Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 240 · M ittwoch, 16. Oktober 2019 – S eite 9 *<br />
·························································································································································································································································································<br />
Berlin<br />
Senat kommt beim<br />
Mietendeckel<br />
nicht voran<br />
Seite 12<br />
Schnell vorbei: Warum die U5 die Museumsinsel erst mal links liegen lässt Seite 11<br />
Hoch hinaus: WerHauptmieter im umstrittenen Turm an der East Side Gallery wird Seite 13<br />
Stadtbild<br />
Halbstarke<br />
Insekten<br />
Torsten Landsberg<br />
isst schnell auf.<br />
Vor einigen Jahren schon hieß es,<br />
dass in deutschen Städten bald<br />
Olivenbäume wachsen würden,<br />
wenn die Erderwärmung nicht gestoppt<br />
werde. Hätte das nicht für<br />
Flora, Fauna und Mensch katastrophale<br />
Auswirkungen, wäre dieses<br />
Szenario ja durchaus reizvoll. Werist<br />
denn bitte nicht verzaubert von diesem<br />
italienisch anmutenden Frühherbst?<br />
Diegefütterte Jacke mit Wassersäule<br />
hängt jedenfalls wieder<br />
ganz hinten im Schrank.<br />
Auch die Insekten erleben eine<br />
unverhoffte Revitalisierung. EinMarienkäfer<br />
landet auf der Jacke und erkundet<br />
die Gegend vom Ärmel bis<br />
zum Kragen. Als er, von der Fingerspitze<br />
aufgelesen, abhebt und Kurs<br />
nimmt auf die andere Straßenseite,<br />
wo kein grüner Stoff eines Bekleidungsstücks,sonderndas<br />
späte und<br />
schon durch tiefes Gelb und Rot gesprenkelte<br />
Grün eines Parks auf ihn<br />
wartet, verpasst ihn nur um Haaresbreite<br />
die Dachkante eines Lastwagens.Flieg<br />
nicht so tief, mein kleiner<br />
Freund!<br />
Einpaar Schritte weiter genießen<br />
Horden seiner Verwandten an einer<br />
mattgelben Hauswand die Sonne.<br />
In diesen vermutlich letzten milden<br />
Stunden des Jahres einen Außenplatz<br />
in einem Café zu ergattern,<br />
ist ein anspruchsvolles Projekt, weshalb<br />
sich ein enormes Glücksgefühl<br />
auftut, sobald es doch gelingt. Lange<br />
währtesnicht, denn nicht nur niedlich<br />
gepunktete Käfer, sondern auch<br />
gestreifte Insekten führen sich im reaktivierten<br />
Sommer auf wie die<br />
Halbstarken.<br />
Rund um ein Stück Apfelkuchen<br />
und eine Limonade tummeln sich<br />
binnen Sekunden ein knappes Dutzend<br />
Wespen, die den Eindruck vermitteln,<br />
alle Volksbegehren für Artenschutz<br />
und -vielfalt hätten bereits<br />
Früchte getragen. Eine Wespe landet<br />
in der Sahne,eine anderestürzt sich<br />
im Stile eines Kampfpiloten in den<br />
Schaum des Milchkaffees. Jede zum<br />
Mund geführte Gabel entwickelt sich<br />
zur Mutprobe,der gemütliche Nachmittagskuchen<br />
zum Spießrutenlauf.<br />
So schnell ist selten ein Stück Gebäck<br />
vertilgt worden.<br />
Eine kleine, zur Ablenkung übrig<br />
gelassene und am Rand des Tisches<br />
platzierte Kuchenecke sorgt für eine<br />
kurzzeitige Entspannung, bis die Bedienung<br />
sie unbedacht abräumt.<br />
Nun fällt auch ihr der wild summende<br />
