Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Den Spielraum erweitern<br />
Chefdirigent Robin Ticciati über die Konzerte seiner dritten Saison<br />
Maestro, Sie gehen mit dem DSO in die dritte gemeinsame<br />
Saison. In den vorangegangenen Spielzeiten haben Sie vieles<br />
angestoßen, das nach Fortsetzung, Erweiterung, auch<br />
nach Kontrapunkten verlangt. UnterwelcheZeichen stellen<br />
Sie die kommende Saison?<br />
Hinter uns liegen zwei intensive Spielzeiten, sie waren reich an beflügelnden<br />
Erfahrungen. Jedes Projekt, das wir vollendet haben, setzte wieder<br />
neue Ideen in Gang. Musikalisch kommt es mir vor allem darauf an, die<br />
Klangqualität des Orchesters weiter zuverfeinern, das Ausdrucksspektrum<br />
noch vielfältiger und zugleich noch spezifischer für jedes einzelne<br />
Projekt auszuformen.<br />
voraus. Dvořák steht hier wirklich zwischen dem Populären und der Moderne.<br />
Mit Aaron Coplands ›Appalachian Spring‹ greifen wir ein Werk<br />
auf, das Traditionen von Einwanderergruppen thematisiert, mit Elliott<br />
Carterwenden wir uns einem Künstler zu, der das US-Musikleben fast ein<br />
Jahrhundertlang begleiteteund antrieb, mit AndrewNormanstellen wir<br />
einen originellen Gegenwartskomponisten vor; ihm antworten Auszüge<br />
aus Dvořáks Slawischen Tänzen.<br />
In der vergangenen Saison legten Sie einen Schwerpunkt auf französisches<br />
Repertoire. Diese Linie wird in den Hintergrund treten …<br />
... aber keineswegs verschwinden. Die Experimentierfreude von Hector<br />
Berlioz, die der Mentalität des DSO so treffend entspricht,<br />
beschäftigt uns weiter – nun mit der Dramatischen<br />
Legende ›La damnation de Faust‹. Nach ›Rusalka‹<br />
wird sie unser zweites musikdramatisches Projekt sein.<br />
Mit philharmoniegerechter Inszenierung?<br />
Nein, diesmal nicht. Die ›Damnation‹ wurde zwar<br />
mehrfach inszeniert, aber wir verzichten wie bei ›Rusalka‹<br />
auf eine szenische Aufbereitung, um die Aufmerksamkeit<br />
ganz auf die Musik zu konzentrieren. Es<br />
gibt in dieser Spielzeit keine räumlich-szenische Produktion<br />
wie den ›Messias‹ voreinem Jahr.Wir führen<br />
allerdings eine Sache fort, die wir damals erstmalig<br />
ausprobiert hatten. Die Streicher spielten auf Instrumenten<br />
mit Darmsaiten. Ich fand, dass das Orchester<br />
ganz anders klang als sonst, dass es seine Möglichkeiten<br />
enorm erweiterte. Auf diesem Weg wollen wir<br />
weitergehen und im November die drei letzten Symphonien<br />
Mozarts, dieses instrumentale Oratorium, auf<br />
Darmsaiten spielen. Das wird sicherlich eine neue Musizier-<br />
und Hörerfahrung.<br />
Sie setzen neue Repertoireakzente. Es bleibt das Engagement für aktuelle<br />
Musik, es bleiben die erhellenden Konstellationen vonNeuem<br />
und ÜberlieferteminIhren Programmen. Wo liegen Ihre inhaltlichen<br />
Schwerpunkte?<br />
Antonín Dvořák räumen wir einen besonderen Platz ein. Er ist für mich<br />
das Beispiel eines Künstlers, der vomErreichten aus immer weiter drängt.<br />
Seine Neunte Symphonie ›Aus der neuen Welt‹ klingt deutlich anders<br />
als seine Achte; in ihr erreichte erseine Vollendung auf diesem Gebiet;<br />
danach wandteersich Tondichtungen und dem Musiktheater zu. Mit der<br />
konzertanten Aufführung der Oper ›Rusalka‹ eröffnen wir unsere Philharmonie-Saison<br />
S.5. Mir geht es bei Dvořák auch um Zusammenhänge<br />
zwischen Volkstümlichem, das eine langeTradition in sich birgt, und<br />
Streben nach künstlerisch Neuem. Dieses Verhältnis war ein Thema für<br />
