Berliner Zeitung 29.05.2019
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2** **<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 123 · 2 9./30. Mai 2019<br />
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Union steigt auf<br />
Rasenklau im Stadion? Ist eigentlich verboten und wird doch praktiziert, wenn der Fanmehr als zufrieden ist mit seiner Mannschaft.<br />
DPA/ANDREAS GORA<br />
„Echte Erdverbundenheit“<br />
Union soll auch als Hauptstadtverein die Kiezkultur bewahren, sagt Oliver Igel, der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick<br />
Ist Oliver Igel am Tagnach dem Aufstieg<br />
von Union in die Bundesliga müde?<br />
Nein, offenbar nicht. DerSPD-Bezirksbürgermeister<br />
von Treptow-Köpenick<br />
lädt gut gelaunt in sein Büro. Er trägt zum<br />
Anzug und dem weißen Hemd eine Krawatte<br />
in Rot-Weiß, den Union-Farben.<br />
Herr Igel, sind SieamMontag auch mit Anzug<br />
und Krawatte in die Alte Försterei gegangen?<br />
Anzug ja, Krawatte nein. Ich hatte ein rotes<br />
Union-Shirt unter der Anzugjacke. Was<br />
sein muss,muss sein.<br />
Siesehen so ausgeschlafen aus, wann sind Sie<br />
denn nach dem Spiel ins Bett gekommen?<br />
Ichwar früh zu Hause,gegen Mitternacht.<br />
Da hat bei mir aber noch immer das Telefon<br />
geklingelt.<br />
Dann haben Sienicht so richtig lange gefeiert.<br />
Nein, weil ich früh raus musste. Der Wecker<br />
hat um 5.45 Uhrgeklingelt. Aber ich war<br />
nach dem Abpfiff noch unten im Innenraum<br />
des Stadions, habe mich dort ans Zuckertor<br />
drangehängt.<br />
Wasist denn das Zuckertor?<br />
Woher der Name stammt, weiß ich nicht.<br />
Das Zuckertor ist das Torauf der Waldseite<br />
des Stadions.Esist völlig verbogen, weil dort<br />
jeder drangebaumelt hat.<br />
Haben Sie auch ein Stück Rasen mitgenommen?<br />
Rasenstücke der Alten Försterei werden<br />
jetzt im Internet angeboten –für 500 Euro.<br />
Nein, habe ich nicht. Ich finde das sogar<br />
unerhört. Union steht ausdrücklich gegen<br />
eine solche Kommerzialisierung. Außerdem<br />
würde ich nie so ein Stück Rasen verkaufen.<br />
Das ist eine Reliquie. Soein Heiligtum kann<br />
man nicht einfach so bei Ebay vertickern.<br />
Wasfür eine Reliquie?<br />
DieFans haben sich nach dem Abpfiff auf<br />
den Rasen geworfen, sie haben den Rasen<br />
geküsst. Diejenigen, die Rasenstücke klauen<br />
und verkaufen, das sind keine Unioner.<br />
Sie müssen damit ja kein Geld machen. Sie<br />
hätten als Bürgermeister ein Stück Rasen mitnehmen<br />
und im Rathaus ausstellen können.<br />
Immerhin gehörtUnion zu Köpenick.<br />
Ichbin Beamter.Nicht auszudenken, was<br />
ich für Ärger bekommen hätte, wenn ich als<br />
Bürgermeister mit einem Stück geklauten<br />
Rasen herumgelaufen wäre. Ich sehe schon<br />
die Schlagzeile: Rathauschef klaut Rasen aus<br />
der Alten Försterei. Beijedem normalen Bürger<br />
würde niemand etwas sagen.<br />
Wiehaben Siedas Aufstiegsspiel erlebt?<br />
Am schlimmsten waren die fünf Minuten<br />
Nachspielzeit, die waren der Horror.Es<br />
waren gefühlt die längsten fünf Minuten<br />
meines Lebens.Ich habe die letzten Sekunden<br />
mit meinem Handy aufgenommen.<br />
Der Abpfiff war wirklich erlösend. Und<br />
dann habe ich nur noch gejubelt. Wir<br />
konnten bei Union schon viel jubeln. Aber<br />
das hat eine andere Dimension. Es ist<br />
schon Wahnsinn.<br />
ZUR PERSON<br />
Oliver Igel, 41, ist seit 2011 Bezirksbürgermeister<br />
vonTreptow-Köpenick und seit langem Union-Fan.<br />
