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Berliner Zeitung 09.05.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 106 · D onnerstag, 9. Mai 2019 – S eite 9 *<br />

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Berlin<br />

Kieznachrichten:<br />

Neues aus<br />

den Bezirken<br />

Seite10<br />

Umstritten: Baustadtrat Florian Schmidt über die Bergmannstraße Seite 12<br />

Erklärungsbedürftig: Fragwürdige Geschäfte an der Karl-Marx-Allee Seite 14<br />

Stadtbild<br />

Plädoyer für<br />

die Normalität<br />

Jochen Knoblach<br />

hat eine Widerstandszelle<br />

gegenden Optimierungswahn<br />

entdeckt.<br />

Esgibt Menschen, die gehen nicht<br />

einfach irgendwo essen oder etwas<br />

kaufen. Nein, sie gehen zu ihrem<br />

Lieblings-Italiener, Lieblings-Thai<br />

oder Lieblings-Späti. Dasklingt nach<br />

Stammgast und hat sogar was Intimes.<br />

Mich macht das immer sehr<br />

skeptisch, und wenn ich nachfrage,<br />

erfahreich meist, dass sich die Lokalität<br />

damit als Liebling qualifiziert<br />

hat, dass sie vonder heimischen Mikrowelle<br />

und Tiefkühlkostdeponie<br />

am schnellsten zu erreichen ist. Das<br />

Liebling-Irgendwas ist also eigentlich<br />

die bequeme Gewohnheit um<br />

die Ecke.<br />

Bis vor kurzem gab es für mich<br />

kein Lieblings-Irgendwas, jetzt aber<br />

habe ich ein Lieblings-Café. Es ist sowohl<br />

von meinem Wohn- wie von<br />

meinem Arbeitsort kilometerweit<br />

entfernt und somit einigermaßen<br />

unverdächtig, nur eine Gewohnheit<br />

zu sein. Ich mag es wirklich. Es ist<br />

unscheinbar und hat nicht mal einen<br />

Namen. Genau genommen ist<br />

es gar kein Café, sondern ein Lotto-<br />

Laden, in dem man aber eben auch<br />

einen Kaffee bekommen kann, der<br />

mit selten gewordener, aber sympathischer<br />

Normalität eine geradezu<br />

einzigartige Besonderheit erlangt.<br />

„Mittelguter Filterkaffee“ steht auf<br />

einer kleinen gelben Fahne, die die<br />

Ladenbesitzerin draußen neben das<br />

Schaufenster gehängt hat. Mittelgut!<br />

Es wird nicht die beste Barista-<br />

Schöpfung seit Erfindung des Kaffeeröstverfahrens<br />

versprochen, kein<br />

per Bio-Mandelmilch auf laktosefrei<br />

getrimmter Latte macchiato und<br />

kein Espresso extra Shot aus handverlesenen<br />

Arabica-Bohnen, sondern<br />

einfach Kaffee –koffeinhaltig,<br />

ehrlich, günstig. Das Sterni unter<br />

den Heißgetränken.<br />

Der kleine Laden an der Straße<br />

der Pariser Kommune in Friedrichshain<br />

ist ein liebenswertes Antiquariat,<br />

das an eine Zeit erinnert, in der<br />

noch nicht alles Mega sein wollte,<br />

naturbekokste Kompetenzsimulanten<br />

die Ausnahme waren, und man<br />

sich nicht im Traum vorstellen<br />

konnte, dass die kaputt gesparten<br />

<strong>Berliner</strong> Verkehrsbetriebe ihre zahlende<br />

Kundschaft nicht nur mit<br />

wechselnder Zuverlässigkeit in überfüllten<br />

Bahnen bedienen, sondern<br />

sie auch noch mit dem Spruch „Weil<br />

wir Dich lieben“ verarschen.<br />

Mein Lieblingscafé mit seiner<br />

Mittelguten-Kaffee-Flagge ist eine<br />

revolutionäre Zelle des Widerstands<br />

gegen den Schneller-besser-größer-<br />

Heckmeck und ein Plädoyer für die<br />

Normalität. Zugegeben, das Fähnchen<br />

könnte auch nur eine Vermarktungsidee<br />

für den tatsächlich durchschnittlichen<br />

Kaffee sein. Nicht unmöglich,<br />

aber wenigstens auch nicht<br />

völlig unsympathisch.<br />

Koffeinhaltig,ehrlich, günstig: das Sterni<br />

unter den Heißgetränken. BLZ/KNOBLACH<br />

Parkmanager Cengiz Demirci will, dass Besucher nicht an Dealer-Spalieren vorbeigehen müssen und hat deshalb Farbmarkierungen auf den Boden gesprüht.<br />

