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Berliner Zeitung 09.05.2019

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 106 · D onnerstag, 9. Mai 2019<br />

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Feuilleton<br />

Spielerisch und konsequent<br />

Zum Toddes großen deutschen Komponisten Georg Katzer<br />

VonPeter Uehling<br />

Der Komponist Georg<br />

Katzer ist am Dienstag<br />

im Alter von 84Jahren<br />

in seinem Haus in Zeuthen<br />

gestorben. In den ersten<br />

Nachrufen wird er als „einer der<br />

wichtigsten Komponisten der<br />

DDR“ bezeichnet, als wären die<br />

fast 30 Jahre, die Katzer nach dem<br />

Mauerfall unermüdlich weiter<br />

komponiert hat, lediglich eine<br />

Nachgeschichte der 36 Jahre, die<br />

zwischen seinem Studienbeginn<br />

und dem Mauerfall lagen. Zudem<br />

war Katzer durchaus präsent im<br />

Musikleben, während andereKomponisten<br />

seiner Generation vonder<br />

Bildfläche verschwanden. Warum<br />

nennt man Katzer nicht schlicht einen<br />

„deutschen Komponisten“?<br />

Kurse bei Stockhausen<br />

Katzer und seine gleichaltrigen<br />

Kollegen waren die Schüler der<br />

idealistischen Aufbaugeneration,<br />

von Hanns Eisler, Paul Dessau<br />

oder Rudolf Wagner-Régeny. Den<br />

Glauben an den Sozialismus jedoch<br />

verlor Katzer wie viele andere<br />

1968 nach der brutalen Niederschlagung<br />

des Prager Frühlings.<br />

Während das Kultur-Ministerium<br />

unverdrossen „die<br />

Formung allseitig gebildeter sozialistischer<br />

Persönlichkeiten in<br />

der sozialistischen Menschengemeinschaft“<br />

forderte, wandten<br />

sich die Komponisten der westlichen<br />

Avantgarde zu: Friedrich<br />

Goldmann, die vielleicht eleganteste<br />

Begabung dieser Generation,<br />

hatte vor dem Mauerbau noch<br />

Kurse bei Stockhausen besuchen<br />

können und absorbierte das Gelernte<br />

in vielfältiger Weise; Friedrich<br />

Schenker schrieb aggressive<br />

und chiffrierte Plakatmusik, und<br />

Paul-Heinz Dittrich wandte sich<br />

einer komplex-verästelten und<br />

verrätselten Kunstmusik zu, während<br />

Katzer die Gründung des ersten<br />

elektronischen Studios der<br />

DDR betrieb.<br />

DerStilbegriff war ein anderer als<br />

im Westen, in dem er vorallem individuelle<br />

Unverwechselbarkeit bezeichnete.<br />

Inder DDR ging es eher<br />

um das Verhältnis von Form und Inhalt:<br />

Der Schönberg-Schüler Hanns<br />

Eisler hatte seine Arbeiterlieder so<br />

und seine Kammermusik anders geschrieben.<br />

Gerade in der Musik des<br />

Eisler-Schülers Katzer fällt ähnliches<br />

auf: Ihre Sprache ist durch und durch<br />

zeitgenössisch, aber eine stilistische<br />

Erwartungshaltung stellt sich bei<br />

Nennung seines Namens kaum ein,<br />

es sei denn die einer spielerischen<br />

und dennoch konsequenten Durchdringung<br />

einer gestellten Aufgabe.<br />

Verblüffend etwa die Unterschiede<br />

zwischen zwei kurz nacheinander<br />

geschriebenen Werken<br />

wie der „streichermusik I“ von<br />

1971, die von den geräuschhaftexpressiven<br />

Arbeiten etwa Pendereckis<br />

beeinflusst scheint und eifrig<br />

denaturierte Streicherklänge<br />

nutzt oder das 14-stimmige Ensemble<br />