Der SPD-Politiker ist in Köpenick aufgewachsen.<br />
Wasbedeutet der Aufstieg für den Verein und<br />
für Köpenick?<br />
Für den Verein und für die Region ist der<br />
Aufstieg in die Erstklassigkeit ein historischer<br />
Moment. Auch wenn man den Begriff nicht zu<br />
sehr strapazieren sollte.Der Bezirkschwimmt<br />
jetzt auf einer Welle der Aufmerksamkeit. Die<br />
Nachrichtenagenturen fragen an, ob sie am<br />
Mittwoch mit der Mannschaft auf dem Balkon<br />
des Ratssaales stehen und Fotos machen<br />
können. Dasist wie ein zweites Hauptmann-<br />
Spektakel. Der Aufstieg führt dazu, dass der<br />
Bezirkdeutschlandweit bekannt wird.<br />
IstUnion zum Aushängeschild geworden?<br />
Union war vorher schon ein Aushängeschild<br />
für den Bezirk. Aber nun ist der Verein<br />
ein Erstliga-Aushängeschild.<br />
Union muss jetzt investieren, muss das Stadion<br />
umbauen.Wiekann der BezirkdemVerein<br />
dabei helfen?<br />
Wirhaben uns mit dem Senat auf eine Arbeitsteilung<br />
geeinigt. Den Bebauungsplan<br />
für den Stadionausbau macht die Senatsverwaltung<br />
für Stadtentwicklung, und wir kümmern<br />
uns als Bezirk um den Ausbau des<br />
Nachwuchsleistungszentrums des 1. FC<br />
Union am Bruno-Bürgel-Weg. Damit ist die<br />
Zukunft desVereins und des Fußballsports in<br />
dieser Region gesichert.<br />
Wiesieht es mit der Verkehrsplanung aus?<br />
DerSenat hat im Vergleich zum Bezirkdie<br />
größere Aufgabe. Immerhin werden einmal<br />
50 Prozent mehr Besucher in die Alte Försterei<br />
kommen. Das muss verkehrsmäßig irgendwie<br />
geregelt werden. Zu klären ist, wie<br />
die Straßenbahnen fahren, ob Busse eingesetzt<br />
werden, ob es eine Taktverdichtung bei<br />
der S-Bahn gibt und was mit dem Autoverkehr<br />
geschieht. Dafür bedarf eseines Verkehrskonzepts.<br />
Wiesieht es mit einem neuen Zugang für den<br />
S-Bahnhof aus?<br />
Schöne Idee. Aber denken Sie nur an die<br />
Querelen um den Regionalbahnhof, der in<br />
Köpenick entstehen soll. Und zwar erst im<br />
Jahr 2027.<br />
Union ist jetzt in der Bundesliga. Viele Fans<br />
befürchten, dass mit dem Aufstieg die familiäre<br />
Atmosphäre verschwindet, stattdessen<br />
der Kommerz im Mittelpunkt stehen wird.<br />
Ich weiß, dass nicht jeder glücklich ist<br />
über den Aufstieg, weil er um die Seele des<br />
Vereins fürchtet. Ichglaube aber,Union wird<br />
seine Mission weiterverfolgen.<br />
Welche Mission?<br />
Den Traum von einer Bundesliga, in der<br />
allein der Fußball und der Fan imMittelpunkt<br />
stehen. Und dann werden auch die<br />
Fans begeistertsein, die derzeit hadern. Und<br />
immer zweitklassig zu bleiben, ist auch nicht<br />
schön. Aber eines ist auch klar, dieses<br />
„Schneller, höher, weiter“ funktioniert irgendwann<br />
nicht mehr.<br />
Wiemeinen Siedas?<br />
Jetzt ist man in der Bundesliga, dann<br />
könnte man unter die ersten sechs kommen,<br />
dann Meister werden. Aber das hat auch irgendwann<br />
ein Ende.Welchen Wert hat es für<br />
Bayern München und die Fans, immer wieder<br />
Deutscher Meister zu werden. Das muss<br />
doch total langweilig sein.<br />
Waswünschen Siesich denn für Union?<br />
Dass wir mehrereSaisons ganz locker in<br />
der Bundesliga spielen können. Was mir<br />
lieb wäre, ist, wenn Union als Hauptstadtverein<br />
trotzdem Kiezkultur bewahrt. Deswegen<br />
finde ich es besser, wenn gesagt<br />
wird: die Köpenicker. Und nicht: die <strong>Berliner</strong>.<br />
