GRO_Taschenbuch_MUSTER_2019
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Ich resignierte vor diesen Worten und ließ sie ohne weiteren Widerspruch<br />
ziehen. Die Situation, vor der ich mich die ganze Zeit am meisten<br />
gefürchtet hatte, war eingetreten. Es war der Tag vor Heiligabend.<br />
Bruno änderte sein Verhalten noch immer nicht. Mir gegenüber blieb<br />
er weiter ruhig und freundlich. Er nahm jetzt sogar vorsichtigen Kontakt<br />
zu Maurice auf. Einmal streichelte er ihm über die Wange, wenn<br />
auch ohne zu lächeln.<br />
Als ich Maurice die Windel wechselte, sah er mir zu und blieb sogar<br />
im Zimmer, als ich ihn an die Brust nahm. Er betrachtete uns nachdenklich.<br />
Kurzzeitig glaubte ich an eine Wende.<br />
Aber es dauerte nicht lange und ich spürte, wie sich der Feind in ihm<br />
erneut aufbaute. Ich erkannte ihn sofort, er war mein alter Vertrauter.<br />
Diesmal aber konzentrierte er sich weniger auf mich als auf mein<br />
Kind.<br />
Ich wünsche mir nichts so sehr, Paul, als dass du ein halbwegs gutes<br />
Bild von mir in deinem Kopf und Herzen behältst. Deshalb schreibe<br />
ich dir dies alles. Und damit du dieses Bild weitergibst an meinen<br />
Sohn, wenn die Zeit dafür gekommen ist. An unseren Sohn, deinen<br />
und meinen.<br />
All meine Instinkte richteten sich nun auf den Schutz meines Babys.<br />
Ich selbst war nur wichtig als die einzige Person, die ihm diesen Schutz<br />
gewähren konnte. Um mein Kind zu retten, hätte ich mein eigenes Leben<br />
sofort hingegeben.<br />
Meine Ahnungen, dass Bruno Maurice nach dem Leben trachtete,<br />
verdichteten sich immer mehr. Ein Leben mit einem Kind, das durch<br />
einen Betrug an ihm entstanden war, konnte und wollte er nicht führen.<br />
„Dann lass uns gehen“, sagte ich vorsichtig. „Mein Kind und mich.“<br />
Das sollte eine Aufforderung sein, aber es klang wie eine Frage.<br />
Bruno lächelte mich nur müde an.<br />
„Das ist nicht dein Ernst“, sagte er tonlos. „Dieses Balg hat mein Leben<br />
zerstört. Mit deiner Hilfe. Und ich soll euch gehen lassen?“<br />
Ich brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, dass er seine Worte<br />
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