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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 106 · D onnerstag, 9. Mai 2019 – S eite 20 *<br />
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Sport<br />
So sehen Sieger aus: Mohamed Salah, Trainer Jürgen Klopp, Virgil van Dijk, Assistenztrainer Pepijn Lijndersund James Milner<br />
PA WIRE/PETER BYRNE<br />
Verrückter Herzschlag<br />
Der FC Liverpool hat schon oft Unmögliches möglich gemacht in Europapokal. Der Halbfinalsieg gegen den FC Barcelona stärkt noch mal den Klub des Klubs<br />
VonHendrik Buchheister,Liverpool.<br />
Das Stadion an der Anfield<br />
Road ist bekannt als ein<br />
Ort, an dem Unmögliches<br />
möglich wird. Es<br />
hat schon viele Nächte erlebt, die<br />
sich als Wunder oder Wahnsinn einstufen<br />
lassen. Ein Beispiel aus der<br />
jüngeren Vergangenheit wäre das<br />
Viertelfinale der Europa League 2016<br />
gegen Borussia Dortmund, das der<br />
FC Liverpool nach 0:2 und 1:3 noch<br />
4:3 gewann, was das Weiterkommen<br />
bedeutete. Oder das 3:0 in der vergangenen<br />
Saison in der Champions<br />
League gegen Manchester City.Oder<br />
das 5:2 gegen den AS Rom.<br />
Aber ein Spiel wie dieses? Hat die<br />
Anfield Road jemals ein Spiel erlebt<br />
wie dieses 4:0 gegen den FC Barcelona,<br />
das entgegen aller Aussichten<br />
nach dem 0:3 im ersten Treffen den<br />
Einzug ins Endspiel brachte? Ist in<br />
diesem Stadion jemals etwas Unmöglicheres<br />
möglich geworden?<br />
Die Mannschaft von Trainer Jürgen<br />
Klopp hat einen der größten<br />
Klubs Europas abgeschossen, mit<br />
genau dem Ergebnis, das nach dem<br />
Hinspiel nötig war. Sie hat Lionel<br />
Messi und seine Kollegen zu Zeugen<br />
des eigenen Untergangs gemacht.<br />
Und das ohne zwei der wichtigsten<br />
Spieler, ohne die verletzten Mohamed<br />
Salah und Roberto Firmino.<br />
An ihrer Stelle wurden Ersatz-Ersatz-Stürmer<br />
Divock Origi und der<br />
eingewechselte Mittelfeldmann Georginio<br />
Wijnaldum zu Helden mit jeweils<br />
zwei Treffern. Vor allem der<br />
letzte, das entscheidende Tor, war<br />
eine Demütigung für die Gäste. Ein<br />
Balljunge übergab das Spielgerät<br />
extraschnell an Trent-Alexander Arnold,<br />
der verzögerte die Ecke,Barcelona<br />
schlief, Origi traf. DerOrigi, der<br />
vor einem Jahr noch als Leihspieler<br />
mit demVfLWolfsburginder Relegation<br />
gegen Holstein Kiel spielte.<br />
Nach dem Schlusspfiff standen<br />
Liverpools Profis ArminArm vorder<br />
Kop-Tribüne. Die Fans sangen<br />
„You’llnever walk alone“, die heilige<br />
Hymne des Klubs. Sie kommt auch<br />
in anderen Stadien zur Aufführung,<br />
ist aber hier zu Hause.Die Momente<br />
am Ende dieser Nacht, die niemand<br />
der Anwesenden jemals vergessen<br />
dürfte –sie stehen sinnbildlich für<br />
die zum Kult stilisierte Einigkeit zwischen<br />
Klub,Fans,dem Stadion.<br />
Klopp ist der ideale Hüter dieses<br />
Kults. „Wir wissen, dass dieser Klub<br />
eine Mischung aus Atmosphäre,<br />
Emotionen, Verlangen und fußballerischer<br />
Qualität ist. Nimmt man eine<br />
Sache davon weg, funktioniert es<br />
nicht. Der Verein ist wie ein großes<br />
Herz –und heute hat es wie verrückt<br />
geschlagen“, sagte er. Auch wenn<br />
man das mit weniger Pathos betrachtet,<br />
ist es schwer,ihm zu widersprechen.<br />
Ohne die Stimmung im<br />