Bei uns hat man die Chance, mit dem<br />
Fußball noch echte Erdverbundenheit zu<br />
zeigen.<br />
DasGespräch führte Katrin Bischoff.<br />
Endlich eisern<br />
Am Tagnach dem Aufstieg werden in Köpenick Union-Trikots und Union-T-Shirts in Mengen gekauft und Mitgliedsanträge ausgefüllt<br />
VonMikeWilms<br />
AmMorgen nach dem Aufstiegserfolg ist<br />
die Union-Begeisterung in ganz Köpenick<br />
zu spüren. Die Menschen, viele noch<br />
müde und zerrupft vonder Party-Nacht, tragen<br />
Trikots und T-Shirts ihres Vereins. Kaum<br />
öffnet der Fan-Shop „Zeughaus“ seine Türen,<br />
bilden sich lange Schlangen an den Kassen.<br />
Viele nutzen auch noch die Gelegenheit,<br />
einen Mitgliedsantrag für Union zu stellen.<br />
Einer der Besucher ist Peter Schulz aus<br />
Mahlsdorf. Die Stimme des 69-Jährigen<br />
klingt noch immer heiser. Erhat beim Spiel<br />
im Stadion und danach bei der Aufstiegsfeier<br />
mehr gejubelt, als seine Stimmbänder verkraften.<br />
Doch statt sich zu schonen, ist<br />
Schulz zum Fanshop in der Bahnhofstraße<br />
geradelt.„Ich kaufe ein paar Kleinigkeiten für<br />
meine Enkel“, sagt er.Die Kinder sollen Erinnerungsstücke<br />
an den großen Tagdes Bundesliga-Aufstiegs<br />
haben. „Es ist doch einfach<br />
sagenhaft, dass ab sofort alle Top-Mannschaften<br />
in Köpenick zu Gast sein werden“,<br />
sagt Schulz. Bayern,und auch Dortmund.<br />
In der Fan-Kneipe Café CoéamGeneralshof<br />
fegt die Wirtin Simone Gallaus, 39, die<br />
letzten Party-Überreste zusammen. Sie ist<br />
seit mehr als 24 Stunden wach und sieht<br />
ziemlich geschafft aus.„Unser Laden war pickepackevoll“,<br />
sagt sie. Die letzten Union-<br />
Fans seien erst am Morgen gegangen gegen<br />
halb acht. Der Biervorrat der Kneipe sei erschöpft.<br />
Doch so darf esnicht bleiben. „Die<br />
Fans werden noch zwei Tage weiterfeiern“,<br />
sagt Gallaus. Deshalb kommt gleich der Lieferant.<br />
Erst wenn die Getränkevorräte aufgefüllt<br />
sind, wirddie Wirtin kurzschlafen.<br />
In großem Stil muss in der Alten Försterei<br />
aufgeräumt werden. Tausende Bierbecher<br />
liegen am Morgen noch in den Sitzreihen<br />
und auf dem Spielfeld. Im Rasen des Stadions<br />
klaffen große Löcher,weil sich Fans nach<br />
dem Abpfiff Erinnerungsstücke herausgeschnitten<br />
haben. In Stadion-Nähe macht<br />
sich Daniel Raatz auf den Wegzum Döner-<br />
Imbiss. Der 35-Jährige ist nach einer langen<br />
Party-Nacht, erst im Stadion und dann in der<br />
Fan-Kneipe „Abseitsfalle“, etwas wacklig auf<br />
den Beinen. Er muss dringend etwas essen.<br />
„Um ehrlich zu sein, bin ich fix und fertig“,<br />
sagt er. Raatz hat lange in Berlin gelebt, seit<br />
elf Jahren lebt er in Hamburg. Trotzdem fährt<br />
er oft zu Union-Spielen. „Dass der Klub nun<br />
in der Ersten Liga spielt, ist noch ein zusätzlicher<br />
Anreiz“, sagt er.<br />
In ganz Köpenick trifft man wohl nur einen<br />
Union-Fan, der sich einen besseren Saisonabschluss<br />
für den Relegationsgegner VfB<br />
Stuttgartgewünscht hätte.Aber Stefan Oberthür<br />
kann eine gute Entschuldigung vorbringen.<br />
„Ich habe zwei Töchter, eine war als<br />
Union-Fan im Stadion, die andere als VfB-<br />
Fan“, sagt der 65-Jährige. UmfamiliäreVerwicklungen<br />
zu vermeiden, hätte es Oberthür<br />
vorgezogen, wenn sich Union die Relegation<br />
erspart und den Direktaufstieg geschafft<br />
hätte. Er sagt: „Im besten Fall wären sich<br />
dann beide Teams –und beide Töchter –in<br />
der Ersten Liga wiederbegegnet.“