Mob auf, doch bis sie einen<br />
Bierdeckel bringt, schwimmen<br />
schon sieben Wespen in der Flasche.<br />
Ob das als Variante des Artensterbens<br />
gilt, muss noch geklärtwerden.<br />
Hat noch wasvom Sommer.Können nicht<br />
alle von sich behaupten<br />
DPA<br />
Stärkeres Netz, höhere Kosten<br />
Abschied vom Alarmismus<br />
Der Breitscheidplatz soll wieder abgerüstet werden, aber dennoch weiter Schutz vor Terror bieten<br />
VonElmar Schütze<br />
Der Terroranschlag vom<br />
Breitscheidplatz mit elf<br />
Toten jährt sich am<br />
19. Dezember zum dritten<br />
Mal. Gut möglich, dass sich der<br />
Ort zudem traurigen Jahrestag in einer<br />
Mischung aus Budenzauber und<br />
Baustelle präsentiert. Das Areal um<br />
die Gedächtniskirche soll erneut umgebaut<br />
werden, aus einem Angst-Ort<br />
mit der Anmutung eines Hochsichertrakts<br />
mit alarmistischer Optik<br />
soll ein dezenterer Platz mit Aufenthaltsqualität<br />
werden. Doch die Abstimmung<br />
zwischen allen beteiligten<br />
Behörden ist schwierig –und ein Vorbild<br />
für andere, ebenfalls terrorgefährdete<br />
Orte in Berlin soll der Breitscheidplatz<br />
ohnehin nicht sein.<br />
Der Zeitplan steht noch nicht<br />
exakt. Vielleicht noch Ende diesen<br />
Jahres, spätestens aber ab Mitte Januar<br />
2020 soll mit der Erhöhung der<br />
Mittelstreifen an der Budapester<br />
Straße und am Tauentzien, den nördlichen<br />
und südlichen Begrenzungen<br />
des Breitscheidplatzes, begonnen<br />
werden – an der Einmündung der<br />
Rankestraße in den Tauentzien, wo es<br />
keinen Mittelstreifen gibt, soll einer<br />
errichtet werden.<br />
Geplant ist eine Erhöhung des<br />
Mittelstreifens auf 50 bis 60 Zentimeter<br />
–„die genaue Höhe wird gerade<br />
abgestimmt“, wie Martin Pallgen,<br />
Sprecher von Innensenator Andreas<br />
Geisel (SPD), der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />
sagte. Die Mittelstreifen sollen verhindern,<br />
dass jemand erneut einen<br />
Abschreckend: So martialisch soll das Erscheinungsbild bald nicht mehr sein.<br />
Lastwagen auf große Geschwindigkeit<br />
beschleunigen und diesen dann<br />
auf den Platz steuernund damit dort<br />
Menschen töten oder verletzen kann.<br />
Doch die Umsetzung ist kompliziert,<br />
ist so ein Umbau doch ungewöhnlich.<br />
So soll es Überfahrtmöglichkeiten<br />
für die Feuerwehr geben,<br />
Bedenken von Verkehrsplanern aber<br />
auch Behindertenverbänden, die auf<br />
Barrierefreiheit pochen, sind sicher.<br />
Wiejedes Jahr –bekanntlich auch<br />
in jenem des Attentats –soll es wieder<br />
einen Weihnachtsmarkt auf dem<br />
Platz geben. Ab dem 6. Januar 2020<br />
sollen die Buden abgebaut werden.<br />
Gleich danach soll an der Ecke Kant-<br />
/Ecke Budapester Straße,von wo aus<br />
der Lastwagen vordreiJahrenauf den<br />
Platz raste, ein großer „BERLIN“-<br />
Schriftzug in Stahlbetonbuchstaben<br />
als Schutzwall aufgestellt werden.Der<br />
UHLEMANN<br />
Sockel soll einen Meterhoch werden,<br />
die darauf stehenden Buchstaben<br />
noch einmal zwei Meter.<br />
Gleichzeitig sollen an der Nordund<br />
der Südkante des Platzes Poller<br />
einbetoniert werden, die unter- und<br />
