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8* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 194 · D onnerstag, 22. August 2019<br />
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Meinung<br />
Solidaritätszuschlag<br />
ZITAT<br />
Die missratene<br />
Steuer<br />
Markus Decker<br />
hofft, dass mit der Abgabe auch einigeMissverständnisse<br />
wegfallen.<br />
Ist es richtig, dass der Solidaritätszuschlag<br />
nahezu komplett abgeschafft<br />
wird? DieAntwortlautet –zumindest, was<br />
seine Symbolkraft anbelangt –ganz klar:<br />
Ja. Denn mit keinem Instrument sind so<br />
fundamentale Missverständnisse verbunden<br />
wie mit dem Soli.<br />
So glauben viele Westdeutsche noch<br />
immer,erwerde nur vonihnen entrichtet,<br />
nicht aber von den Ostdeutschen. Das ist<br />
seit jeher falsch und führt zudem in den<br />
alten Ländern verbreiteten Irrtum, sie<br />
würden anhaltend zur Kasse gebeten, obwohl<br />
doch in den neuen Ländern längst<br />
jede Fassade und jede Nebenstraße renoviert<br />
sei. Missverständnis Nummer zwei<br />
hängt mit Nummer eins zusammen. So<br />
wenig nämlich der Soli allein im Westen<br />
erhoben wird, so wenig wird erallein für<br />
den Osten verwandt. Der Solidaritätszuschlag<br />
wurde vielmehr 1991 zunächst befristet<br />
eingeführt, unter anderem um<br />
Mehrbelastungen aus dem Golfkrieg zu<br />
schulternoder Länder in Mittel- und Osteuropa<br />
zu unterstützen. Zwar stand 1995<br />
bei der unbefristeten Einführung die Finanzierung<br />
der deutschen Einheit imVordergrund.<br />
Dennoch floss das Geld nie direkt<br />
oder gar ausnahmslos in den Osten,<br />
sondern inden allgemeinen Steuertopf,<br />
aus dem dann alles Mögliche beglichen<br />
wird. Der Soli hat mit den ähnlich klingenden<br />
Solidarpakten Iund II zugunsten<br />
Ostdeutschlands streng genommen<br />
nichts zu tun. Das sieht man auch daran,<br />
dass der Solidarpakt II in diesem Jahr ausläuft<br />
–der Soli aber nicht.<br />
Soli klingt gut –nach Zusammenhalt<br />
und Solidarität. Die Missverständnisse,<br />
die ihn begleiten, hatten allerdings teilweise<br />
gegenteilige, sprich: spaltende Effekte.<br />
So gesehen: Gut, dass er weg<br />
kommt!<br />
Grönland<br />
Trump überschreitet<br />
eine Grenze<br />
Gordon Repinski<br />
findet die neueste politische Posse<br />
des US-Präsidenten nicht witzig.<br />
Für manchen ist es nur eine weitere<br />
Meldung aus der Kategorie „Politik als<br />
Vorabendshow“. Donald Trump meldete<br />
Interesse an, Dänemark Grönland abzukaufen.<br />
Als die erwartete, brüske Absage<br />
folgte, sagte er seinen für die kommende<br />
Woche geplanten Besuch in Kopenhagen<br />
kurzerhand ab. Ja, es ist eine bemerkenswerte<br />
Show, die der US-Präsident damit<br />
abgelieferthat. Sonderlich witzig ist sie allerdings<br />
nicht.<br />
Donald Trump hat mit seiner absurden<br />
Avance eine Grenze überschritten, im<br />
wörtlichen Sinne, denn er hat eine Territorialfrage<br />
zu einem Gegenstand internationaler<br />
Politik gemacht. Trump hat dies<br />
über Twitter getan und mit einem Verweis<br />
darauf, dass er natürlich zu zahlen bereit<br />
sei. Aber auch die Verballhornung des<br />
Vorgangs macht ihn nicht weniger ernsthaft.<br />
Grenzfragen oder gar Gebietsbegehrlichkeiten<br />
sind keine Nebensächlichkeiten;<br />
sie sind über Jahrhunderte Ursache<br />
vonKrieg und Leid in Europa und der<br />
ganzen Welt gewesen. Derartige Fantasien<br />
einfach mal so nach dem Frühstücksei<br />
in die Welt hinauszublasen sollte<br />
der politischer Anstand und ein Mindestmaß<br />
an Geschichtsbewusstsein eigentlich<br />
verbieten, aber bei Trump gibt es keinen<br />
Anstand und kein Geschichtsbewusstsein.<br />
