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Der Weg in die Zukunft<br />

Reinhard Stähling<br />

Wieso Schulen ohne Brüche<br />

von Jahrgang 1 bis 10?<br />

Viele Lehrerinnen und Lehrer wissen nicht, wie sie allen Kindern in ihrer Klasse<br />

gerecht werden können. Sie möchten ihnen Halt geben, stoßen aber an ihre<br />

Grenzen. Sie haben z. B. einen Jungen in ihrer Klasse, der einen Erwachsenen<br />

für sich alleine braucht, jemanden, auf den er sich auf lange Sicht verlassen<br />

kann. Die Klassenwiederholung oder das »Abschieben« in Sonderschulen erleben<br />

sie als eine pädagogische Bankrott-Erklärung.<br />

Sie spüren, dass Lern- oder Verhaltensprobleme<br />

des Jungen in<br />

»weiterführenden« Schulen oder<br />

einer so genannten »Förderschule«<br />

nicht verschwinden. Die Eltern des Jungen<br />

wollen nicht, dass ihr belastendes<br />

Kind »abgeschoben« und das Problem<br />

»weitergereicht« wird. Sie fordern stattdessen<br />

zusätzliche individuelle Unterstützung<br />

innerhalb des verlässlichen<br />

Rahmens in der Regelschule.<br />

Nicht Straf- oder Ordnungsmaßnahmen,<br />

nicht Zensuren-Druck<br />

oder Klassenwiederholungen,<br />

auch nicht Aussonderungen<br />

in Sondereinrichtungen<br />

sind erfolgversprechend,<br />

wenn Kinder<br />

Grenzen überschreiten.<br />

Wir Pädagogen haben<br />

einen Beruf, der auf Beziehungen<br />

aufbaut. Erfolge<br />

gibt es nur, wenn die<br />

Schule so arbeitet, dass<br />

sich in vielen gemeinsamen<br />

Jahren ein Vertrauen<br />

zwischen allen Beteiligten<br />

entwickelt. Auch schwierige<br />

rechtliche Fragen lassen<br />

sich in gutem Vertrauensverhältnis<br />

leichter lösen.<br />

Viele Eltern wünschen eine Schulklasse<br />

oder feste Stammgruppe, zu der<br />

ihr Kind gehört. Möglichst über viele<br />

Jahre, also von Schulbeginn an bis zum<br />

Schulabschluss, ein »Längeres gemeinsames<br />

Lernen« im ursprünglichen Sinne<br />

des Wortes. Zwei Drittel der Kinder verlieren<br />

durch den Übergang auf die Sekundarstufe<br />

Freundinnen und Freunde.<br />

Ebenso zwei Drittel geben an, dass dies<br />

mit Traurigkeit verbunden ist (vgl. Fritzsche<br />

u. a. 2009). Für labile Kinder können<br />

hier Welten zusammenbrechen. Einige<br />

Kinder mit frühkindlichen Entwicklungsverzögerungen<br />

erarbeiten<br />

sich erst recht spät einen Zahlbegriff.<br />

Manche Kinder – besonders aus Migrantenfamilien<br />

– haben ihre sprachlichen<br />

und sozialen Kompetenzen noch<br />

nicht ausreichend sichern können. Eine<br />

längere Grundschulzeit wird aber nicht<br />

nur von Eltern gewünscht, deren Kinder<br />

besondere Unterstützung brauchen. Im<br />

Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung<br />

kann man lesen: »Zwei Drittel der<br />

OECD-Länder teilen die Schülerinnen<br />

und Schüler erst im Alter von 15 oder<br />

16 Jahren auf unterschiedliche Schularten<br />

auf. Die Logik dahinter: Je früher<br />

man trennt, umso stärker hängt die Entscheidung<br />

von den Eltern ab, die Lehrer<br />

hatten ja bloß vier Jahre vormittags Zeit,<br />

sich um die Bildung der Kinder zu kümmern.<br />

Entscheidet man später, kommt<br />

es mehr auf die tatsächlichen Fähigkeiten<br />

der Schülerinnen und Schüler an«<br />

(Hoffmann 2018, 26).<br />

Welche Vorteile zeigen sich in<br />

Schulen »aus einem Guss«?<br />

In Deutschland gibt es vielfältige Erfahrungen<br />

mit Langform-Schulen. Wenn<br />

man als Kriterium definiert, dass eine<br />

solche Schule nur als Langformschule<br />

zu bezeichnen ist, falls sie für alle Schüler<br />

mindestens vom ersten Schuljahr bis<br />

zum Ende der Pflichtschulzeit gilt, alle<br />

Abschlüsse anbietet und die Primar- und<br />

Sekundarstufe unter einer Leitung steht,<br />

dann existieren derzeit nach Angeben<br />

des Verbands für Schulen des gemeinsamen<br />

Lernens GGG ca. 150 öffentliche<br />

Langformschulen in Deutschland (vgl.<br />

GGG-web.de). Hinzu kommen eine bedeutende<br />

Zahl im Privatschulwesen<br />

(z. B. alle Waldorf-Schulen). Diese relativ<br />

große Zahl erstaunt; erklärbar<br />

ist dies damit, dass<br />

diese Schulform unter keinem<br />

einheitlichen Namen<br />

in der Schulstatistik der<br />

Bundesländer zu finden<br />

ist (Gemeinschaftsschule<br />

in Berlin und Thüringen,<br />

Primus-Schulen in NRW<br />

usw.): eine »verheimlichte<br />

und unterschätzte Schulstruktur«<br />

(Sack 2015a,<br />

35 ff.).<br />

Vorteile einer Langform-Schule<br />

liegen auf<br />

der Hand. Alle an der<br />

Langform-Schule beteiligten<br />

Menschen profitieren. Erfahrungen<br />

und wissenschaftliche Untersuchungen<br />

bestätigen dies (vgl. Sack<br />

2015a, 30 ff.; 2016; siehe ebenfalls Senatsverwaltung<br />

2016; Stähling / Wenders<br />

2015, 218 ff.; Carle 2016):<br />

Welche Vorteile sehen<br />

Schülerinnen und Schüler?<br />

●●<br />

Bekannte, vertraute Schulumgebung<br />

bleibt bestehen.<br />

●●<br />

Bewährte soziale Beziehungen und<br />

gut funktionierende Schülergruppen<br />

bleiben erhalten.<br />

30<br />

GS aktuell 147 • September 2019

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