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Berliner Zeitung 20.07.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 166 · 2 0./21. Juli 2019 – S eite 28 *<br />

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Sport<br />

Tour der<br />

Leiden<br />

Der <strong>Berliner</strong> Maximilian Schachmann gehört zu den<br />

größten Radsporttalenten. Bei seiner ersten<br />

Frankreich-Rundfahrt hat er sich gut präsentiert –bis er<br />

nach einem Sturz mit einem Handbruch aufgeben muss<br />

VonStephan Klemm, Pau<br />

Maximilian Schachmann erreichte nach dem Einzelzeitfahren in Paudas Ziel schwer angeschlagen.<br />

AFP/PACHOUD<br />

Die letzten Meter des Zeitfahrens<br />

von Pau waren<br />

die schwersten für Maximilian<br />

Schachmann in<br />

den 13 Tagen seiner ersten Tour de<br />

France. Ein heftiger Anstieg noch,<br />

Schachmann quälte sich mit<br />

Schmerzen nach oben, ganz langsam,<br />

in Schlangenlinien. Zuvor war<br />

er, gut im Rennen liegend, gestürzt,<br />

zu hohes Tempo,erhatte eine Kurve<br />

falsch eingeschätzt, es folgte ein<br />

Sturz: „Ich bin schnell da rein, dann<br />

ist mein Vorderrad gerutscht, ich<br />

konnte es noch abfangen, aber mir<br />

haben 20 Zentimeter gefehlt. Da<br />

kam schon das Gitter.“ Im Anschluss<br />

bereitete ihm die linke Hand Probleme.<br />

ImKrankenhaus am Abend<br />

dann die brutale Gewissheit: drei<br />

Mittelhandknochen gebrochen, zur<br />

weiteren Behandlung soll er schnell<br />

nach Deutschland. Das bittere Ende<br />

einer bisher aufregenden Fahrt<br />

durch Frankreich für den <strong>Berliner</strong>.<br />

Zuvor war Schachmann ein lächelnder<br />

Tour-Debütant, erzählte<br />

nach den Etappen, was ihm liegt,<br />

weil er es schafft, immer wieder gehaltvolle<br />

Erkenntnisse mit humorigen<br />

Einlagen zu mischen. Schachmann,<br />

25 Jahre jung, Dreitagebart,<br />

schlank, stets akkurat frisiert, sehr<br />

erfolgreich in diesem Frühjahr,sechs<br />

Siege bereits, aktueller Deutscher<br />

Meister, hat seinen Beruf genossen.<br />

Bishierhin, sagt Schachmann, „ist es<br />

das beste Jahr meiner Karriere“. An<br />

dieser Einschätzung dürfte auch sein<br />

Unfall vomFreitag nichts ändern.<br />

Dank seiner Erfolge im Frühjahr –<br />

unter anderem drei Etappensiege<br />

bei der schweren Baskenland-Rundfahrt,<br />

dazu Platz drei beim Eintagesmonument<br />

Lüttich-Bastogne-Lüttich<br />

–hat er sich in die Weltklasse gefahren.<br />

Sein Status in der Radsport-<br />

Szene hat ihm teamintern<br />

Privilegien eingebracht, auch bei<br />

dieser Tour. Auf einigen Etappen<br />

„hätte er durchaus auch mal gehen<br />

können, unsere Erlaubnis hatte er“,<br />

sagt Enrico Poitschke, der sportlicher<br />

Leiter seines deutschen Teams<br />

Bora-hansgrohe. Dazu kam es am<br />

Donnerstag im Verlauf der ersten Pyrenäen-Etappe.<br />

AufActionkurs<br />

Im Team wird das als Teil eines großen<br />

Plans angesehen, erzählt<br />

Poitschke.Schachmann sei zum Lernen<br />

bei der Tour gewesen, dieser<br />

Tour der Leiden, „wir wollen ihm<br />

hier helfen, sich weiter zu entwickeln.<br />

