AJOURE / INTERVIEW Wie kam es zu der Veränderung? Einst eher melancholisch, jetzt eher hoffnungsvoll? Ich habe für dieses Album viel mehr geschrieben als für das letzte. Das heißt, ich habe mich bewusst hingesetzt und habe überlegt, wie die Songs klingen und wie sie überhaupt sein sollen. So kam es dann auch, dass ich nicht zwanzig Songs schrieb, sondern sechzig. Von denen habe ich mich dann für die Songs entschieden, die mir am besten gefallen haben. Bei meinem ersten Album wollte ich noch komplett ungefiltert sein und so kam es, dass ich alles reingepackt habe, was mich damals bewegte. So entstanden diese ganzen melancholischen Songs. Für „Glück“ hatte ich ein Konzept – ich wusste, dass ich darüber schreiben möchte, wie schön das Leben mit seinen ganzen Höhen und Tiefen ist. So entstand auch der Song „Auf das, was da noch kommt“. Selbst wenn ich darüber schreibe, dass jemand nicht mehr in meinem Leben ist und ich durchaus traurig darüber bin, habe ich trotzdem versucht, hier einen positiven Ansatz zu finden. Der Song „Wenn Liebe kommt“ hätte durchaus melancholisch sein können. Denn es geht darum, dass man sich nach einer Trennung irgendwann auf der Straße begegnet, man einfach ignoriert wird und selbst ein „hallo“ zu viel verlangt ist. Statt sich darüber zu ärgern, sagt man sich aber: „Wenn Liebe kommt, will ich, dass sie bleibt!“ Es war mir wichtig, die positiven Aspekte aus negativen Situationen herauszuheben. Ein Lied, an dem man aktuell nicht vorbeikommt, wenn man deinen Namen hört, ist dein Ende August erschienener Song „Auf das, was da noch kommt“, den du im Duett mit Max Giesinger singst. Was steckt hinter diesem Ohrwurm, wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Ich finde, dass das Duett thematisch super zum Album passt. Es geht um die guten und die schlechten Zeiten im Leben, das ganze Auf und Ab und immer wieder mal gegen eine Wand rennen, um sich danach wieder eine andere Richtung suchen zu können, ohne dabei das Positive aus den Augen zu verlieren. Max und ich haben uns vor drei Jahren in Mannheim kennengelernt. Dort habe ich mit meiner E-Gitarre ein kleines Konzert gespielt und er hat es gesehen und fand es sehr gut. Er fragte mich dann, ob ich nicht vielleicht seine große Album-Release-Show in Hamburg supporten möchte zu seinem ersten erfolgreichen Album „Der Junge, der rennt“. Ich fuhr natürlich hin und stand zum ersten Mal alleine mit meiner E-Gitarre vor 800 Leuten. Daraus entstand dann diese Freundschaft. Er hat sich viel Zeit genommen, mich zu unterstützen und zu zeigen, wie Dinge in diesem Business laufen. Mittlerweile haben wir beide dasselbe Management und wir schreiben viel gemeinsam. Für das Album „Glück“ wollten wir auch einen Song gemeinsam schreiben. Einen Song, der dieses ganze Thema zusammenfasst. Max kann einfach nicht die Klappe halten, das ist unglaublich (lacht) – wenn du mit ihm schreibst, dann singt er einfach die ganze Zeit und so kam es, dass er auch die ganze Zeit im Studio gesungen hat. Da sich alle an Max im Song „Auf das, was da noch kommt“ gewöhnt hatten, war es dann so, dass wir ihn gemeinsam sangen. Du bist ja eine Sängerin und Songschreiberin. Was inspirierte dich für dein neues Album? Woher kamen all deine Ideen für die Lieder? Dieses Mal inspirierte mich tatsächlich mein eigenes Leben, denn es ist beinahe alles autobiographisch. Es gibt ein, zwei Songs, die sich um Themen drehen, die ich bei Freunden gesehen habe, aber ansonsten geht’s um mich. Ich habe mich in den letzten drei bis vier Jahren verändern dürfen und so geschahen immer neue Dinge. Ich bin aus dem kleinen Ravensburg über Hamburg ins „große und gefährliche“ Berlin gezogen. Überhaupt hat sich wohl mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt! Ich habe das Gefühl, dass wenn man so viele Veränderungen durchlebt, man sich auch selbst immer wieder neu finden muss. Es gibt so viele Künstler, die auf den größten Bühnen spielen, täglich auf anderen Partys unterwegs sind und dennoch sind sie unfassbar unglücklich und einsam. Ich habe mich sehr viel mit der Frage beschäftigt: „Was macht mich glücklich?“ Nur Konzerte zu spielen macht mich nicht glücklich, aber nur zuhause bei meiner Familie zu sein, macht mich ebenfalls nicht glücklich. Deshalb habe ich in den letzten Jahren mein Glück für mich neu definieren müssen. Genau über diese ganzen Geschichten geht das neue Album. Es gibt aber auch den Song „Neonlicht“, der nicht autobiographisch ist. Er handelt vom Vereinsamen, was ich in der Großstadt ganz oft sehe, vom Anonym-Werden und wo man sich selbst in dieser ganzen vorherrschenden Ekstase verliert. Hattest du denn im Laufe der letzten zwei drei Jahre Momente, in denen du sehr traurig warst? Es gab auf jeden Fall Momente, in denen ich dachte: „Oh man, das war doch mein Traum und jetzt habe ich ihn angefangen zu leben, also was soll der Scheiß…“ Es ist schwierig, eine Balance zwischen dem Stehen auf der Bühne vor 20.000 Leuten und dem danach einsamen Liegen im Hotelzimmer zu finden. Wenn man so viel zu tun hat und unterwegs ist, dann vergisst man sehr schnell für eine längere Zeit die Familie und seine Freunde. Diese Tatsache passiert einfach so, ohne dass man sich davor schützen kann und dann fragst du dich auf einmal: „Super, und was habe ich jetzt von all dem, wenn ich es mit niemandem teilen kann?“ Wenn man sich diese Gegebenheit bewusst macht und bewusst dagegen angeht, kommt man damit besser zurecht. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass man die Beziehung zur Familie und zu den Freunden aktiv pflegen und sich Zeit für diese nehmen muss und dass das Glück und den „Fame“, welcher dir ein Auftritt auf der Bühne verspricht, einfach nicht real ist. Ich denke, dass das Zeit benötigt und dass man immer wieder mal darauf reinfällt. Hast du ein Lied auf deinem neuen Album, welches dir besonders viel bedeutet? Natürlich bedeuten mir alle Lieder viel. Es gibt allerdings ein Lied mit dem Titel „Alles zieht vorbei“, in dem es um meine letzten drei Jahre geht und um die Dinge, die ich in dieser Zeit erleben durfte. Es ist ausnahmsweise ein trauriges Lied, das beschreibt, wie ich 2015 angefangen habe, Musik zu machen und dass alles an irgendeinem Punkt sehr schnell ging. Das ging so weit, dass ich mich teilweise an manche Wochen gar nicht mehr erinnern konnte, da so viel passierte. Wenn ich auf die letzten Jahre zurückschaue, dann fühlt es sich für mich an, als sitze ich in einem Zug und alles zieht so schnell vorbei – egal ob anstrengende oder super schöne Momente. Ich war nicht in der Lage, diese Momente irgendwie festzuhalten. AJOURE MAGAZIN SEITE: 42 | NOVEMBER <strong>2019</strong>
Foto: Christoph Köstlin AJOURE / INTERVIEW AJOURE MAGAZIN SEITE: 43 | NOVEMBER <strong>2019</strong>