GesteinsPerspektiven 05/19
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TREFFPUNKT<br />
Ebenen in Abhängigkeit von aktuellen<br />
Wahlen und natürlich die Medien. Birkner<br />
schlug politische Antworten auf die Megatrends<br />
Individualisierung, Globalisierung<br />
und Urbanisierung vor. Unter den<br />
Parteien sollte ein Konsens herrschen,<br />
nicht mit Angst zu arbeiten und dadurch<br />
die Gesellschaft zu spalten. Außerdem<br />
sollte nicht jedes Thema auf Bundesebene<br />
gezogen, sondern eher vor Ort gelöst<br />
werden. Und natürlich müsse sich auch<br />
die Wirtschaft stärker einbringen, Transparenz<br />
ihrer Handlungen und immer wieder<br />
die Mehrwerte kommunizieren, die sie<br />
für die Gesellschaft leiste.<br />
Änderungen der Rechtslage<br />
Dr. Herbert Posser, Anwalt mit besonderer<br />
Expertise in der Strukturierung komplexer<br />
Genehmigungsverfahren, trug<br />
zunächst präzise und spannend die starken<br />
Änderungen der Rechtslage vor. Im<br />
Umweltklagerecht gibt es für Gegner von<br />
Vorhaben über Materielles, Verfahrensrecht<br />
und Umweltrechtsgesetz, Sperrgrundstücke<br />
und Grundgesetzartikel<br />
mittlerweile eine Reihe von Möglichkeiten,<br />
über die zumindest Verfahrensverlängerungen<br />
unvermeidlich sind. Diese<br />
Rechtslage beseitige auch Abwägungsoffenheit<br />
durch gesellschaftliche Verabsolutierung<br />
von Umweltbelangen, ohne<br />
die Notwendigkeit, den gesellschaftlichen<br />
Preis dafür offenlegen zu müssen.<br />
Posser stellte fest, „Emotionen sind Fakten“,<br />
doch was tun? Zunächst brauche es<br />
immer Aufklärung und eine offene Diskussion.<br />
Die deutsche Legislative müsse<br />
Spielräume nutzen, ohne Copy/paste-<br />
Umsetzung von EU-Richtlinien und mit<br />
verbindlichen Grenzwerten, wobei Letztere<br />
aber nicht nur aus einseitiger Expertensicht<br />
festgesetzt werden dürften. Im<br />
Umweltrecht müsse es Abwägungselemente<br />
geben und im Klagerecht Fehlerheilung,<br />
nicht komplettes Neuaufsetzen<br />
bei einzelnen Mängeln. Mehr Beurteilungsspielräume<br />
für Fachbehörden sieht<br />
Posser skeptisch, weil dann Festlegungen<br />
auch keine Korrektur mehr durch den<br />
Instanzenweg offenhielten. Eine angeregte<br />
Diskussion beschloss diesen Themenkreis<br />
und zeigte, wie sehr sich auch die<br />
Teilnehmer mit der zerrissenen Lage in<br />
Gesellschaft und Recht beschäftigen.<br />
Lichtblick Natur auf Zeit?<br />
Deutlich positiver und hoffnungsvoller<br />
konnte da der zweite Themenblock<br />
„Natur auf Zeit“ aufgefasst werden. Alexander<br />
Just aus der EU-GD Umwelt berichtete<br />
von der Entwicklung in den Naturschutzrichtlinien.<br />
Auf einen<br />
Fitness-Check wurde ja schon vor längerer<br />
Zeit sehr einvernehmlich verzichtet,<br />
aber der Artenschutz soll nach zehn<br />
Jahren überprüft werden, wegen der<br />
Aktualität des Wolfes und von „Natur auf<br />
Zeit“. Der entsprechende Aspekt in der<br />
FFH-Richtlinie ist beim EuGH wegen des<br />
Wolfes in Prüfung, mit einem Urteil wird<br />
ab September gerechnet. Allerdings<br />
passt „Natur auf Zeit“ nicht recht in die<br />
FFH-Richtlinie, die grundsätzlich auf Gebietsschutz<br />
abzielt, und würde besser in<br />
einer Artenschutz-Richtlinie angesiedelt<br />
sein. Geplant ist daher ein Leitfaden mit<br />
Ausnahmegenehmigungen „ex ante“,<br />
aber nicht sehr konkreten Regelungen.<br />
Erfreulich konkrete, abgestimmte Projekte,<br />
wie so etwas funktionieren kann,<br />
gibt es dagegen mittlerweile in Belgien<br />
mit einer Quarzsand-Gewinnung in der<br />
flämischen Mechelener Heide und 26<br />
wallonischen Steinbrüchen.<br />
Dr. Peter Kersandt, Fachanwalt für<br />
Verwaltungsrecht, ist froh um diesen Rückenwind<br />
aus Brüssel und wies auch auf<br />
das bayerische Modell mit dem öffentlich-rechtlichen<br />
