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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 106 · D onnerstag, 9. Mai 2019 5 *<br />
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Politik<br />
Der iranische Präsident Hassan Ruhani besuchte im Januar 2015 das AtomkraftwerkBuschehr.<br />
AFP<br />
Die Rückkehr der Nuklearkrise<br />
Der Iran droht mit dem Ausstieg aus dem Abkommen, das sein Atomprogramm drosseln sollte. Die USA setzen auf Härte. Droht eine Eskalation in dem Konflikt?<br />
VonMarina Kormbaki<br />
Das 2015 geschlossene Abkommen<br />
über das iranische<br />
Atomprogramm<br />
steht vor dem Aus. Nach<br />
dem Ausstieg der USA voreinem Jahr<br />
versuchten die Europäer den Deal zu<br />
retten, indem sie dem Iran weiterhin<br />
trotz der in Kraft getretenen US-<br />
Sanktionen den Handel mit Öl ermöglichen<br />
wollten. Im Gegenzug<br />
sollte dieser von seinem Atomprogramm<br />
ablassen. Doch diese Notlösung<br />
greift offenbar nicht. Der Iran<br />
fordert mehr wirtschaftlichen Ausgleich<br />
–und stürzt die Europäer damit<br />
ins Dilemma. Wie weiter? Die<br />
wichtigsten Fragen und Antworten<br />
im Überblick.<br />
Hat der Iran das Atom-Abkommen aufgekündigt?<br />
Im Gegensatz zu US-Präsident<br />
Donald Trump, der das Nuklearabkommen<br />
vor genau einem Jahr einseitig<br />
aufgekündigt hatte, hat Irans<br />
Präsident Ruhani seinen Willen zur<br />
Vertragstreue bekundet. Ruhani zufolge<br />
sind nun die europäischen Vertragspartner<br />
am Zug: Deutschland,<br />
Großbritannien und Frankreich. In<br />
seiner am Mittwoch ausgestrahlten<br />
Fernsehansprache setzte Ruhani<br />
den Europäern ein Ultimatum: Sie<br />
könnten den Deal noch retten, indem<br />
sie binnen 60 Tagen dem Iran<br />
die Wiederaufnahme seines Ölexports<br />
ermöglichen. Dann aber würden<br />
die Europäer, ihre Banken und<br />
Unternehmen mit US-Sanktionen<br />
belegt. Siestecken im Dilemma.<br />
Womit droht der Iran?<br />
Laut Internationaler Atomenergiebehörde<br />
hält sich Teheran bisher<br />
an den Deal. Nun hat Ruhani angekündigt,<br />
sein Land werde absofort<br />
damit beginnen, überschüssiges<br />
Uran und sogenanntes schweres<br />
Wasser aus seinem zivilen Atomprogramm<br />
zu behalten, statt dies wie<br />
bisher auszutauschen oder zu verkaufen.<br />
Sollten die Europäer nicht<br />
imstande sein, binnen der Frist die<br />
Wirtschaft Irans für die umfassenden<br />
US-Sanktionen zu kompensieren,<br />
werdedieser den Baudes Atomreaktors<br />
Arak wiederaufnehmen.<br />
Dann sähe sich der Iran auch nicht<br />
mehr an die im Abkommen vorgesehene<br />
Begrenzung der Anreicherung<br />
von atomwaffenfähigem Uran gebunden.<br />
Ist der Iran bald Atommacht?<br />
Das 2015 unterzeichnete Atomabkommen<br />
mit dem Iran sah keinen<br />
endgültigen Stopp seines Atomprogramms<br />
vor, sondern lediglich eine<br />
Aussetzung bis 2030. Auch wenn der<br />
Iran jetzt mit der Umsetzung der<br />
Drohungen Ruhanis beginnen<br />
würde, machte ihn das nicht schon<br />
bald zur Atommacht. Langfristig<br />
aber würde er sich wieder in diese<br />
