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Berliner Zeitung 22.08.2019

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Den Spielraum erweitern<br />

Chefdirigent Robin Ticciati über die Konzerte seiner dritten Saison<br />

Maestro, Sie gehen mit dem DSO in die dritte gemeinsame<br />

Saison. In den vorangegangenen Spielzeiten haben Sie vieles<br />

angestoßen, das nach Fortsetzung, Erweiterung, auch<br />

nach Kontrapunkten verlangt. UnterwelcheZeichen stellen<br />

Sie die kommende Saison?<br />

Hinter uns liegen zwei intensive Spielzeiten, sie waren reich an beflügelnden<br />

Erfahrungen. Jedes Projekt, das wir vollendet haben, setzte wieder<br />

neue Ideen in Gang. Musikalisch kommt es mir vor allem darauf an, die<br />

Klangqualität des Orchesters weiter zuverfeinern, das Ausdrucksspektrum<br />

noch vielfältiger und zugleich noch spezifischer für jedes einzelne<br />

Projekt auszuformen.<br />

voraus. Dvořák steht hier wirklich zwischen dem Populären und der Moderne.<br />

Mit Aaron Coplands ›Appalachian Spring‹ greifen wir ein Werk<br />

auf, das Traditionen von Einwanderergruppen thematisiert, mit Elliott<br />

Carterwenden wir uns einem Künstler zu, der das US-Musikleben fast ein<br />

Jahrhundertlang begleiteteund antrieb, mit AndrewNormanstellen wir<br />

einen originellen Gegenwartskomponisten vor; ihm antworten Auszüge<br />

aus Dvořáks Slawischen Tänzen.<br />

In der vergangenen Saison legten Sie einen Schwerpunkt auf französisches<br />

Repertoire. Diese Linie wird in den Hintergrund treten …<br />

... aber keineswegs verschwinden. Die Experimentierfreude von Hector<br />

Berlioz, die der Mentalität des DSO so treffend entspricht,<br />

beschäftigt uns weiter – nun mit der Dramatischen<br />

Legende ›La damnation de Faust‹. Nach ›Rusalka‹<br />

wird sie unser zweites musikdramatisches Projekt sein.<br />

Mit philharmoniegerechter Inszenierung?<br />

Nein, diesmal nicht. Die ›Damnation‹ wurde zwar<br />

mehrfach inszeniert, aber wir verzichten wie bei ›Rusalka‹<br />

auf eine szenische Aufbereitung, um die Aufmerksamkeit<br />

ganz auf die Musik zu konzentrieren. Es<br />

gibt in dieser Spielzeit keine räumlich-szenische Produktion<br />

wie den ›Messias‹ voreinem Jahr.Wir führen<br />

allerdings eine Sache fort, die wir damals erstmalig<br />

ausprobiert hatten. Die Streicher spielten auf Instrumenten<br />

mit Darmsaiten. Ich fand, dass das Orchester<br />

ganz anders klang als sonst, dass es seine Möglichkeiten<br />

enorm erweiterte. Auf diesem Weg wollen wir<br />

weitergehen und im November die drei letzten Symphonien<br />

Mozarts, dieses instrumentale Oratorium, auf<br />

Darmsaiten spielen. Das wird sicherlich eine neue Musizier-<br />

und Hörerfahrung.<br />

Sie setzen neue Repertoireakzente. Es bleibt das Engagement für aktuelle<br />

Musik, es bleiben die erhellenden Konstellationen vonNeuem<br />

und ÜberlieferteminIhren Programmen. Wo liegen Ihre inhaltlichen<br />

Schwerpunkte?<br />

Antonín Dvořák räumen wir einen besonderen Platz ein. Er ist für mich<br />

das Beispiel eines Künstlers, der vomErreichten aus immer weiter drängt.<br />

Seine Neunte Symphonie ›Aus der neuen Welt‹ klingt deutlich anders<br />

als seine Achte; in ihr erreichte erseine Vollendung auf diesem Gebiet;<br />

danach wandteersich Tondichtungen und dem Musiktheater zu. Mit der<br />

konzertanten Aufführung der Oper ›Rusalka‹ eröffnen wir unsere Philharmonie-Saison<br />