oberirdisch miteinander verbunden<br />
sind. Sie sollen die massigen Gitterboxen<br />
ersetzen, die derzeit das Bild<br />
einer Festung komplettieren.<br />
Genau dieses martialische Bild<br />
wirdseitlangemvon Geschäftsleuten<br />
aber auch der Gedächtniskirchengemeinde<br />
kritisiert. Gerade ausländische<br />
Besucher fühlten sich an dem<br />
Ort besonders bedroht, finden sie<br />
doch solche massiven Sicherheitseinrichtungen<br />
sonst nirgends, heißt es.<br />
DieFolge: Gäste bleiben weg, die Umsätzevon<br />
Händlerninder Umgebung<br />
gehen zurück. Selbst die Kirchengemeinde<br />
zählt weniger Besucher. Das<br />
GETTY IMAGES<br />
Weil Berlin wächst, muss das Strom-Leitungsnetz verstärkt und ausgebaut<br />
werden. So begründet die Gesellschaft Stromnetz Berlin die Anhebung<br />
des sogenannten Netzentgeltes,das jeder Haushalt für den Transport<br />
seines Stroms bezahlt. Ein Durchschnittshaushalt mit 2200 Kilowattstunden<br />
Jahresverbrauch zahle dafür nächstes Jahr voraussichtlich<br />
176,65 Euro, teilte die Firma amDienstag mit, das seien knapp acht<br />
Euro mehr als 2019. DasNetzentgelt macht etwa ein Viertel der Stromrechnung<br />
aus, ein weiteres Viertel zahlen die Kunden für den Strom<br />
selbst, der Rest sind Steuern, Abgaben und Umlagen. Im Ringen darum,<br />
wer künftig das <strong>Berliner</strong> Stromnetz betreibt, könnte am Donnerstag<br />
eine wichtige Entscheidung fallen.Vordem Landgericht geht es um den<br />
Beschluss des Landes, den Betrieb an das Landesunternehmen Berlin<br />
Energie zu vergeben. DieVattenfall-Tochter Stromnetz Berlin hat dagegen<br />
eine einstweilige Verfügung beantragt.<br />
soll nun ein Ende haben, Ziel ist ein<br />
„stadtbildverträglicher, permanenter<br />
Schutz für den Breitscheidplatz“, wie<br />
es aus der Innenverwaltung heißt.<br />
Wasfür denPlatz in der City-West<br />
gilt, soll auch für weitere potenziell<br />
gefährdete Orte gelten. Es gehe „in<br />
erster Linie um hochfrequentierte,<br />
städtebaulich und touristisch wichtige<br />
Orte sowie um Orte mit politischer<br />
oder für die Stadt symbolisch<br />
wichtiger Bedeutung“, sagte Geisels<br />
Sprecher Pallgen. Welche und wie<br />
viele dies konkret sein könnten, stehe<br />
nicht fest. Manliegt aber sicher nicht<br />
falsch, wenn man darunter den Platz<br />
der Republik vor dem Reichstag, den<br />
Pariser, den Potsdamer oder den Alexanderplatz<br />
vermutet. Auch der<br />
Checkpoint Charlie, die Friedrichoder<br />
die Wilmersdorfer Straße dürften<br />
dazugehören.<br />
Bleibt die Frage der Kosten. Für<br />
den Breitscheidplatz geht die Innenbehörde<br />
von einem einstelligen Millionenbetrag<br />
aus,den das Land Berlin<br />
übernimmt. Wer für die Umbauten<br />
andernorts aufkommen soll, ist dagegen<br />
noch offen.<br />
Umso eindeutiger klingt die<br />
grundsätzliche Formulierung aus der<br />
Innenverwaltung: „Wir sorgen für<br />
notwendigen Schutz im öffentlichen<br />
Raum, werden aber nicht die ganze<br />
Stadt verpollern.“<br />
Elmar Schütze<br />
begrüßt die „Abrüstung“<br />
des Breitscheidplatzes.<br />
NACHRICHTEN<br />
Testlauf: Piktogramm zeigt<br />
