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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 240 · M ittwoch, 16. Oktober 2019 23<br />
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Feuilleton<br />
Die erste<br />
schwarze<br />
Frau<br />
Booker-Preis für<br />
Evaristo und Atwood<br />
Die Schriftstellerinnen Margaret<br />
Atwood und Bernardine Evaristo<br />
teilen sich in diesem Jahr den<br />
renommierten britischen Booker-Literaturpreis.Die<br />
79-jährige KanadierinAtwood<br />
wurde am Montag für ihren<br />
Roman „The Testaments“ (Die<br />
Zeuginnen) geehrt, die Fortsetzung<br />
ihrer verfilmten Erfolgs-Dystopie<br />
„The Handmaid's Tale“ (Der Report<br />
der Magd). Die britisch-nigerianische<br />
Schriftstellerin Bernadine Evaristo<br />
erhielt den Booker -Preis für ihren<br />
Roman „Girl, Woman, Other“.<br />
Beide teilen sich das Preisgeld von<br />
umgerechnet 60 000 Euro. Margaret<br />
Atwood gilt seit Jahren auch als Anwärterin<br />
des Literaturnobelpreises.<br />
Mitdem wichtigsten britischen Literaturpreis<br />
wurde sie nun bereits zum<br />
zweiten Mal ausgezeichnet: Im Jahr<br />
2000 hatte sie ihn für ihren Roman<br />
„The Blind Assassin“ („Der blinde<br />
Mörder“) erhalten. „Der Report der<br />
Magd“ war 1986 für den Booker-<br />
Preis nominiert.<br />
Bei der Preisverleihung in der<br />
Londoner Guildhall zeigte sich die<br />
79-Jährige am Montag überrascht<br />
über die erneute Ehrung. „Ich hätte<br />
gedacht, ich wäre zualt“, sagte sie.<br />
Atwood, die einen Anstecker der Klimaschutzbewegung<br />
Extinction Rebellion<br />
trug, hielt bei der Zeremonie<br />
Bernardine Evaristos Arm in die<br />
Höhe:„Ich brauche die Aufmerksamkeit<br />
nicht, deswegen bin ich sehr<br />
froh, dass du welche bekommst.“<br />
Die Kanadierin<br />
Margaret Atwood<br />
AFP (2)<br />
Die Britin<br />
Bernadine Evaristo<br />
Kanadier halten es für „geschmacklos“,<br />
sich als Berühmtheit zu produzieren,<br />
scherzte Atwood weiter und<br />
fügte hinzu, deshalb „wäre espeinlich<br />
gewesen, wenn ich hier alleine<br />
gestanden hätte“.<br />
Bernardine Evaristo sagte, essei<br />
unglaublich, den Preis mit der „Legende“<br />
Atwood zu teilen. Dann fügte<br />
die 60-Jährige sichtlich stolz unter<br />
Beifallsrufen aus dem Publikum<br />
hinzu, sie sei „die erste schwarze<br />
Frau, die diesen Preis gewinnt“. Mit<br />
dem Preisgeld werdesie ihre„Hypothek<br />
bezahlen“, sagte sie später Journalisten.<br />
Bernardine Evaristos Buch erzählt<br />
die Geschichten von zwölf<br />
meist weiblichen Mitgliedern aus<br />
Familien mit Wurzeln von Barbados<br />
bis Nigeria, die in London leben und<br />
auf verschiedenste Weise miteinander<br />
verbunden sind. Das Buch mache<br />
„das Unsichtbare sichtbar“ und<br />
gebe Menschen eine Stimme, die<br />
meist nicht für sich sprechen könnten,<br />
sagte der Jury-Vorsitzende Peter<br />
Florence.<br />
Der vor fünfzig Jahren ins Leben<br />
gerufene Booker-Preis ist bislang<br />
erst zweimal an zwei Bücher gleichzeitig<br />
verliehen worden: 1974 und<br />
1997. Eigentlich sollte durch eine<br />
Regeländerung eine solche Doppelauszeichnung<br />
ausgeschlossen werden.<br />
Jury-Präsident Florence sagte<br />