Richtung bewegen –und damit Anlass<br />
zur weiteren Spannungen in der<br />
Region und mit dem Westen bieten.<br />
Warumsetzen die USA auf Konfrontation?<br />
US-Präsident Trump nennt das<br />
Nuklearabkommen den „schlechtesten<br />
Deal aller Zeiten“. Er würde<br />
den WegIrans zur Atombombe nur<br />
hinauszögen, nicht aber abschneiden.<br />
Zudem werfen die USA dem<br />
Mullah-Regime vor, Raketentests<br />
durchzuführen und Terrorgruppen<br />
im Mittleren Osten zu fördern. Beides<br />
bestreiten auch die Europäer<br />
nicht. Sie verweisen allerdings darauf,<br />
dass diese Punkte nicht Teil des<br />
Deals sind. Während sie gern auf<br />
Grundlage des Vertrags Iran zu weiterer<br />
Abrüstung im Gegenzug für<br />
wirtschaftlichen Aufschwung bewegen<br />
wollen, setzen die USA auf<br />
Härte.<br />
Droht eine militärische Eskalation?<br />
Nur wenige Tage vor der Verlautbarung<br />
des Iran, aus dem Abkommen<br />
aussteigen zu wollen, haben die<br />
USA den Flugzeugträger „USS Abraham<br />
Lincoln“ und eine Bomberstaffel<br />
an den Persischen Golf verlegt.<br />
„Als Antwort auf eine Reihe beunruhigender<br />
und eskalierender Indizien<br />
und Warnungen“ wollte US-Sicherheitsberater<br />
John Bolton diesen<br />
Schritt verstanden wissen. Am<br />
Dienstag traf dann US-Außenminister<br />
Mike Pompeo überraschend in<br />
der irakischen Hauptstadt Bagdad<br />
ein –eigentlich sollte er an dem Tag<br />
Kanzlerin Angela Merkel in Berlin<br />
treffen. Der Irak müsse über die zunehmende<br />
Bedrohung informiert<br />
werden, sagte Pompeo.InBagdad ist<br />
die Sorgegroß, im Falle einer militärischen<br />
Zuspitzung selbst ins Fadenkreuz<br />
zu geraten: Weil das US-Festland<br />
für iranische Angriffe unerreichbar<br />
ist, könnten US-Einrichtungen<br />
im Irak sowie mit den USA<br />
kooperierende Institutionen in den<br />
Fokus der Mullahs rücken. Undauch<br />
auf wirtschaftlicher Seite fahren die<br />
USA einen harten Kurs. Am Mittwochabend<br />
verhängen die Vereinigten<br />
Staaten neue Wirtschaftssanktionen<br />
gegen den Iran, die vor allem<br />
die Bergbau- und Stahlbranche des<br />
Landes treffen sollen.<br />
Wasmachen nun die Europäer?<br />
Die Sorge vor einer nuklearen<br />
Aufrüstung des Irans ist groß, Europa<br />
würde die Folgen einer militärischen<br />
Eskalation unmittelbar zu spüren<br />
bekommen. Der bisherige Versuch<br />
von Deutschen, Briten und Franzosen,<br />
über die neu gegründete Zweckgesellschaft<br />
„Instex“ den Ölhandel<br />
mit dem Iran aufrechtzuerhalten,<br />
fruchten offenbar nicht. Weitere<br />
Maßnahmen zur Stabilisierung der<br />
iranischen Wirtschaft stehen ihnen<br />
nicht zur Verfügung –außer, sie riskieren<br />
den offenen Bruch mit den<br />
USA, was sehr unwahrscheinlich ist.<br />
Die Ratlosigkeit ist nun groß. Aus<br />
den Machtzentralen in Brüssel, Berlin,<br />
London und Paris war am Mittwoch<br />
zunächst nur lautes Schweigen<br />
zu vernehmen. Am Nachmittag traf<br />
Außenminister Heiko Maas vor die<br />
Presse. Ersei „nicht einverstanden“<br />
mit dem Schritt des Iran. „Wir haben<br />