in dichten Schwärmen<br />

Der Komponist Georg Katzer (1935–2019)<br />

ANGELIKA KATZER<br />

führt, und Konzert für Orchester<br />

Nr. 1von 1973, das den großen Apparat<br />

neugierig und kontrastreich<br />

zwischen Schlagzeug-Attacken,<br />

tastenden Klangfeldern und Bläserfanfaren<br />

erforscht. Beiden Werken<br />

indes ist gemeinsam, dass sie<br />

keineswegs selbstbezogenen<br />

Avantgardismus betreiben, sondern<br />

so übersichtlich disponiert<br />

sind, dass auch weniger erfahrene<br />

Hörer folgen können. Und ebenso<br />

werden die klanglichen Exerzitien in<br />

beiden Partituren am bekannten<br />

Objekt vorgenommen: Die „streichermusik<br />

I“ durchzieht erst geheim,<br />

dann bis zum klaren Schlussakkord,<br />

ein Dur-Dreiklang, derselbe<br />

Klang wird imKonzert für Orchester<br />

Gegenstand vierteltönig-flirrenden<br />

Umspielens.<br />

„Seit den Siebziger Jahren gab es<br />

eine pragmatische Musikpolitik.<br />

Man hat die Komponisten der<br />

neuen Musik machen lassen, weil<br />

man wusste: Daslöst keine Revolution<br />

aus,also lasst ihnen ihreSpielecke“,<br />

erzählte Katzer und muss<br />

dennoch hinzufügen: „Ich konnte<br />

es nicht verhindern, dass meine<br />

Stücke oft einen politischen Touch<br />

bekamen“.<br />

Das liegt vor allem an einer Haltung<br />

gesellschaftlicher Verantwortlichkeit,<br />

die den Künstlern im<br />

Westen aberzogen wurde, um<br />

dann als „sozialkritischer Anspruch“<br />

so großspurig wie folgenlos<br />

in der individuellen Programmatik<br />

etwa eines Helmut Lachenmann<br />

zurückzukehren. Von DDR-<br />

Komponisten wurde dagegen<br />

auch angewandte Musik erwartet,<br />

und sei es Film- oder Hörspielmusik:<br />

Katzer schrieb unter anderem<br />

die Musik des verbotenen Films<br />

„Berlin um die Ecke“ und die des<br />

Hölderlin-Porträts „Hälfte des Lebens“<br />

mit Ulrich Mühe und Jenny<br />

Gröllmann.<br />

Schule des Hörens<br />

Musik war für Katzer freudige Arbeit<br />

am gefundenen Klang und öffentliche<br />

Auskunft zugleich. Es gibt repräsentative<br />

Werke wie „Medea in Korinth“<br />

nach Christa Wolf, entstanden<br />

für die <strong>Berliner</strong> Singakademie, oder<br />

die im Wendejahr 1989 uraufgeführte<br />

Oper „Antigone oder die<br />

Stadt“. DerganzeReichtum des weit<br />

gespannten Schaffens von Georg<br />

Katzer, seine Offenheit und Nachdenklichkeit<br />

spiegeln sich aber vielleicht<br />

eher in der Instrumentalmusik,<br />

in ihren zugleich experimentellen<br />

wie kommunikativ durchgeformten<br />

Verläufen.<br />

Als das Rundfunk-Sinfonieorchester<br />

Silvester letzten Jahres sein<br />

Werk „discorso“ aus der Taufe hob,<br />

sprach der Titel schon aus, was Katzer<br />

wollte, für wichtig hielt und zunehmend<br />

vermisste: eine echte gesellschaftliche<br />

Auseinandersetzung.<br />

Es war nicht sein letztes Werk: Seine<br />

Website verzeichnet noch zwei weitere<br />

Ensemblewerke mit den schönen<br />

Titeln „La scuola dell’ascolto“<br />

(Schule des Hörens) und „Nachhall“.<br />

Möge seinem gesamten Werk ein<br />

Weiterleben gegönnt sein!<br />

Meinen Ausbildungsplatz habe ich<br />

auf azubis.de gefunden!

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