GRO_Taschenbuch_MUSTER_2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Meine Frau mag die Nordsee“, sagte ich und gewann langsam an Sicherheit.<br />
„Gerade im Winter. Im Sommer ist sie lieber in den Bergen.“<br />
„Könnten Sie bitte zur Sache kommen“, meinte sie. „Ich habe gleich<br />
einen Termin.“<br />
„Ja, natürlich“, antwortete ich. „Entschuldigung. Es ist nur, weil die<br />
Sache etwas …“<br />
„… ungewöhnlich ist“, ergänzte sie meinen angefangenen Satz fast gelangweilt.<br />
„Ich weiß.“ Sie lächelte nicht mehr.<br />
„Ich habe mir gedacht“, sagte ich, „es wäre doch eine tolle Überraschung<br />
für meine Frau, wenn sie ihr Kind – das wäre dann mein Weihnachtsgeschenk,<br />
weshalb sie heute auch nicht mit hier ist – an der<br />
Nordsee zur Welt bringen könnte.“<br />
Marlies Schwalm war eine extrem beherrschte Frau, daran zweifelte<br />
ich nicht. Trotzdem schaffte sie es in diesem Moment nicht vollständig,<br />
sich unter Kontrolle zu halten. Vielleicht sah ich es aber auch nur,<br />
weil ich auf die Reaktionen in ihrem Gesicht lauerte wie ein Tiger auf<br />
Beute. Bevor sie etwas entgegnen konnte, hatte sie einen dicken Brocken<br />
hinunterzuschlucken.<br />
„Ich verstehe“, sagte sie. „Eine wirklich nette Idee. Was ich nicht verstehe,<br />
ist meine Rolle in dieser Angelegenheit.“<br />
Kaum merklich zitterte ihre Hand, als sie nun erneut ihre Kaffeetasse<br />
zum Mund führte. Ich sah ihr an, dass sie sich maßlos über sich selbst<br />
ärgerte.<br />
„Nun, Sie sind Hebamme.“ Meine Sicherheit wuchs während ihre<br />
schrumpfte. Meine Position in diesem Gespräch hatte sich klar verbessert.<br />
Locker lehnte ich mich zurück, ohne Marlies Schwalm auch<br />
nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. „Und eine Hebamme<br />
werden wir schon brauchen. Es ist zwar nicht das erste Kind, aber…<br />
ich stelle mir das so vor: Wir mieten ein Ferienhaus an der Nordsee,<br />
etwas abgelegen, vielleicht an der Küste bei Wilhelmshaven. Meiner<br />
Frau sage ich, dass wir ins Krankenhaus fahren, wenn es soweit ist. In<br />
Wahrheit aber rufe ich Sie, Frau Schwalm, rechtzeitig an. Sie kommen<br />
und es kann losgehen. Meine Frau wird Augen machen.“<br />
171