S.5. Mir geht es bei Dvořák auch um Zusammenhänge<br />

zwischen Volkstümlichem, das eine langeTradition in sich birgt, und<br />

Streben nach künstlerisch Neuem. Dieses Verhältnis war ein Thema für<br />

die Romantiker,für Dvořák, aber auch für Komponisten wie Leoš Janáček<br />

und Béla Bartók: ein Thema auf dem Weg zur Moderne.<br />

Dvořák komponierte seine Neunte inder Neuen Welt, den USA. Gehen<br />

Sie der transatlantischen Verbindung, die er verkörpert, nach?<br />

Selbstverständlich. Fast drei Jahre lehrte Dvořák in NewYork und prägte<br />

das US-Musikleben vor allem an der Ostküste mit. Welcher Musik er<br />

begegnete, was eranamerikanischen Anregungen aufnahm und wie er<br />

seinerseits die Musikgeschichte der USA beeinflusste, das wollen wir<br />

an Beispielen hörbar machen. Dvořák schlägt für uns auch den Bogen<br />

von den ›Brahms-Perspektiven‹ und Wagner-Aufführungen der letzten<br />

Saison hinüber zur Musik aus den USA. Sie wird nach meinem Eindruck<br />

bislang nur in Segmenten, nicht in ihrer ganzen Breite wahrgenommen.<br />

Im Januar rahmen wir Dvořáks Neunte mit zwei Spirituals und schicken<br />

ihr DukeEllingtons ›Harlem Suite‹ sowie ein hochinteressantes Stück des<br />

jungen tschechischen, in Berlin lebenden Komponisten Ondřej Adámek<br />

Sie ergriffen in den vergangenen Jahren mehrere<br />

Initiativen, um die Wirkung des DSO über die Räume<br />

und Institutionen des tradierten Konzertlebens<br />

hinauszutragen. Wie wird es in der kommenden<br />

Spielzeit sein?<br />

In dem Maße, wie ich das DSO und das <strong>Berliner</strong> Kulturleben<br />

genauer kennenlernen konnte, hat sich auch<br />

mein Gefühl für unsere soziale Verantwortung präzisiert.<br />

Drei Projekte sind mir in der kommenden Saison<br />

wichtig. Mit Sängerinnen und Sängern der Hochschule<br />

für Musik ›Hanns Eisler‹ erarbeiten wir Benjamin Brittens<br />

Kammeroper ›The Rape of Lucretia‹. In mehreren<br />

Vorsingen wählen wir die endgültige Besetzung aus,<br />

ab Herbst studiere ich mit Assistenten und Sprachcoaches<br />

das Stück ein. Die Streicher des Orchesters stellen<br />

unsere Akademistinnen und Akademisten, die Bläser<br />

kommen aus den Reihen des DSO. So wird, hoffen wir, eine ganz besondere<br />

Aufführung entstehen. Ebenso wichtig ist mir die Zusammenarbeit<br />

mit <strong>Berliner</strong> Schulen. Inmehreren vonihnen widmen sich Mitglieder des<br />

DSO seit einigen Jahren gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der<br />

Kammermusik. Ich komme in dieser Saison dazu und erarbeite mit allen<br />

Musizierenden den dritten Satz aus Dvořáks Achter.<br />

Sie beginnen die Spielzeit mit einem Kammerkonzert …<br />

... das die Saison wie in einem Nukleus enthält: mit Werken von Ondřej<br />

Adámek und Brett Dean, mit Dvořáks ›Romanze‹ und Beethovens ›Großer<br />

Fuge‹, dazwischen Lesungen vonBeethovens ›Heiligenstädter Testament‹<br />

und Texten zeitgenössischer Autoren. Es findet in einem der herrlichen<br />

<strong>Berliner</strong> Museen statt S. 7. In diesen Zonen der Ruhe, in denen sich<br />

Geschichte und Aktualität begegnen, führen wir seit zehn Jahren in Kooperation<br />

mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Kammermusikreihe<br />

›Notturno‹ durch. Ähnlich wie der ›Symphonic Mob‹ S.4 und die<br />

Casual Concerts bringen sie uns mit einem Publikum in Kontakt, das wir<br />

auf andere Weise so nicht erreicht hätten: eine kooperative Aktivität,mit<br />

der wir im ganz wörtlichen Sinn unsere Spielräume erweitern.<br />

Die Fragen stellteHABAKUK TRABER.<br />

Alle Konzerte mit Chefdirigent Robin Ticciati finden Sie unter dso-berlin.de/ticciati.<br />

Gespräch 3Im<br />

Robin Ticciati

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