Platzanweiser für Dealer<br />

Der Manager des Görlitzer Parks will Drogenhändlern markierte Standorte zuweisen. Das sorgt für Kritik<br />

VonAndreas Kopietz<br />

Mit einer neuen Idee für<br />

den Görlitzer Park<br />

macht Kreuzberg von<br />

sich Reden. DieDealer<br />

bekommen jetzt Standplätze zugewiesen,<br />

damit sich die vorbeilaufenden<br />

Parkbesucher nicht bedrängt<br />

fühlen. Der vom Bezirk eingesetzte<br />

Parkmanager hat am Eingang und<br />

im Park mit rosa Farbe Rechtecke auf<br />

den Boden gesprüht. Diese Stellen<br />

markieren, wo die Rauschgifthändler<br />

stehen sollen.„Das ist keine Legalisierung<br />

des Verkaufs“, sagte Parkmanager<br />

Cengiz Demirci der RBB-<br />

Abendschau. „Die Menschen sollen<br />

nicht an einem Spalier von Dealern<br />

vorbeigehen“, sagte Demirci.<br />

Seit zwei Jahren sind sogenannte<br />

Parkläufer im Auftrag des Bezirksamtes<br />

Friedrichshain-Kreuzberg in<br />

der Grünanlage unterwegs. Sie sind<br />

Ansprechpartner für die Dealer und<br />

sollen allen ein friedliches Nebeneinander<br />

ermöglichen und die Dealer<br />

eventuell in ehrliche Arbeit vermitteln.<br />

39 PolizeieinsätzeimApril<br />

Allerdings werden auch auf diese<br />

Weise weder der Bezirknoch die Polizei<br />

des Drogenproblems Herr. Eine<br />

Null-Toleranz-Strategie des früheren<br />

CDU-Innensenators fand ihr Ende<br />

mit dessen Abwahl 2016. Vonden regelmäßigen<br />

Polizeikontrollen – im<br />

Aprilgab es 39 –lassen sich die Dealer,<br />

überwiegend Flüchtlinge aus<br />

Afrika, nicht beeindrucken. Nach internen<br />

Polizeiunterlagen, die der<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> vorliegen, geht die<br />

zwischenzeitlich gesunkene Zahl der<br />

mit dem Drogenhandel verbundenen<br />

Straftaten im Görlitzer Park wieder<br />

hoch. Demnach erfasste die Polizeiimvergangenen<br />

Jahr 182 Körperverletzungen<br />

–das sind 36 mehr als<br />

im Jahr 2017. Auch bei Raubtaten<br />

gibt es eine steigende Tendenz.<br />

Umso mehr stößt die Idee des<br />

Parkmanagers für den Umgang mit<br />

den Rauschgiftverkäufern auf heftige<br />

Kritik. VonKapitulation vor den<br />

Dealernist allenthalben die Rede.<br />

Wermit Drogen handelt, begehe<br />

Der Görlitzer Park ist laut<br />

Polizei ein „kriminalitätsbelasteter<br />

Ort. Einer internen<br />

Auswertung zufolgeerfasste<br />

die Polizei dort182 Körperverletzungen<br />

–35mehr als<br />

2017. Seit Jahresbeginn gab<br />

es bis 6. Mai 57 Körperverletzungen<br />

–sechs mehr als<br />

im Vergleichszeitraum 2018.<br />

MEHR KÖRPERVERLETZUNGEN<br />

Die Zahl gefährlicher und<br />

schwerer Körperverletzungen<br />

(etwa mit Messern) summierte<br />

sich vonJanuar bis 6.<br />

Mai auf 27 –das sind neun<br />

mehr als im Vergleichszeitraum<br />

2018. VonJanuar bis<br />

6. Mai wurden 17 Raubtaten<br />

registriert. 2018 waren es<br />

55 und 2017 nur 30.<br />

Die Polizei war vonJanuar<br />

bis 6. Mai 118 mal im<br />

„Görli“ im Einsatz, überprüfte<br />

978 Personen, verwies 625<br />

Personen des Parks und<br />

stellte 150 Verstöße gegen<br />

das Aufenthaltsgesetz fest.<br />

Bei den Einsätzen wurden<br />

13 Beamte angegriffen, von<br />

denen acht verletzt wurden.<br />

Hier stehen keine Dealer.Die meiden nämlich die vorgegebenen Markierungen. ERIC RICHARD<br />

