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Berliner Zeitung 16.10.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 240 · M ittwoch, 16. Oktober 2019 17 *<br />

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Wissenschaft<br />

So sieht die Lithiumproduktion in der Atacama-Wüste im Norden Chiles aus. Lithiumhaltiges Grundwasser wird in große Becken gepumpt. Dortverdunstet es monatelang unter der Sonne, bis das Element gewonnen werden kann.<br />

REUTERS /IVAN ALVARADO<br />

Der Nobelpreis und das Lithium<br />

Die jüngste Ehrung von drei Batterie-Forschern hat auch eine Schattenseite: die umstrittene Rohstoffgewinnung. Forscher suchen nach Alternativmaterialien<br />

VonTorsten Harmsen<br />

Erst am vergangenen Mittwoch<br />

haben drei Forscher<br />

den Nobelpreis für Chemie<br />

erhalten. Stanley Whittingham,<br />

John Goodenough und Akira<br />

Yoshino wurden für eine Erfindung<br />

geehrt, von der wohl alle Menschen<br />

mehr oder weniger profitieren: die Lithium-Ionen-Batterie.<br />

Deren Entwicklung<br />

ermöglichte den Bau von<br />

Elektroautos und immer kleiner werdenden<br />

elektronischen Geräten.<br />

Doch der Fortschritt hat auch eine<br />

problematische Seite. Die Gewinnung<br />

von Lithium, des bisher unverzichtbaren<br />

Rohstoffs für die Batterien,<br />

zerstörtdie Umwelt. Dasfür die<br />

Batteriekathoden benötigte Kobalt<br />

wirdinAfrika unter unmenschlichen<br />

Bedingungen abgebaut.<br />

Proteste gegen Umweltzerstörung<br />

Im Kongo findet sich fast die Hälfte<br />

der weltweiten Kobaltvorkommen.<br />

Die großen industriellen Minen sind<br />

in der Hand von Firmen aus der<br />

Schweiz und China. Dazu kommen<br />

unzählige illegale Klein-Bergwerke.<br />

Hier atmen die Menschen Unmengen<br />

giftigen Kobaltstaubs ein. Zehntausende<br />

Kinder müssen in den engen<br />

Schächten arbeiten.Viele werden<br />

verschüttet. Ein großer Teil der Einnahmen<br />

wird von Warlords für Waffenkäufe<br />

genutzt.<br />

Lithium wiederum lagert ingroßen<br />

Mengen in Australien und Lateinamerika.<br />

Im sogenannten Lithiumdreieck<br />

von Chile, Argentinien<br />

und Bolivien wirdesaus großen Salzseen<br />

der Wüste gewonnen. Analysten<br />

schätzten im vergangenen Jahr, dass<br />

der BedarfanLithium bis 2025 um 21<br />

Prozent jährlich wachsen werde –<br />

parallel zur Nachfrage nach Batterien,<br />

unter anderem für Elektroautos.<br />

„Heute Lithium, morgen Hunger“–<br />

mit diesem Spruch wehren sich<br />

die Kolla-Ureinwohner Argeniniens<br />

gegen Pläne ihrer Regierung, im großen<br />

Stil Lithium-Vorräte in ihrer Region<br />

auszubeuten. Etwa 60 000 Ureinwohner<br />

leben hier, meist von Lamazucht<br />

und Landwirtschaft. DieLithiumgewinnung<br />

verbraucht<br />

Unmengen an Grundwasser –Zehntausende<br />

Liter pro Stunde –und verseucht<br />

mit Staubwolken die Umwelt.<br />

Viele Lamas kämen bereits krank und<br />

mit Missbildungen zurWelt, beklagen<br />

die Kolla-Ureinwohner.<br />

In Bolivien wehren sich Menschen<br />

gegen ein deutsch-bolivianisches Abkommen<br />

zur Förderung vonLithium<br />

im riesigen Salzsee Uyuni. In Chile<br />

werden große Mengen an Lithium im<br />

größten Salzsee der Atacamawüste –<br />

genannt Salar de Atacama –gewonnen.<br />

Mineralhaltiges Grundwasser<br />

wird inriesige künstliche Becken gepumpt.<br />

Es verdunstet monatelang<br />

unter der Sonne.Salzesetzen sich ab,<br />

die in einem chemischen Prozess in<br />

Lithiumkarbonat verwandelt werden.<br />

Es ist ein sehr langwieriges Verfahren.<br />

Zugleich lässt das Sinken des<br />

Grundwasserspiegels in einer der trockensten<br />

Regionen der Welt die Seen<br />

noch weiter austrocknen und bedroht<br />

Naturreservate,indenen unter<br />

anderem unzählige Flamingos leben.<br />

Nahe der Abbaugebiete befinden sich<br />

viele Orte mit vorallem indigenen Bewohnern.<br />

Aber nicht nur wegen des wachsenden<br />

Widerstands gegen Ausbeutung<br />

und Naturzerstörung suchen<br />

Forscher seit einiger Zeit Alternativen<br />

Lithiumbedarf<br />

Nachfrageprognose nach Anwendungsbereichen für das Jahr 2025<br />

Wiederaufladbare<br />

Batterien<br />

66,6%<br />