die Ankündigungen des Irans mit<br />
großer Sorge vernommen und werden<br />
uns das nun sehr genau anschauen.“<br />
Die Europäer wollten das<br />
Abkommen erhalten, so Maas.Amerikaner<br />
und Iraner sehen es offenbar<br />
anders.<br />
„Soziale Sicherheit ist das beste Rezept gegen Rechtspopulismus“<br />
Der Niederländer Frans Timmermans möchte Präsident der EU-Kommission werden. Im Interview erklärt der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten seine Sicht auf Europa<br />
Der Niederländer Frans Timmermans<br />
(58) führt die europäischen<br />
Sozialdemokraten in die Europawahl<br />
Ende Mai. Timmermans ist<br />
seit fünf Jahren Vizepräsident der<br />
EU-Kommission; sein Fachgebiet<br />
sind Rechtsstaatsfragen.<br />
Siewollen EU-Kommissionschef werden.Wassind<br />
IhredreiPrioritäten für<br />
die ersten 100 Tage im Amt?<br />
Nachhaltigkeit, Parität, Soziales.<br />
Zur Nachhaltigkeit: Jede Kommissarin,<br />
jeder Kommissar soll künftig<br />
Maßnahmen zur Erreichung der 17<br />
Ziele für nachhaltige Entwicklung<br />
der Vereinten Nationen definieren<br />
und umsetzen. Zur Parität: Die Regierungschefs<br />
sollen je zwei Kandidaten<br />
für die EU-Kommission vorschlagen<br />
–darunter mindestens eine<br />
Frau. Dieneue Kommission wirdzur<br />
Hälfte weiblich sein –mindestens.<br />
Ich will auch die ungleiche Bezahlung<br />
zwischen Männernund Frauen<br />
beenden. In Deutschland gibt es immer<br />
noch einen Unterschied in von<br />
20 Prozent. Unerträglich! UndimSozialbereich<br />
will ich ein Programm<br />
auf den Wegbringen, das zum Beispiel<br />
sicherstellt, dass es in jedem<br />
EU-Staat einen Mindestlohn gibt.<br />
Wiehoch soll der Mindestlohn sein?<br />
Er soll bei etwa 60 Prozent des<br />
mittleren Lohns liegen. Damit könnten<br />
wir dem Auseinandertreiben unserer<br />
Gesellschaften entgegenwirken<br />
und die Mittelschicht stärken. Soziale<br />
Sicherheit ist das beste Rezept gegen<br />
Rechtspopulismus.Gerade wir als Sozialdemokraten<br />
sind jetzt gefragt, für<br />
mehr Gerechtigkeit zu sorgen, auch<br />
durch Umverteilung.<br />
Juso-Chef Kevin Kühnert hat hierzulande<br />
mit grundlegender Kapitalismus-Kritik<br />
eine hitzige Debatte entfacht.<br />
Haterrecht?<br />
Richtig ist, dass in der neuen, digitalen<br />
Ökonomie neue Regeln und<br />
auch neue Methoden der Umverteilung<br />
notwendig sind, damit dieWirtschaft<br />
auch künftig für den Wohlstand<br />
aller arbeitet –und nicht nur<br />
für den Profit einiger weniger. Enteignungen<br />
zum Beispiel zählen allerdings<br />
für mich zu den alten Methoden.<br />
Lasst uns lieber über die<br />
Sharing Economy, faire Steuern und<br />
gerechte Bezahlung reden. Und darüber,<br />
wie wir den Kapitalismus, gerade<br />
auch die Digitalkonzerne,künftig<br />
besseren und faireren Regeln unterwerfen.<br />
Sollten Sozialdemokraten häufiger<br />
die Systemfrage stellen?<br />
In unseren Gesellschaften ist etwas<br />
ins Rutschen geraten, es geht<br />
nicht mehr weiter wie bisher. Die<br />
Menschen spüren das und haben<br />
ein Riesenbedürfnis nach mehr Gerechtigkeit<br />
