world of mtb Magazin AllMountain & Tour 2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
DAMENSATTEL<br />
LINKS Grundlegende Daten über die Anatomie des weiblichen Beckens müssen Janina und ihr Team erst sammeln, bevor es an das eigentliche Design<br />
des Sattels geht. RECHTS „...Loch rein, fertig ist der Frauensattel?“ Der Schein trügt. Dieser Schlitz hat es in sich. Bild Ergon / Sascha Bamberg<br />
Das Rad neu erfinden – zumindest den Teil, auf dem wir sitzen<br />
Für Janina war es die Erfahrung am eigenen Körper, die ihr das Thema<br />
ihrer Masterarbeit in Erinnerung rief: Für ihr Rennrad – bei dem<br />
aufgrund der gestreckteren Sitzposition generell häufiger Beschwerden<br />
auftreten – fand sie nichts, „was nicht die kompletten Weichteile zerquetscht“.<br />
Das war der Auslöser für den Entwicklungsprozess, an dessen<br />
Ende heute eine waschechte Frauensattel-Linie steht. Peinliche Gespräche,<br />
gesellschaftliche Tabus, dürre Studienlage – von keiner dieser<br />
Hürden ließen sich Janina und ihr Entwicklerinnen-Team abhalten. Die<br />
Lösungen für die Probleme schuf sie sich kurzerhand selbst. Ein ganzes<br />
Jahr lang reiste sie auf Camps und Events und interviewte Frauen<br />
zu ihren Sitz-Problemen. Sie sprach mit Anfängerinnen und Pr<strong>of</strong>is, mit<br />
Rennradlerinnen und Mountainbikerinnen. Sie vermaß Schambeinwinkel<br />
von Männern und Frauen und verglich sie miteinander. Sie setzte<br />
die dreizehn Fahrerinnen des Canyon Sram Teams auf Satteldruckfolie<br />
und wandelte ihren Vulva-Abdruck auf dem Sattel in elektrische Signale<br />
um – nur, um sie danach in aller Deutlichkeit zu befragen, ob sie auch<br />
wirklich das empfinden, was die Sensoren anzeigen. Zusammen mit<br />
zwei Designerinnen entwarf sie insgesamt über 14 Prototypen, erst am<br />
3D-Drucker, dann an der CNC-Fräse.<br />
„Die Entscheidung für die Lochform stand relativ früh fest“, erklärt<br />
sie das finale Design, „aber es war total tricky, dieses Loch zu<br />
gestalten“. Um Schamlippen und Klitoris zu entlasten, wird das Hauptgewicht<br />
auf die beiden Sitzhöcker und den äußeren Schambeinbereich<br />
verteilt. Aber der Übergang zwischen Be- und Entlastung entscheidet<br />
darüber, ob das Konzept funktioniert: „Man muss aufpassen, dass man<br />
nicht zu hohe Kantendrücke erzeugt. Wir haben den Übergang so gestaltet,<br />
dass der Druck langsam und harmonisch ansteigt. Dafür haben<br />
wir echt am längsten gebraucht.“ Ist das Resultat nun also ein Frauensattel,<br />
der wirklich allen passt? Janina verneint; trotz Pionierinnen-Arbeit<br />
ist sie auf den Boden der Tatsachen geblieben. „Es wird immer<br />
Frauen geben, denen ein Männersattel besser passt – und andersherum.<br />
Körper sind einfach zu verschieden“, erklärt sie. Umso wichtiger<br />
findet sie es, dass mehr Frauen über ihre Sitzprobleme <strong>of</strong>fen und deutlich<br />
reden, dass sie ausprobieren und sich beraten lassen. Aber eins<br />
kann sie mit Sicherheit sagen: Bei allen Fahrerinnen, die die typischen<br />
Sitz-Beschwerden hatten, ist ihr Sattel eingeschlagen wie eine Bombe.<br />
In ihren Umfragen waren das etwa drei Viertel aller Frauen. Und so groß<br />
ist auch der Anteil bei den Canyon Sram Teamfahrerinnen, die ihren<br />
bisherigen Sattel gegen einen aus Janinas Produktlinie getauscht haben.<br />
Mit dieser Quote ist Janina zufrieden. Sie ist der Beweis, dass sich<br />
die Arbeit gelohnt hat – und dass wir noch viel mehr Mutige brauchen,<br />
die sich trauen, Tabus zu brechen.<br />
Text Hannah Röther Bild Ergon / Tino Pohlmann<br />
<strong>world</strong> <strong>of</strong> <strong>mtb</strong> Nº2.19<br />
95