Lithiumdreieck<br />

CHILE<br />

Salar de<br />

Atacama<br />

Uyuni<br />

Olaroz-<br />

Cauchari<br />

Rincon<br />

Salar de<br />

Arizaro<br />

BOLIVIEN<br />

Guayatoc<br />

Salinas Grandes<br />

ARGENTINIEN<br />

Hombre Muerto<br />

Glas und Keramik 16,2%<br />

Schmierstoffe 4,2%<br />

Metallpulver 3,1%<br />

Kunststoffe 2,5%<br />

Luftbereitungsanlagen 1,4%<br />

Nicht wiederaufladbare Batterien 1,0%<br />

andere Anwendungen 5,0%<br />

BLZ7GALANTY (2), QUELLE: DERA 2017<br />

für Lithium, Kobalt und andere Rohstoffe<br />

in Batterien. Es geht auch<br />

darum, die Akkus billiger und noch<br />

effektiver zu machen, um etwa die<br />

Reichweite der E-Autos zu erhöhen,<br />

die Ladedauer zu verringern und die<br />

Sicherheit zu erhöhen. Stichwort:<br />

Entflammbarkeit.<br />

Dazu ein kleiner Blick in die Materialien<br />

der heutigen Lithium-Ionen-<br />

Batterien: Lithium, das chemische<br />

Element mit der Ordnungszahl 3, ist<br />

als Alkalimetall silbrig glänzend und<br />

weich. Es gibt leicht sein Elektron ab,<br />

ist besonders leicht und leitfähig,<br />

kann Energie gut speichern und entladen.<br />

Es ist also ideal für Batterien<br />

geeignet. Zugleich aber reagiert Lithium<br />

sehr aktiv mit vielen Elementen<br />

unter Wärmeabgabe –was wiederum<br />

ein Nachteil ist, denn es macht<br />

Batterien anfällig. Eine der größten<br />

Herausforderungen der Batterie-Entwicklung<br />

war, die Entflammbarkeit<br />

der Prototypen zu drosseln, „das reaktive<br />

Element zu zähmen“, wie es<br />

bei derVorstellung der Nobelpreisträger<br />

hieß. Kobaltoxid wiederum dient<br />

als Speichermaterial in der Kathode<br />

dazu, die Energiedichte zu erhöhen<br />

und Batterien damit besonders leistungsfähig<br />

zu machen.<br />

Die Forscher suchen Materialien<br />

für alle drei Komponenten der Batterie:<br />

die Kathode, die Anode und den<br />

Elektrolyt – das Medium zwischen<br />

den Elektroden. Durch Nickel und<br />

Mangan lässt sich nach Aussagen von<br />

Wissenschaftlern zum Beispiel der<br />

Kobaltanteil in der Kathode reduzieren.<br />

In Kombinationen wie Lithium-<br />

Eisen-Phosphat gibt es wiederum gar<br />

kein Kobalt mehr. Allerdings wächst<br />

dann die Größe der Batterien. Auch<br />

Lithium-Schwefel-Batterien werden<br />

getestet. Schwefel ist als Abbauprodukt<br />

rechtgünstig zu haben. Doch die<br />

Batterien sind noch zu groß und besitzen<br />

eine zu kleine Lebensdauer.<br />

An der „Batterie der Zukunft“ arbeiten<br />

unter anderem Forscher des<br />

Karlsruher Instituts für Technologie<br />

(KIT). Zusammen mit europäischen<br />

Partnernentwickeln sie eine Magnesium-Batterie,<br />

die ganz ohne Lithium<br />

auskommen würde. Magnesium<br />

besitze eine hohe Energiedichte<br />

und wäresicherer als Lithium,<br />

heißt es in einer KIT-Mitteilung. Die<br />

besondere Herausforderung sei<br />

aber, eine lange Lebensdauer zu erreichen.<br />

Als Element sei Magnesium<br />

auf der Erde etwa 3000-mal so häufig<br />

vertreten wie Lithium und könne<br />

auch einfacher recycelt werden. Zu<br />

den alternativen Materialien gehören<br />

auch Natrium und Kalium. Für<br />

kleine Batterien sind sie allerdings<br />

nicht zu verwenden, denn ihreEnergiedichte<br />

ist zu gering.<br />

Die Idee vonGoodenough<br />

Einen ganz anderen Weggeht der am<br />

vergangenen Mittwoch gekürte Nobelpreisträger<br />

John Goodenough.<br />

Der Professor an der University of<br />

Texas inAustin, der die Lithium-Ionen-Akkus<br />

mitentwickelt hat, arbeitet<br />

auch mit 97 Jahren noch an„Batterien<br />

der Zukunft“. Seine aktuelle Idee<br />

ist eine Feststoffbatterie aus einem<br />

speziellen Glas anstelle eines flüssigen<br />

Elektrolyts als Verbindung zwischen<br />

Anode und Kathode. Das Lithium<br />

soll durch Natrium ersetzt werden,<br />

das man nahezu unbegrenzt aus<br />

Meerwasser gewinnen kann. Goodenough<br />

sagte dazu: „Ich denke, wir<br />

sind in der Lage,hier etwas zu schaffen,<br />

woran wir sei 20 Jahren arbeiten.“<br />

Das Matterhorn bröckelt<br />

Die zunehmende Erwärmung verändert die Berge der Alpen tiefgreifend. Auch auf einer herbstlichen Wandertour lauern Gefahren<br />