eine Straftat, sagt Benjamin Jendro<br />

von der Gewerkschaft der Polizei<br />

(GdP). „Die politisch Verantwortlichen<br />

müssen langsam aber sicher<br />

entscheiden, was für einen Park sie<br />

wollen. Wenn er Drogen- und damit<br />

Kriminalitätsfrei werden soll,<br />

braucht es dauerhaften polizeilichen<br />

Druck, juristische Entschlossenheit<br />

und politische Rückendeckung.<br />

Wenn man Kriminelle als Nutzer des<br />

Parks neben spielenden Kindern integrieren<br />

möchte, sind rosafarbene<br />

Striche zur genauen Positionierung,<br />

um Cannabis, Heroin und andere<br />

Drogen zu verticken, sicher eine gute<br />

Beihilfe.“ Vonjuristischer Entschlossenheit,<br />

wie vonder GdP gewünscht,<br />

ist nach Angaben von Fahndern jedoch<br />

keine Rede. „Es gibt nicht mal<br />

einen Haftbefehl, wenn Dealer mit<br />

20 oder 30 Gramm Cannabis erwischt<br />

werden“, sagt ein Polizist.<br />

Drastische Worte kommen auch<br />

vonder CDU. „Die Standflächen-Zuweisung<br />

für Drogendealer im Görli<br />

durch den Parkmanager ist eine Einladung<br />

zum Rechtsbruch und ein<br />

Verrat der Anwohner-Interessen des<br />

Grünen-Bezirks Friedrichshain-<br />

Kreuzberg“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende<br />

Burkard Dregger.<br />

„Mit der Zuweisungs-Praxis wandelt<br />

das Bezirksamt den Görlitzer Park<br />

BLZ/MARKUS WÄCHTER<br />

jetzt offiziell in einen Drogenmarkt<br />

um. Es unterstützt den Drogenhandel<br />

der organisierten Kriminalität.“<br />

Dasmüsse strafrechtliche und politische<br />

Folgen haben.<br />

Der Kreuzberger CDU-Abgeordnete<br />

Kurt Wansner erklärte: „Es ist<br />

völlig absurdund nicht hinnehmbar,<br />

wenn der Bezirk nunmehr selbst auf<br />

diese Weise mit seinen Parkmanagern<br />

den Drogenverkauf und den<br />

Konsum im Görlitzer Park fördert.<br />

Damit ignorierterden Gesundheitsschutz<br />

und torpediert alle Bemühungen,<br />

das Drogenproblem dort in<br />

den Griff zu bekommen.“<br />

Der FDP-Politiker Marcel Luthe<br />

befindet: „Einmal mehr offenbart<br />

sich die Farce, wenn dieser Senat von<br />

der Bekämpfung der Organisierten<br />

Kriminalität spricht, aber gleichzeitig<br />

die bekannte Geldquelle der Clans in<br />

einem öffentlichen Park wissentlich<br />

duldet.“ WerOrganisierte Kriminalität<br />

wirksam bekämpfen wolle,müsse<br />

ihrefinanzielle Macht brechen –und<br />

diese liege auch im offenen Drogenhandel.<br />

Ausweitung statt Verdrängung<br />

DasBezirksamt wusste nach eigenen<br />

Angaben nichts von der Idee seines<br />

Parkmanagers.„Solange Konsumenten<br />

und Kunden in den Park kommen,<br />

wirdesauch Verkäufer geben“,<br />

sagt Baustadtrat Florian Schmidt<br />

(Grüne). „Den Drogenverkauf können<br />

wir als Kommune nicht eindämmen.<br />

Er wird also höchstens in andereGegenden<br />

verdrängt. Im Görlitzer<br />

Park müssen wir mit den bestehenden<br />

Realitäten umgehen.<br />

Kriminalitätsbekämpfung ist Aufgabe<br />

der Polizei.“<br />

Seit Jahren ist der Görlitzer Park<br />

eine bei Partygängernund Touristen<br />

international bekannte Adresse, weil<br />

bekannt ist, dass man dort Marihuana,<br />

Cannabis und inzwischen<br />

auch harte Drogen wie Crystal Meth<br />

und Heroin kaufen kann. Allerdings<br />