Es gibt, wieder wörtlich, Grenzen,<br />
mit denen man nicht spielt. Trump<br />
hat sie überschritten.<br />
Nichts ist unvorstellbar, das zeigt die<br />
Wahl Trumps und die Ungeheuerlichkeiten,<br />
die seine erste Amtszeit pflastern.Wer<br />
die Ruchlosigkeit dieses Präsidenten unterschätzt,<br />
dem ist nicht zu helfen. Wer<br />
ihn nicht ernst nimmt, wird bitter überrascht.<br />
Das zuverstehen, wäre immerhin<br />
ein Teil einer europäischen Antwort.<br />
Immobilien-Diplomatie<br />
Populisten sind gut im Wahlkampf,<br />
aber schlecht im Regieren. Das hat<br />
das erste Bündnis dieser Art ineiner<br />
westeuropäischen Wirtschaftsmacht<br />
bewiesen. Alssich die voneinem Komiker<br />
gegründete Protest-Sammelbewegung<br />
Fünf Sterne mit der rechtsnationalen<br />
Lega als Juniorpartner in Rom zusammentat,<br />
einte beide nicht viel: eine anti-europäische<br />
und anti-elitäre Grundhaltung sowie<br />
die Vorliebe für simple Slogans, soziale<br />
Netzwerke und Verschwörungstheorien<br />
über „dunkle Mächte“. Die Fünf Sterne versprachen,<br />
die Armut abzuschaffen und umweltschädigende<br />
Großprojekte zu verhindern.<br />
Salvini versprach, Italien wieder Gehör<br />
auf der internationalen Bühne zu verschaffen<br />
und eine nationalistische<br />
Revolution in Europa anzustoßen.<br />
Nun ist das italienische Experiment nach<br />
nur knapp 15 Monaten spektakulär gescheitert,<br />
mit gegenseitigen Anschuldigungen, wie<br />
sie bitterer nicht ausfallen könnten. DasEnde<br />
der Populisten-Koalition könnte Anlass für<br />
Erleichterung sein. Aber Italien stehen unruhige<br />
Zeiten bevor. Und im schlimmsten Fall<br />
eine rechtsextreme Regierung.<br />
Die Populisten hinterlassen ein Land,<br />
dessen Probleme erdrückend sind. Der<br />
Schuldenberg wächst weiter, die Wirtschaft<br />
stagniert, eine neue Rezession droht, junge<br />
Italiener gehen in Scharen ins Ausland, weil<br />
sie keine Zukunft sehen. Mit seiner migrantenfeindlichen<br />
Politik und den Attacken gegen<br />
Brüssel hat Salvini Italien zunehmend<br />
isoliert.Während der parteilose Premier Giuseppe<br />
Conte sich mühte, die europäischen<br />
Partner zu beruhigen, betrieb Salvini 15 Monate<br />
lang das,was er am besten kann: Dauerwahlkampf.<br />
Er verdoppelte damit die Umfragewerte<br />
seiner Lega auf fast 40 Prozent.<br />
Wie sinnvoll ist es, die letzten Tage vor<br />
den beiden Landtagswahlen permanent<br />
auf die aktuellen Umfragewerte zu starren<br />
und dabei die Zukunft aus dem Auge zu<br />
verlieren? Wernoch nicht auf der Leimrute<br />
der Rechtspopulisten festklebt, sollte erkennen,<br />
dass er mit Angst, Resignation oder der<br />
Protesthaltung „nun zeigen wir es denen<br />
mal“ nichts anderes tut, als das Geschäft dererzubetreiben,<br />
die unsereDemokratie erledigen<br />
wollen. Dass sie sich dazu in BrandenburgWilly<br />
Brandts Aufruf von1969 samt seinem<br />
Porträt auf einem obszönen Wahlplakat<br />
bedienen, ist an feister Geschmacklosigkeit<br />
kaum zu übertreffen. WemesimOsten bis<br />
jetzt noch nicht aufgefallen ist, wie er von<br />
den Westimporten Gauland, Höcke, Kalbitz<br />
und Kollateral-Partner verhöhnt und politisch<br />
für nicht zurechnungsfähig abqualifiziertwird,<br />
dem ist nicht zu helfen.<br />
Für mich bleibt die Tatsache wichtig, dass<br />
man sich auf rund achtzig Prozent der Wähler<br />
verlassen kann. So viel Hoffnung leiste ich<br />
mir und trotzedem Fatalismus,dem gefährlichen<br />
Vorzeichen einer Lähmung. Oder sollten<br />
wir tatsächlich dem Wilderer mit der<br />
Hundekrawatte und seiner Meute das Revier<br />
überlassen? „Wir werden sie jagen!“ hatte er<br />
angekündigt. Haben wir das im reizüberfluteten<br />
Medienrummel schon vergessen?<br />