ZweiBergsteiger stürzenaus 4300<br />

Meterninden Tod, weil ein Stück<br />

Fels wegbricht. Ein herabfallender<br />

Stein erschlägt eine Frau. Ein 100<br />

Tonnen schwerer Felsbrocken stürzt<br />

auf ein Feld neben einer Schule.Solche<br />

Meldungen über die bröckelnden<br />

Alpen waren in diesem Jahr zu<br />

lesen. Uralte Bergsteigerrouten sind<br />

plötzlich gefährlich geworden.<br />

„Da, wo wir früher unseren Rastplatz<br />

hatten, sollte man sich heute<br />

nicht mehr länger aufhalten“, sagt<br />

der Bergführer Jan Beutel, Forscher<br />

an der Schweizer Universität ETH.<br />

Felsveränderungen habe es zwar<br />

schon immer gegeben. Aber:„Keine<br />

Frage: Es gibt zunehmend größere<br />

Felsstürze“, so Beutel. Die ETH-Forscher<br />

untersuchen mit Geräten den<br />

Einfluss des Klimawandels auf die<br />

Stabilität vonsteilen Felswänden.<br />

Für das Bröckeln ist unter anderem<br />

das Auftauen des Permafrosts<br />

verantwortlich –Gestein und Sediment,<br />

das normalerweise das ganze<br />

Jahr über gefroren ist. „Wir sehen<br />

beim Permafrost einen deutlichen<br />

Trend zur Erwärmung, der sich insbesondereseit<br />

2010 zeigt“, sagt Jeanben,<br />

sagt Nötzli: „Wärmeres Eis verformt<br />

sich schneller und ist weniger<br />

stabil.“ Das führe etwa dazu, dass<br />

Blockgletscher sich schneller bewegten,<br />

wie „eisdurchsetzte kriechende<br />

Schutthalden“. „Transportieren<br />

diese schneller Material nach vorne,<br />

können zum Beispiel mehr Murgänge<br />

abgehen“, sagt Nötzli.<br />

Hinzu kommt, dass bei den höheren<br />

Temperaturen mehr Schnee<br />

schmilzt und Wasser in Felsspalten<br />

dringt, sagt Jan Beutel. „Als es noch<br />

mehr Eisbedeckung gab, ist Regenwasser<br />

über das Eis abgelaufen, aber<br />

nette Nötzli, Schnee- und Lawinenforscherin<br />

in Davos. Im Sommer tauten<br />

die obersten Meter der Permafrostschicht<br />

auf. „Es gibt eine klare<br />

Tendenz, dass diese Auftauschicht<br />

immer mächtiger wird“, sagt Nötzli.<br />

Am Blockgletscher Corvatsch-<br />

Murtèl bei St. Moritz ist der Permafrost<br />

in 20 Meter Tiefe minus 1,2<br />

Grad Celsius kalt, gut ein halbes<br />

Grad wärmer als zu Beginn der Messungen<br />

vor 32 Jahren. Der Unterschied<br />

mag sich gering anhören.<br />

Doch schon eine kleine Temperaturzunahme<br />

könne große Folgen haheute<br />

geht es durch Felsrisse direkt in<br />

die Tiefe.“ Dabei baue sich enormer<br />

Wasserdruck auf, der irgendwann<br />

Felsstücke wegsprengen könne.<br />

Auch an den Gletschern wird es<br />

gefährlicher.WoEis geschmolzen ist,<br />

bleibt instabiles Geröll zurück, zum<br />

Teil an sehr steilen Hängen. Am Piz<br />

Cengalo in Graubünden stürzten<br />

2017 drei bis vier Millionen Kubikmeter<br />

Fels ins Tal. Acht Wanderer kamen<br />

ums Leben. Schutt und Geröll<br />

verbanden sich mit Schmelzwasser<br />

und Eis und wälzten sich als riesige<br />

Schlammlawine bis ins DorfBondo.<br />

Auch der Mont Blanc leidet unter<br />

den Folgen der Erwärmung. Auf der<br />

italienischen Seite des Berges,der an<br />

der Grenze zu Frankreich steht,<br />

herrscht gerade Alarmstimmung.<br />

Denn dortbewegt sich der spektakuläre<br />

Planpincieux-Gletscher schneller<br />

in Richtung Tal. Der Bürgermeister<br />

des beliebten Skiorts Courmayeur<br />

ließ aus Sorge vor einem Abbruch<br />

zwei Zugangsstraßen im Val<br />

Ferret sperren. Ein Radar wurde am<br />

Gletscher angebracht, um jeden Tag<br />

zu verfolgen, wie sich die Eismassen<br />

bewegen. (dpa)

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