mit<br />

Rennradlerinnen und Mountainbikerinnen. Sie vermaß Schambeinwinkel<br />

von Männern und Frauen und verglich sie miteinander. Sie setzte<br />

die dreizehn Fahrerinnen des Canyon Sram Teams auf Satteldruckfolie<br />

und wandelte ihren Vulva-Abdruck auf dem Sattel in elektrische Signale<br />

um – nur, um sie danach in aller Deutlichkeit zu befragen, ob sie auch<br />

wirklich das empfinden, was die Sensoren anzeigen. Zusammen mit<br />

zwei Designerinnen entwarf sie insgesamt über 14 Prototypen, erst am<br />

3D-Drucker, dann an der CNC-Fräse.<br />

„Die Entscheidung für die Lochform stand relativ früh fest“, erklärt<br />

sie das finale Design, „aber es war total tricky, dieses Loch zu<br />

gestalten“. Um Schamlippen und Klitoris zu entlasten, wird das Hauptgewicht<br />

auf die beiden Sitzhöcker und den äußeren Schambeinbereich<br />

verteilt. Aber der Übergang zwischen Be- und Entlastung entscheidet<br />

darüber, ob das Konzept funktioniert: „Man muss aufpassen, dass man<br />

nicht zu hohe Kantendrücke erzeugt. Wir haben den Übergang so gestaltet,<br />

dass der Druck langsam und harmonisch ansteigt. Dafür haben<br />

wir echt am längsten gebraucht.“ Ist das Resultat nun also ein Frauensattel,<br />

der wirklich allen passt? Janina verneint; trotz Pionierinnen-Arbeit<br />

ist sie auf den Boden der Tatsachen geblieben. „Es wird immer<br />

Frauen geben, denen ein Männersattel besser passt – und andersherum.<br />

Körper sind einfach zu verschieden“, erklärt sie. Umso wichtiger<br />

findet sie es, dass mehr Frauen über ihre Sitzprobleme <strong>of</strong>fen und deutlich<br />

reden, dass sie ausprobieren und sich beraten lassen. Aber eins<br />

kann sie mit Sicherheit sagen: Bei allen Fahrerinnen, die die typischen<br />

Sitz-Beschwerden hatten, ist ihr Sattel eingeschlagen wie eine Bombe.<br />

In ihren Umfragen waren das etwa drei Viertel aller Frauen. Und so groß<br />

ist auch der Anteil bei den Canyon Sram Teamfahrerinnen, die ihren<br />

bisherigen Sattel gegen einen aus Janinas Produktlinie getauscht haben.<br />

Mit dieser Quote ist Janina zufrieden. Sie ist der Beweis, dass sich<br />

die Arbeit gelohnt hat – und dass wir noch viel mehr Mutige brauchen,<br />

die sich trauen, Tabus zu brechen.<br />

Text Hannah Röther Bild Ergon / Tino Pohlmann<br />

<strong>world</strong> <strong>of</strong> <strong>mtb</strong> Nº2.19<br />

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