machen sich Dealer offenbar auch in<br />

den benachbarten Straßen breit. Polizisten<br />

berichten davon, dass sich<br />

die Dealerszene inzwischen in den<br />

angrenzenden Wrangelkiez ausgedehnt<br />

habe.<br />

Steinmeier lädt<br />

zur Kaffeetafel<br />

ins Schloss<br />

Leser der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

bei Grundgesetz-Feier dabei<br />

Bundespräsident<br />

Frank-Walter<br />

Steinmeier wird den 70. Geburtstag<br />

des Grundgesetzes am<br />

23. Mai groß feiern. An mehr als<br />

20 Kaffeetafeln sollen im Park von<br />

Schloss Bellevue gut 200 Bürger mit<br />

den Spitzen der Verfassungsorgane<br />

ins Gespräch kommen. Neben Steinmeier<br />

werden<br />

Bundestagspräsident<br />

Wolfgang<br />

Schäuble, Bundeskanzlerin<br />

Angela<br />

Merkel,<br />

Bundesratspräsident<br />

Daniel<br />

Günther sowie<br />

der Präsident Steinmeier lädt in<br />

des Bundesver-<br />

den Schlosspark.<br />

fassungsgerich-<br />

tes, Andreas Voßkuhle, ab14Uhr an<br />

der Kaffeetafel teilnehmen. Auch<br />

fünf Leser der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> gehörenzuden<br />

geladenen Gästen: Ein16-<br />

Jähriger aus Blankenfelde-Mahlow,<br />

ein Ehepaar aus Friedrichshagen,<br />

eine Frau aus Kaulsdorf sowie eine<br />

Dame aus Heiligensee. Große <strong>Zeitung</strong>en<br />

hatten ihre Leser aufgefordert,<br />

sich zu bewerben, und dann<br />

ausgewählt. Prominente wie TV-Moderatorin<br />

SandraMaischberger oder<br />

Schlagersänger Roland Kaiser werden<br />

die Gespräche an den Kaffeetafeln<br />

moderieren. (BLZ)<br />

GETTY IMAGES<br />

Mauerpark<br />

bleibt Bühne für<br />

Musiker<br />

Bezirksamt legt klare Regeln<br />

für Straßenmusiker fest<br />

Der MauerparkinPrenzlauer Berg<br />

bleibt diesen Sommer eine kostenfreie<br />

Spielstätte für Straßenmusiker<br />

– trotz Beschwerden genervter<br />

Anwohner. Allerdings hat das Bezirksamt<br />

strengereRegeln für das Musizieren<br />

festgelegt.<br />

Demnach dürfen Musiker nur<br />

noch entlang des Pflasterweges spielen,<br />

vonmontags bis donnerstags von<br />

11 bis 19.30 Uhr und an Freitagen,<br />

Wochenenden und Feiertagen von11<br />

bis 20.30 Uhr. Damit laute Musik die<br />

Nachbarnnicht stört, dürfen die Musiker<br />

nur in Richtung Ostenspielen –<br />

in Richtung Stadion.<br />

Grillen bleibt erlaubt von Juni bis<br />

August von8bis 21 Uhrund ansonsten<br />

von 8bis 20 Uhr. Nur Standgrills<br />

sind erlaubt. Hunde müssen an der<br />

Leine gehalten werden.<br />

Bezirksbürgermeister Sören Benn<br />

(Linke) sagte, die Regeln würden am<br />

Saisonende ausgewertet. In mehrerenGesprächsrunden<br />

haben Anwohner,<br />

Mitglieder des Vereins Freunde<br />

des Mauerparks und Straßenmusiker<br />

monatelang über ein Konzept diskutiert.„Nichtalle<br />

Ideenkonnten schon<br />

umgesetzt werden, nicht alle Interessenkonflikte<br />

aufgelöst werden“, sagte<br />

Benn. „Der Prozess der Beteiligung<br />

geht weiter.“ DerVerein Freunde des<br />

Mauerparks lobt den Bezirksbürgermeister.Benn<br />

habe seine Autorität in<br />

die Waagschale geworfen, um eine<br />

„praktikable und versöhnliche Lösungen<br />

zu finden“. (str.)

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