Vertrag zwischen Umweltministerium,<br />
Behörden, Landesbund<br />
für Vogelschutz und Rohstoffunternehmen<br />
hin. Als stabilen gesetzlichen Rahmen<br />
gebe es derzeit zu wenig, um sich<br />
auf mehr verlassen zu können. Das Bundesnaturschutzgesetz<br />
gibt lediglich fünf<br />
Jahre Schutz für Brachflächen in Rohstoffgewinnung,<br />
nur in Nordrhein-Westfalen<br />
wird im Landesnaturschutzgesetz<br />
„Natur auf Zeit“ überhaupt erwähnt und<br />
die Signifikanzrechtsprechung relativiert<br />
wenigstens die Konsequenzen vereinzelter<br />
unvermeidlicher Tötungen. Nun gibt<br />
es Vorstellungen der praktischen Umsetzung<br />
eines „Drei-Schritt-Modells“:<br />
Von Erfassen und Genehmigen, dann<br />
Überlassen der Sukzession schließlich<br />
zur Beendigung in Schritten und zum<br />
passenden Zeitpunkt. Kontrolle, Prognosen<br />
und Abstimmung mit Behörden<br />
sollen dies begleiten. Kersandt bringt<br />
abschließend ein weiteres Beispiel mit<br />
dem niederländischen Modell, das ein<br />
Amsterdamer Gericht auch als EUkonform<br />
erklärt hat. Das Potenzial in<br />
Deutschland wäre riesig, man spricht<br />
von 120.000 ha Brachflächen der Industrie,<br />
Versorger etc.<br />
Als letzter Referent brachte Dr. Holger<br />
Buschmann, Landesvorsitzender NABU<br />
Niedersachsen, eine ganze Reihe von<br />
Beispielen aus der Rohstoffgewinnung<br />
des Bundeslandes, wo man schon längere<br />
Zeit in enger Kooperation mit den<br />
Betrieben ist und auch eine gemeinsame<br />
Erklärung auf den Weg gebracht hat.<br />
Jede dieser Gewinnungsstätten hat<br />
wohl ihr eigenes Muster aus Chancen<br />
und Schwierigkeiten, aber man hat das<br />
Gefühl, alles wird offen, hoffnungsvoll<br />
und konstruktiv gehandhabt. Das<br />
wuchs von unten aus dem Konkreten<br />
vor Ort, wie Buschmann ausführte, weil<br />
man diese Biotope aus zweiter Hand mit<br />
ihrer anthropogen initiierten Dynamik<br />
beim NABU schätzen lernte. Er hatte bei<br />
der Suche nach seltenen Arten gezielt<br />
die Rohstoffgewinnungsstätten aufgesucht<br />
und wurde immer mit einer überraschenden<br />
Artenvielfalt fündig. Allerdings<br />
erkannte man auch, dass die Art<br />
der Bewirtschaftung entscheidend<br />
wäre, und das machte dann ja Kooperation<br />
unerlässlich. Für die Betriebe ergebe<br />
sich daraus eine generelle Steigerung<br />
der Akzeptanz ihrer Tätigkeit. Noch<br />
sei aus Sicht des NABU nicht alles in<br />
Ordnung. Die Rekultivierungsgenehmigungen<br />
liefen mit ihrer Vorgabe der Wiederherstellung<br />
des Vorzustandes dem<br />
Artenschutz zuwider. Das werde sich<br />
auch so leicht nicht ändern lassen, wie<br />
die Diskussion ergab, weil die Eigner<br />
ihre verpachteten Flächen oft wieder<br />
nutzbar haben möchten, sonst ließen<br />
sie die Rohstoffgewinnung nicht zu.<br />
Bleibt da als Schluss, dass der – wegen<br />
Sukzession nach der Gewinnung – sowieso<br />
schwierig zu erhaltende offene<br />
Zustand mit Rekultivierung beendet<br />
werden muss, wie der ABBM-Vorsitzende<br />
Manfred Hoffmann in seinem<br />
Schlusswort anmerkte, und man eben<br />
immer wieder kostenlose neue Situationen<br />
in der Gewinnung brauche?<br />
Die Teilnehmer lobten anschließend<br />
die Tagung, die den Bogen zwischen<br />
gesellschaftlicher Ablehnung und Unterstützung<br />
seitens Naturschutz spannen<br />
wollte und diesen Anspruch wohl<br />
erfüllt hat. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
wies zuletzt auf die nächste Tagung<br />
ähnlicher Natur hin, das Rohstoffkolloquium<br />
am 16. Juli 2020, das wiederum<br />
in Iphofen stattfindet.<br />
Ein Beitrag von Manfred Hoffmann,<br />
geschäftsführender Vorsitzender des<br />
ABBM-Vorstands und Gesellschafter<br />
der Hoffmann Mineral GmbH<br />
www.abbm-bayern.de<br />
GESTEINS PERSPEKTIVEN 5/20<strong>19</strong>