Stadion, ohne das Gebrüll, die Gesänge,die<br />
Pfiffe,wäredas 4:0 ebenso<br />
wenig möglich gewesen wie ohne die<br />
Leistung von Spielern wie Torwart<br />
Alisson, Abwehrchef Virgil van Dijk<br />
oder Kapitän Jordan Henderson.<br />
„Wir wissen, dass dieser Klub eine Mischung<br />
aus Atmosphäre, Emotionen, Verlangen und<br />
fußballerischer Qualität ist. Nimmt man eine<br />
Sache davon weg, funktioniert esnicht.“<br />
Jürgen Klopp kommt selten ohne Pathos aus, aber warum sollte der Trainer<br />
des FC Liverpool sich emotional zurückhalten nach diesem Spiel?<br />
Klopp, eigentlich bekennender<br />
Optimist, hatte im Vorlauf auf die<br />
Partie einen erstaunlich zurückhaltenden<br />
Eindruck gemacht. Grund<br />
dafür waren der Drei-Tore-Rückstand<br />
aus dem Hinspiel und die Abwesenheit<br />
vonSalah und Firmino.Er<br />
hatte versprochen, dass seine Mannschaft<br />
alles versuchen werde, das<br />
schon, aber ihm war klar gewesen,<br />
dass der Finaleinzug nahezu unmöglich<br />
sein würde.Wie gesagt: nahezu.<br />
Nach der Partie verneigte er<br />
sich vor dem Team: „Es ist unglaublich,<br />
was die Jungs geschafft haben.<br />
Siesind Mentalitätsgiganten.“<br />
Es gelingt Klopps Team gerade,<br />
neue Geschichten zu schreiben bei<br />
dem Verein, der so stolz ist auf seine<br />
Vergangenheit, auf die alten Geschichten.<br />
Das Spiel gegen Barcelona<br />
wirdkünftig zusammen mit anderen<br />
denkwürdigen Partien genannt<br />
werden. Mit dem Finale der<br />
Champions League von 2005 gegen<br />
den AC Mailand zum Beispiel, das<br />
Liverpool nach einem 0:3-Rückstand<br />
zur Pause noch gewann.<br />
Es war das bislang letzte Mal, dass<br />
der Klub den Silberpokal mit den riesigen<br />
Henkeln erbeutete. Zweimal<br />
scheiterte er danach im Endspiel.<br />
2007 gegen Mailand und im vergangenen<br />
Jahr gegen Real Madrid. Gerade<br />
diese Niederlage, dieses 1:3<br />
nach zwei Fehlern des damaligen<br />
Torhüters Loris Karius, fühlte sich<br />
brutal an. Möglicherweise sind es<br />
auch die Erinnerungen an die Nacht<br />
vonKiew,die Klopps Mannschaft am<br />
Dienstagabend gegen Barcelona beflügelt<br />
haben.„Wir haben im vergangenen<br />
Jahr gespürt, dass wir das<br />
nicht so stehen lassen können. Das<br />
ist unmöglich. Jetzt haben wir wieder<br />
die Chance und werden versuchen,<br />
sie zu ergreifen“, sagte der<br />
Trainer.<br />
Auch er hat wieder eine Chance.<br />
Nämlich die,seinen Rufals Finalverlierer<br />
zu korrigieren. Seine vergangenen<br />
sechs Endspiele endeten zu seinem<br />
Nachteil, unter anderem das in<br />
der Champions League mit Borussia<br />
Dortmund 2013 gegen den FC Bayern,<br />
das Finale der Europa League<br />
2016 mit Liverpool gegen den FC Sevilla<br />
und eben die Partie in Kiew gegen<br />
Real Madrid. Auch in der Premier<br />
League wird seine Mannschaft<br />
in dieser Saison wohl nur Zweiter<br />
hinter Manchester City,als besterVizemeister<br />
in der Geschichte der Premier<br />
League. Aber eben als Meisterschaftszweiter.<br />
Dabei ist der nationale Titel doch<br />
das,wonachLiverpool so sehr strebt<br />
nach fast drei Jahrzehnten des Wartens.<br />
Die Pflicht sozusagen. Die<br />
Champions League galt nur als Kür<br />
in dieser Saison. Davon war allerdings<br />
nichts zu spüren, als gegen<br />
Barcelona Unmögliches möglich<br />
wurde.<br />
Hendrik Buchheister<br />