und auch mehr Nachhaltigkeit.<br />
Da müssen wir Sozialdemokraten<br />
klarer als bisher sein. Und<br />
wir müssen wieder mehr Bündnisse<br />
ZUR PERSON<br />
Frans Timmermans (58) ist niederländischer Sozialdemokrat. VonNovember 2012 bis Oktober<br />
2014 war er Außenminister seines Landes.<br />
Nach der Europawahl 2014 wurde Timmermans Erster Vizepräsident und Stellvertreter von<br />
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.Erist Spitzenkandidat für die Sozialdemokraten<br />
für die Europawahl 2019.<br />
AFP<br />
schließen. Ichwünsche mir einWiedererstarken<br />
der Gewerkschaften.<br />
Sie kennen die Lebenswirklichkeit<br />
der Menschen, da müssen wir hin.<br />
Die schwedische Klimaaktivistin<br />
Greta Thunberg führt uns vor Augen,<br />
dass es selbst bei den jungen<br />
Leuten ein großes Bedürfnis gibt,<br />
sich zusammenzuschließen, sich zu<br />
organisieren und politisch zu engagieren.<br />
Finden Sieesokay,wenn Jugendliche<br />
für Klima-Demos die Schule schwänzen?<br />
Meine zwei jüngsten Kinder, 13<br />
und fast 15 Jahre alt, haben mich gefragt,<br />
ob sie bei den „Fridays for Future“-Protesten<br />
mitmachen sollten.<br />
„Es ist eure Zukunft, es ist eure Entscheidung“,<br />
habe ich geantwortet.<br />
Und sie wollten gerne mitmachen.<br />
Meine Frau und ich unterstützen das.<br />
Können Siesich jetzt, da Ungarns Ministerpräsident<br />
Viktor Orban mit Ihrem<br />
konservativen Konkurrenten<br />
Manfred Weber gebrochen hat, ein<br />
Bündnis mit der EuropäischenVolkspartei<br />
nach der Wahl vorstellen?<br />
Nein. Orban ist ja nicht das einzige<br />
Problem der EVP. Die neue<br />
Garde in der EVP hat keine Hemmungen<br />
gegenüber den Rechtspopulisten.<br />
Österreichs Kanzler Kurz<br />
regiert mit der rechten FPÖ, die den<br />
Identitären nahesteht. Der italienische<br />
EU-Parlamentspräsident Tajani<br />
tut alles, ummit dem rechten Lega-<br />
Chef Salvini in Italien zu koalieren.<br />
Dabei hat gerade die Wahl in Spanien<br />
gezeigt, was Konservativen widerfährt,<br />
die das Programm der<br />
Rechten kopieren: Siescheitern.<br />
Halten Sie die Warnungen vor einem<br />
Erstarken der Rechten für übertrieben?<br />
Siesind gerechtfertigt. Europa ist<br />
nicht unzerbrechlich. Innerhalb<br />
und außerhalb der EU werkeln zurzeit<br />
viele an ihrer Zerstörung.<br />
Manchmal befürchte ich, wir sind<br />
Schlafwandler, die arglos in die Katastrophe<br />
taumeln –ähnlich wie unsereVorfahren<br />
vordem Ersten Weltkrieg.<br />
Ist Russland eine Bedrohung für Europa?<br />
Russland ist wirtschaftlich wie<br />
politisch eine Bedrohung für sich<br />
selbst und in diesem Sinne letztlich<br />
auch für Europa. Die außenpolitische<br />
Strategie Russlands basiert<br />
vielfach auf Destabilisierung –auch<br />
jetzt, bei der Europawahl, indem<br />
Putin europäische Rechtspopulisten<br />
und Extremisten unterstützt.<br />
Wir hingegen setzen auf Stabilität<br />
und Partnerschaft in unserer Nachbarschaft.<br />
Daher bleibt ein solides<br />
Verhältnis zu Moskau in unserem<br />
Interesse.<br />
DasGespräch führten Damir Fras<br />
und Marina Kormbaki.