Er hat hier viel gearbeitet und<br />

einen starken Eindruck hinterlassen.<br />

Wirsind sehr zufrieden mit ihm.“ Bis<br />

zum Ruhetag sei Schachmann eben<br />

nicht in der Lage gewesen, „in den<br />

entscheidenden Momenten mitzufahren“,<br />

sagt Poitschke, was angesichts<br />

seines erfolgreichen Frühjahrs<br />

und seiner Novizenrolle bei der<br />

Frankreich-Rundfahrt nicht verwunderlich<br />

sei. Auch ein großes Talent<br />

wie Schachmann, der in der<br />

Lage ist, Rennen zu animieren, muss<br />

sich erst einmal den Besonderheiten<br />

der Tour annähern, was vor allem<br />

heißt: extremes Tempo gehen und<br />

gleichzeitig besonders aufmerksam<br />

fahren, um Stürzen auszuweichen,<br />

die wegen der erhöhten Nervosität in<br />

einem Tour-Peloton sehr häufig passieren<br />

– und in einem Zeitfahren<br />

Kurven richtig einschätzen.<br />

Ausreißen, nicht immer im Feld<br />

fahren, sich zeigen und nicht verstecken<br />

–all das sind Eigenschaften, die<br />

Schachmann auszeichnen und ihn<br />

zu einem interessanten Fahrer machen.<br />

Nur mitrollen? „Viel zu langweilig“,<br />

findet er, stattdessen<br />

„möchte ich ruhig mal Action machen“,<br />

gerade bei Etappen, bei denen<br />

eher ein gewöhnlicher, also ruhiger<br />

Rennverlauf erwartet wird.<br />

Tour de France –14. Etappe<br />

Sonnabend, 20. Juli, 13.30 bis 17.02 Uhr<br />

328 m<br />

Paris<br />

Côte de Labatmale (472 m)<br />

4 S<br />

Alles in allem besitzt Schachmann<br />

eine ganze Reihe von Fähigkeiten<br />

auf dem Rad: Er kann aus einer<br />

kleinen Gruppe heraus erfolgreich<br />

sprinten, er ist ein starker Zeitfahrer<br />

und passabler Kletterer. Alles<br />

das sind Eigenschaften, die bei deutschen<br />

Radprofis nicht oft zu finden<br />

sind, und so hat sich schon längst<br />

eine Rundfahrer-Debatte um den<br />

deutschen Meister entwickelt, denn<br />

es ist die Schachmann-Mischung,<br />

die bei Mehretappenrennen gefragt<br />

ist. „Ob ich ein Rundfahrer bin oder<br />

werden kann, das kann ich nicht sagen.<br />

Das ist sehr schwer. Mir fehlt<br />

derzeit noch ein bisschen was am<br />

Berg.Damuss ich noch weiter vorne<br />

mitfahren“, sagt er.Aber selbst wenn<br />

das klappt, ist bei einer dreiwöchigen<br />

Veranstaltung wie der Tour auch<br />

Arthez-d'Asson (415 m)<br />

Col du Soulor (1 474 m)<br />

Pierrefitte-Nestalas (480 m)<br />

Luz-Saint-Sauveur<br />

(711 m)<br />

0km 18 38 60,5<br />

86 98,5 117,5<br />

Tarbes<br />

Tourmalet<br />

1<br />

Berg-Kategorien:<br />

einfach schwer<br />

4 3 2 1<br />

Sprint<br />

2115 m<br />

HC<br />

noch das wichtige Detail der Beständigkeit<br />

gefordert: „Dazu braucht<br />

man viel Erfahrung, schwer zu sagen,<br />

ob ich das schon in mir habe.“<br />

Schachmann weiß nicht, ob er<br />

sich auf die mit noch mehr Entbehrungen<br />

verbundene Konzentration<br />

S<br />

HC<br />

BLZ/GALANTY; QUELLE: LETOUR.FR, DPA<br />

auf die Gesamtwertungen einlassen<br />

soll.„Wenn es Sinn macht, bin ich bereit<br />

dafür und würde es schon gerne<br />

ausprobieren. Dazu muss ich aber<br />

Rücksprache mit demTeam und meinem<br />