hat das größte Fußballwunder<br />
seiner Karriere erlebt.<br />
Keiner haut den Lucas<br />
In der sechsten Minute der Nachspielzeit endet ein Fußballmärchen oder: Tottenham gewinnt gegen Ajax Amsterdam und steht im Finale der Champions League<br />
Tottenham Hotspur hat das Europacupmärchen<br />
vonAjax Amsterdam<br />
brutal beendet und ist erstmals<br />
in das Finale der Champions League<br />
eingezogen. Die Mannschaft von<br />
Mauricio Pochettino setzte sich im<br />
Halbfinalrückspiel beim niederländischen<br />
Rekordmeister nach einem<br />
0:2-Rückstand noch mit 3:2 (0:2)<br />
durch und trifft nun im zweiten rein<br />
englischen Finale der Königsklasse<br />
nach 2008 am 1. Juni in Madrid auf<br />
Ligakonkurrent FC Liverpool.<br />
Der Brasilianer Lucas mit einem<br />
Dreierpack (55., 59., 90.+6) machte<br />
das kleine Fußballwunder für die<br />
Engländer perfekt, denen bei ihrer<br />
vierten Teilnahme an der Königsklasse<br />
der ganz große Wurf winkt.<br />
Kapitän Matthijs de Ligt (5.) und Hakim<br />
Ziyech (35.) hatten zuvor Ajax<br />
scheinbar uneinholbar in Front gebracht,<br />
nachdem die jungen Wilden<br />
das Hinspiel in London bereits 1:0<br />
gewonnen hatten. Am Ende platzte<br />
aber für Amsterdam, das zuvor Real<br />
Madrid und Juventus Turin zwei<br />
Hochkaräter ausgeschaltet hatte,der<br />
Traum vomTriple.<br />
Vor52641 Zuschauerninder ausverkauften<br />
Johan-Cruyff-Arena legten<br />
die Hausherren los wie die Feuerwehr.<br />
Nachdem Hakim Ziyech und<br />
Dusan Tadic, der an Tottenhams<br />
Keeper Hugo Lloris scheiterte,Warnschüsse<br />
abgegeben hatten, führte<br />
die erste Ecke durch Lasse Schöne<br />
zur Führung. De Ligt erzielte per<br />
Kopf seinen zweiten Treffer in der<br />
Königsklasse.<br />
Der dreifache Lucas: das 2:3 in der Nachspielzeit<br />
IMAGO IMAGES/BRADLEY COLLYE<br />
Nur 60Sekunden später vergab<br />
Heung-MinSon,der im Hinspiel gesperrtwar,eine<br />
große Chance für die<br />
Gäste.Der Südkoreaner traf aber nur<br />
den Pfosten. In der zehnten Minute<br />
vergab Dele Alli in Abseitsposition<br />
eine weitereguteMöglichkeit für die<br />
Mannschaft von Pochettino, der<br />
nach wie vor auf seinen Torjäger<br />
HarryKane verzichten musste.<br />
Anschließend lieferten sich beide<br />
Teams zunächst einen offenen<br />
Schlagabtausch, ehe Tottenham<br />
nach und nach das Kommando<br />
übernahm. Son (23.) und Christian<br />
Eriksen (24.) hatten noch vor der<br />
PauseChancen zum Ausgleich. Tadic<br />
(31.) hätte auf der anderen Seite aber<br />
auch einen guten Konter zum 2:0 für<br />
die Hausherren abschließen kön-<br />
nen, ehe Ziyech es besser machte<br />
und mit seinem dritten Treffer im<br />
laufenden Wettbewerb für die Vorentscheidung<br />
sorgte.<br />
Nach Wiederanpfiff des guten<br />
Schiedsrichters Felix Brych setzten<br />
die Spurs noch einmal alles auf eine<br />
Karte. Die aufmerksame Ajax-Abwehr<br />
vordem starken TorwartAndre<br />
Onana, der in der 54. Minute gegen<br />
Dele Alli eine Glanzparade zeigte,<br />
ließ aber zunächst nichts anbrennen.<br />
Nach dem Doppelpack vonLucas<br />
Moura war Tottenham am Drücker.<br />
Ajax konnte sich zunächst von<br />
dem Druck wieder befreien, ehe Lucas<br />
die Gastgeber ins Talder Tränen<br />
stürzte. Zuvor hatte noch Ziyech in<br />
der 79. Minute für Ajax noch den<br />
Pfosten getroffen. (sid)