die Romantiker,für Dvořák, aber auch für Komponisten wie Leoš Janáček<br />
und Béla Bartók: ein Thema auf dem Weg zur Moderne.<br />
Dvořák komponierte seine Neunte inder Neuen Welt, den USA. Gehen<br />
Sie der transatlantischen Verbindung, die er verkörpert, nach?<br />
Selbstverständlich. Fast drei Jahre lehrte Dvořák in NewYork und prägte<br />
das US-Musikleben vor allem an der Ostküste mit. Welcher Musik er<br />
begegnete, was eranamerikanischen Anregungen aufnahm und wie er<br />
seinerseits die Musikgeschichte der USA beeinflusste, das wollen wir<br />
an Beispielen hörbar machen. Dvořák schlägt für uns auch den Bogen<br />
von den ›Brahms-Perspektiven‹ und Wagner-Aufführungen der letzten<br />
Saison hinüber zur Musik aus den USA. Sie wird nach meinem Eindruck<br />
bislang nur in Segmenten, nicht in ihrer ganzen Breite wahrgenommen.<br />
Im Januar rahmen wir Dvořáks Neunte mit zwei Spirituals und schicken<br />
ihr DukeEllingtons ›Harlem Suite‹ sowie ein hochinteressantes Stück des<br />
jungen tschechischen, in Berlin lebenden Komponisten Ondřej Adámek<br />
Sie ergriffen in den vergangenen Jahren mehrere<br />
Initiativen, um die Wirkung des DSO über die Räume<br />
und Institutionen des tradierten Konzertlebens<br />
hinauszutragen. Wie wird es in der kommenden<br />
Spielzeit sein?<br />
In dem Maße, wie ich das DSO und das <strong>Berliner</strong> Kulturleben<br />
genauer kennenlernen konnte, hat sich auch<br />
mein Gefühl für unsere soziale Verantwortung präzisiert.<br />
Drei Projekte sind mir in der kommenden Saison<br />
wichtig. Mit Sängerinnen und Sängern der Hochschule<br />
für Musik ›Hanns Eisler‹ erarbeiten wir Benjamin Brittens<br />
Kammeroper ›The Rape of Lucretia‹. In mehreren<br />
Vorsingen wählen wir die endgültige Besetzung aus,<br />
ab Herbst studiere ich mit Assistenten und Sprachcoaches<br />
das Stück ein. Die Streicher des Orchesters stellen<br />
unsere Akademistinnen und Akademisten, die Bläser<br />
kommen aus den Reihen des DSO. So wird, hoffen wir, eine ganz besondere<br />
Aufführung entstehen. Ebenso wichtig ist mir die Zusammenarbeit<br />
mit <strong>Berliner</strong> Schulen. Inmehreren vonihnen widmen sich Mitglieder des<br />
DSO seit einigen Jahren gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der<br />
Kammermusik. Ich komme in dieser Saison dazu und erarbeite mit allen<br />
Musizierenden den dritten Satz aus Dvořáks Achter.<br />
Sie beginnen die Spielzeit mit einem Kammerkonzert …<br />
... das die Saison wie in einem Nukleus enthält: mit Werken von Ondřej<br />
Adámek und Brett Dean, mit Dvořáks ›Romanze‹ und Beethovens ›Großer<br />
Fuge‹, dazwischen Lesungen vonBeethovens ›Heiligenstädter Testament‹<br />
und Texten zeitgenössischer Autoren. Es findet in einem der herrlichen<br />
<strong>Berliner</strong> Museen statt S. 7. In diesen Zonen der Ruhe, in denen sich<br />
Geschichte und Aktualität begegnen, führen wir seit zehn Jahren in Kooperation<br />
mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Kammermusikreihe<br />
›Notturno‹ durch. Ähnlich wie der ›Symphonic Mob‹ S.4 und die<br />
Casual Concerts bringen sie uns mit einem Publikum in Kontakt, das wir<br />
auf andere Weise so nicht erreicht hätten: eine kooperative Aktivität,mit<br />
der wir im ganz wörtlichen Sinn unsere Spielräume erweitern.<br />
Die Fragen stellteHABAKUK TRABER.<br />
Alle Konzerte mit Chefdirigent Robin Ticciati finden Sie unter dso-berlin.de/ticciati.<br />
Gespräch 3Im<br />
Robin Ticciati