Waggon-Auslastung<br />
Wievoll ist die U-Bahn? Im Bahnhof<br />
Bundestag an der Linie U55 wirdein<br />
System erprobt, das die Auslastung<br />
vonU-Bahnwagen grafisch darstellt.<br />
DerTestlauf soll an diesem Mittwoch<br />
beginnen, teilten die <strong>Berliner</strong> Verkehrsbetriebe<br />
(BVG)mit. In drei der<br />
vier Doppeltriebwagen, die auf der<br />
Strecke verkehren, erkennen die<br />
360-Grad-Videokameras dank einer<br />
neuen Software, wie viele Fahrgäste<br />
an Bord sind. Diese Daten werden in<br />
den nächsten U-Bahnhof gesendet.<br />
Elektronische Piktogramme signalisieren<br />
den Fahrgästen, wo sie sich<br />
auf dem Bahnsteig aufstellen sollten.<br />
DieU55 wurde ausgewählt, weil es<br />
auf der kurzenStrecke möglich ist,<br />
die neue Technik mit geringem Aufwand<br />
zu erproben. (pn.)<br />
Klima-Rebellen kündigen<br />
Aktionen vor Banken an<br />
Nach der Protestwoche mit Straßenblockaden<br />
wollen Klimaschützer<br />
vonExtinction Rebellion ihreAktionen<br />
fortsetzen. „Wir sind gekommen,<br />
um zu bleiben“, kündigte Clara<br />
Thompson am Dienstag an. DieAktivisten<br />
wollen sich demnach an Gebäude<br />
vonEnergiekonzernen kleben<br />
und in Banken sogenannte Die-ins<br />
veranstalten, bei denen die Teilnehmer<br />
ihren Todsimulieren. DieDemonstranten<br />
seien gestärkt aus den<br />
Aktionen in den vergangenen Woche<br />
in ihre100 Ortsgruppen zurückgekehrt,<br />
hieß es.InBerlin haben sich<br />
den Angaben zufolgen in der vergangenen<br />
Woche rund 6000 Menschen<br />
an Straßenblockaden und anderen<br />
Aktionen beteiligt. (dpa)<br />
55 Studenten am Institut<br />
für Islamische Theologie<br />
Im neugegründeten Institut für Islamische<br />
Theologie der Humboldt-<br />
Universität haben am Dienstag<br />
55 Studenten ihreAusbildung begonnen.<br />
Für den Bachelor-Studiengang<br />
mit Schwerpunkten auf die<br />
schiitische und sunnitische Lehre<br />
hatten sich 350 Bewerber gemeldet,<br />
teilte die Universität weiter mit.<br />
Junge Theologinnen und Theologen<br />
sollen etwa für den Schuldienst sowie<br />
für Arbeiten in Moscheegemeinden<br />
und derWohlfahrtspflege ausgebildet<br />
werden. Eine Ausbildung von<br />
Imamen findet nicht statt. (dpa)<br />
Zentrales Gebäude der<br />
Europacity im Rohbau fertig<br />
An diesem Mittwoch wirdindem<br />
Neubaugebiet hinter dem Hauptbahnhof<br />
Richtfest gefeiert: Daszentrale<br />
Gebäude der sogenannten Europacity<br />
ist im Rohbau fertig. Das<br />
teilten die für das Projekt verantwortlichen<br />
Firmen, die Taurecon<br />
Real Estate Consulting GmbH und<br />
der Quartier Heidestraße GmbH, am<br />
Dienstag mit. Zu dem Richtfest erwarten<br />
die Bauherren einer Mitteilung<br />
zufolge auch die Senatsbaudirektorin<br />
Regula Lüscher.Das vom<br />
Bauherren„QH Core“genannte und<br />
voneinem Architektenbüronamens<br />
Robertneun entworfenen Herzstück<br />
der Europacity soll demnach über<br />
rund 28 700 Quadratmeter Mietflächen<br />
fürWohnen, Arbeiten sowie Einkaufen<br />
und Gastronomie verfügen.<br />
Mit85000 QuadratmeternGesamtfläche<br />
zähle das Quartier zu den größten<br />
Bauvorhaben in Berlin. (BLZ)