Für einen überzeugten Sozialdemokraten<br />
mit einem halben Jahrhundert Parteierfahrung<br />
geltenWilly BrandtsWorte„Mehr Demokratie<br />
wagen“ immer noch und ich lasse sie<br />
von keinem rechten Plakatier stehlen. Des-<br />
Italien<br />
Lega auf<br />
der Lauer<br />
Regina Kerner<br />
befürchtet, dass das Land in einen Dauerwahlkampf<br />
fallen könnte, statt seine Probleme anzugehen.<br />
Als er die Regierungskrise ins Rollen<br />
brachte, zielte das auf schnelle Neuwahlen.<br />
Salvini wollte selbst Premier werden und„die<br />
ganze Macht“ an sich reißen. Damit ist er<br />
vorerst am Staatspräsidenten gescheitert.<br />
Der will das Parlament nicht auflösen, ohne<br />
nach Alternativen zu suchen. Am besten für<br />
Italien und für Europa wäre nun eine Anti-<br />
Salvini-Allianz, die den drohenden Aufstieg<br />
des Rechtsnationalisten verhindert.<br />
Fünf Sterne und die Sozialdemokraten<br />
der PD hätten gemeinsam eine knappe<br />
Mehrheit. Würde auch ein Teil der gemäßigten<br />
Konservativen der Berlusconi-Partei<br />
Forza Italia mitmachen, entstünde eine<br />
breite Front. Ex-Premier Romano Prodi<br />
nannte sie die „Ursula-Mehrheit“, weil es die<br />
KOLUMNE<br />
Verteidigt<br />
die<br />
Republik<br />
Klaus Staeck<br />
Grafiker und Verleger<br />
halb werde ich die gemeinsam mit Johano<br />
Strasser initiierte „Aktion für mehr Demokratie“<br />
entschieden weiterbetreiben –wer auch<br />
immer die Demokratie unter falsche Flagge<br />
bekämpfen will.Wirhaben diese Aktion als lockere<br />
Organisationsform gesucht, um mit einem<br />
Minimum an Bürokratie politische Themen<br />
in die Öffentlichkeit zu bringen. In den<br />
70er-Jahren setzten wir uns im Arbeitskreis<br />
Medien für die Stärkung des stets gefährdeten<br />
BERLINER ZEITUNG/HEIKO SAKURAI<br />
italienischen Parteien sind, die kürzlich im<br />
EU-Parlament für Ursula von der Leyen als<br />
Kommissionspräsidentin stimmten. Es wäre<br />
eine europafreundliche Allianz der Vernunft,<br />
die ein starkes Signal im Kampf gegen den erstarkenden<br />
Populismus im Rest Europas<br />
aussenden könnte.<br />
Allzu große Hoffnungen, dass der Aufstieg<br />
des Rechtspopulisten Salvini dauerhaft gestoppt<br />
ist, darf man allerdings nicht hegen.<br />
Zwar ist derzeit die Mehrheit der Fünf Sterne<br />
zu einer Kehrtwende nach links bereit. Mit<br />
der PD haben sie am Ende mehr gemein als<br />
mit der Lega, angefangen bei sozialen Themen.<br />
Ein Bündnis mit der Partei des Erzfeinds<br />
Berlusconi scheint dagegen fast ausgeschlossen.<br />
Und letztlich ist die Grillo-Bewegung<br />
fast ebenso gespalten wie es die Sozialdemokraten<br />
und die ForzaItalia sind.<br />
Aber selbst wenn eine Anti-Salvini-Koalition<br />
zustande kommt, so ist die Frage, wie<br />
lange sie halten wird. Herkulesaufgaben liegen<br />
vor ihr. Sie muss mindestens 23 Milliarden<br />
Euro auftreiben, um eine drohende Erhöhung<br />
der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent zu<br />
verhindern–was mit unpopulären Sparmaßnahmen<br />
verbunden ist. Sie muss in der<br />
Flüchtlingsfrage eine europäische Lösung erreichen<br />
–was bisher unmöglich war.Sie muss<br />
für Wachstum und Arbeitsplätzesorgen –was<br />
schmerzhafte Reformen voraussetzt.<br />
Noch gibt es keine aktuellen Umfragen.<br />
Aber als Auslöser der hochsommerlichen<br />
Krise hat Salvini bei den Italienernsicher einige<br />
Sympathien verspielt. Ein paar Monate<br />
in der Opposition könnten für ihn sogar von<br />
Vorteil sein. Er müsste sich nicht um den<br />
kniffligen Haushalt kümmern und würde,<br />
einfach das machen, was er am besten kann<br />
und womit er den größten Erfolg hat: Wahlkampf<br />
gegen die Regierung.<br />
öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems ein,<br />
das bald unter dem Konkurrenz- und Quotendruck<br />
mit der Einführung der Privatsender<br />
als Garant demokratischer Meinungsbildung<br />
heftig verteidigt werden musste.Eine unserer<br />
vielen Kampagnen, die wir gemeinsam mit<br />
den Gewerkschaften auf den Wegbrachten,<br />
hieß „Freiheit statt Strauß“ und hat mit dazu<br />
beigetragen, einen populistischen CSU-<br />
Kanzlerkandidaten nicht alternativlos erscheinen<br />
zu lassen. MitGroßveranstaltungen<br />
unter dem Motto „Verteidigt die Republik“<br />
füllten wir unter anderem die Essener Grugahalle<br />
mit mehr als 7000 Leuten, die zu Lesungen,<br />
Diskussionen und Konzerten aus ganz<br />
Westdeutschland angereist kamen. Zusammen<br />
mit Oskar Negt folgten eine Reihe von<br />
Ideentreffs zuaktuellen Zeitfragen, um der<br />
Klage über die Sprachlosigkeit zwischen<br />
Künstlern, Intellektuellen und Politikern entgegenzuwirken.<br />
Ausmeiner politischen Erfahrungbin ich<br />
mir sicher, dass die 80 Prozent der Bevölkerung<br />
zu mobilisieren sind, die den düsteren<br />
Prophezeiungen eines Rechtsrucks ihr demokratisches<br />
Engagement entgegensetzen.<br />
Der amerikanische Historiker Gordon A.<br />
Craig fragte vier Jahre nach der Wende<br />
„Warum sehen die Deutschen nur immer so<br />
schwarz?“ und empfahl uns mehr Gelassenheit<br />
auch im Umgang mit der deutsch-deutschen<br />
Vereinigung. Dabei zieht sich durch<br />
sein gesamtes Werk dieChronik des mutwilligen<br />
oder fahrlässigen Verspielens der deutschen<br />
Freiheit.<br />
„Kümmert sich denn<br />
niemand im Weißen Haus<br />
darum, dass die<br />
morgendliche Pillenration<br />
auch eingenommen wird?“<br />
Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Chef, am Mittwoch<br />
auf Twitter zur Absage des Staatsbesuchs von<br />
US-Präsident Donald Trump in Dänemark, weil<br />
Regierungschefin Mette Frederiksen nicht über einen<br />
Verkauf Grönlands mit ihm reden will<br />
AUSLESE<br />
Durch Schlaglöcher<br />
zum Brexit<br />
Der Austritt Großbritanniens aus der<br />
EU ohne Abkommen wird wahrscheinlicher.<br />
Schon gibt es Notfallszenarien,<br />
in denen vonTreibstoff- und Lebensmittelengpässen<br />
die Rede ist. Die Kommentatoren<br />
schütteln den Kopf über die<br />
Reaktion der britischen Regierung darauf.<br />
„Mit seinem gewohnten Lächeln sagte<br />
Boris Johnson, er sei zuversichtlich, dass<br />
Großbritannien am 31. Oktober vorbereitet<br />
sein werde“, schreibt der Londoner Independent.„Zugleich<br />
räumte er ein, dass<br />
wohl mit einigen ‚Schlaglöchern‘ zu rechnen<br />
sei. Das könnte sich als Untertreibung<br />
erweisen.“ Die Neue Osnabrücker<br />
<strong>Zeitung</strong> widmet sich den vonJohnson gewünschten<br />
Nachverhandlungen mit der<br />
EU. „Die Brexiteers wollen nicht verstehen,<br />
dass mit dem Austritt ihres Landes<br />
eine Außengrenze zum EU-Mitglied Irland<br />
entsteht“, heißt es dort.„Johnson will<br />
nun ‚konstruktiv und flexibel‘ schauen,<br />
welche Verpflichtungen helfen könnten.<br />
Warumsollte die EU aber derlei vagen Bekundungen<br />
trauen?“<br />
Die Neue Zürcher <strong>Zeitung</strong> istoptimistischer:<br />
„Langfristig werden diese Verwerfungen<br />
sich legen, und Großbritannien<br />
wirdalle Chancen auf eine prosperierende<br />
Zukunft haben“, glaubt man dort. „Dann<br />
sollte die EU ... zu der Gestaltung erfolgreicher<br />
bilateraler Rahmenbedingungen ...<br />
alles beitragen, was sie nur kann. Denn<br />
Großbritannien wirdein Teil Europas bleiben,<br />
daran können auch die härtesten Brexiteers<br />
nichts ändern.“ Christine Dankbar<br />
PFLICHTBLATT DER BÖRSE BERLIN<br />
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