Trainer Dan Lorang halten.<br />

Denn man kann auch was verlieren.<br />

Ich habe Qualitäten und kann in bestimmten<br />

Radrennen wie bei schweren<br />

Klassikern gewinnen. Da würde<br />

ich dann Stärke einbüßen.“<br />

Poitschke findet, es sei zu früh,<br />

sich auf Schachmann als Rundfahrer<br />

festzulegen. Allerdings habe er bereits<br />

eine dreiwöchige Rundfahrtbestritten,den<br />

Giro d’Italia im Mai, und<br />

dort überzeugt, zuletzt auch in den<br />

Bergen.InPrato Nevoso in den Ligurischen<br />

Alpen hat er sogar die 17.<br />

Etappe gewonnen. Zuvor jedoch<br />

hatteermit einem Infekt zu tun, der<br />

ihn zurückwarf −den Giro beendete<br />

er auf dem 31. Platz. „Wir haben in<br />

diesem Jahr gesehen, dass Max<br />

Schachmann in den ganz schweren<br />

Rennen wie Lüttich-Bastogne-Lüttich<br />

zu den Allerbesten gehört. Aber<br />

wir wollen ihn kontinuierlich aufbauen,<br />

so haben wir es mit allen unseren<br />

jungen Fahrerngemacht.“<br />

Keine Existenzängste<br />

Einen lernwilligen Profi habe er mit<br />

Beginn dieser Saison verpflichtet,<br />

sagt Teamchef Ralph Denk. Nach seinem<br />

dritten PlatzinLüttich bezeichnete<br />

er Schachmann als „ein Juwel“.<br />

Zuvorfuhr Schachmann beim Branchenführer<br />

Quick-Step und ist auch<br />

dortschon als Siegfahrer aufgefallen,<br />

etwa als Etappengewinner bei der<br />

Deutschland-Tour. „Er ist ganz nah<br />

dran an Erfolgen bei großen Rennen“,<br />

glaubt Denk. Und: „Max ist<br />

selbstbewusst, hinterfragt Dinge, ist<br />

kein Befehlsempfänger. Aber er liefert<br />

eben auch. Das gefällt mir. Ich<br />

bin schon daran interessiert, den<br />

Maxzueinem Leader aufzubauen.“<br />

Trainingsfleißig sei er, bestätigt<br />

sein Coach Dan Lorang, aber<br />

Schachmann setzt nicht nur auf den<br />

Radsport. Sein Abitur schaffte er mit<br />

einem Notenschnitt von 1,3. Zudem<br />

hat er auch schon ein Studium des<br />

Wirtschaftsingenieurwesens mit<br />

Maschinenbau begonnen. Mit dem<br />

Abitur „habe ich alle Türen offen.<br />

Vielleicht gibt mir das auch eine gewisse<br />

Leichtigkeit im Sport, weil er<br />

für mich nicht so Existenzängste<br />

auslöst“, sagte Schachmann vordem<br />

Start der diesjährigen Frankreich-<br />

Rundfahrtineinem Interview.<br />

Auch sonst weiß er,was er mitseinem<br />

Leben etwas anzufangen. Um<br />

besser trainieren zu können, aber<br />

auch, um bei der Steuererklärung ein<br />

wenig Geld zu sparen, hat sich<br />

Schachmann mit seiner Freundin Josephine<br />

am Schweizer Ufer des Bodensees<br />

niedergelassen. Sein Sport<br />

sei fordernd, sagt Schachmann<br />

noch. Manchmal sei es für ihn als Familienmensch<br />

schwer, soviel unterwegs<br />

zu sein. Also versuchen dienahen<br />

Verwandten, den Radprofi zu<br />

besuchen. Schwester Carolin war in<br />

Lüttich, seine Mutter, eine Mathematik-<br />

und Physiklehrerin, bei der<br />

Teampräsentation in Brüssel. „Sie ist<br />

da schön rumgesprungen“, sagt<br />

Schachmann. Und lächelt. Wie so<br />

oft, wenn er Sätzebeendet hat.

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