aber, beide Romane hätten den<br />
Preis verdient. „Die Situation verlangte<br />
danach“, fügte er hinzu. Allerdings<br />
habe es einige Diskussionen<br />
gegeben, bis die Entscheidung<br />
vonden„Booker-Leuten“ akzeptiert<br />
worden sei.<br />
Mit dem Booker-Preis soll der<br />
beste englischsprachige Roman des<br />
Jahres ausgezeichnet werden, der in<br />
Großbritannien oder Irland veröffentlicht<br />
worden ist. Nominiert war<br />
in diesem Jahr unter anderem auch<br />
„Quichotte“, das neueste Werk von<br />
Salman Rushdie.Vier der sechs Nominierten<br />
waren Frauen. (dpa)<br />
Jedes Buch hat seinen Klang<br />
Paul Berf überträgt die Romane von Karl Ove Knausgård und anderen Skandinaviern ins Deutsche<br />
Norwegen ist das Schwerpunktland<br />
der diesjährigen<br />
Frankfurter Buchmesse.<br />
Die Norweger lesen<br />
Untersuchungen zufolge mehr<br />
als andere europäische Nationen<br />
und haben drei Literaturnobelpreisträger<br />
hervorgebracht. Einer der<br />
wichtigsten norwegischen Autoren<br />
der Gegenwart ist Karl Ove<br />
Knausgård, international bekannt<br />
durch seinen Romanzyklus „Mein<br />
Kampf“, der auch hierzulande ein<br />
großer Erfolg war. Wir sprachen mit<br />
Paul Berf, dem Mann, der fast alle<br />
Bücher von Knausgård und anderen<br />
Norwegernins Deutsche übertragen<br />
hat.<br />
Herr Berf, Sie übertragen hauptsächlich<br />
schwedische Romane ins Deutsche.<br />
Wie kam es dazu, dass Sie auch<br />
aus dem Norwegischen übersetzen?<br />
Ichhabe zweimal ein Angebot bekommen,<br />
das ich nicht ablehnen<br />
konnte. Das war zum einen Tomas<br />
Espedals Buch „Gehen“, das ich<br />
auch vorgeschlagen hatte. Und Karl<br />
Ove Knausgård. Da war es ähnlich.<br />
Ich hatte den Debütroman gelesen<br />
und fand ihn sehr stark. Dashabe ich<br />
dem norwegischen Verlag kommuniziert.<br />
Als der nächste Roman „Alles<br />
hat seine Zeit“ kam, haben sie mir<br />
sehr früh das Manuskript geschickt.<br />
Es war eine glückliche Fügung, dass<br />
man es mir dann angeboten hat. Ich<br />
habe aber zuerst Nein gesagt.<br />
Warum?<br />
Weil ich nicht Norwegisch übersetzen<br />
wollte. Sie haben aber nicht<br />
locker gelassen. Also habe ich es gemacht.<br />
Ich konnte ja nicht ahnen,<br />
was danach noch an Büchern von<br />
Knausgårdkommt. Ichkönnte heute<br />
nur noch Norwegisch übersetzen,<br />
wenn ich wollte. Ich will aber nicht.<br />
Ich habe auch Espedal wieder abgegeben.<br />
Bei Knausgård ist es so, dass<br />
er lange in Schweden gelebt hat, ein<br />
sehr konservatives Bokmål schreibt.<br />
Siemeinen eine der beiden Spielarten<br />
des Norwegischen.<br />
Ja,und das kam mir entgegen.<br />
Sie haben mal gesagt, dass Ihnen bei<br />
Knausgård sofort klar war, dass das<br />
etwas Besonderes ist. Haben Sie immer<br />
sofort ein Gefühl, ob Bücher erfolgreich<br />
werden?<br />
Ich lese ja sehr viel. Aber manchmal<br />
bekomme ich ein Buch, bei dem<br />
ich das Gefühl habe, soetwas noch<br />
nie gelesen zu haben. Das passiert<br />
nicht oft. Unddas war so,als ich das<br />
Manuskript des ersten Teils von„Min<br />
kamp“, auf Deutsch später „Sterben“,<br />
bekam. Indem er sich komplett<br />
auf sich selbst konzentriertund<br />
ganz subjektiv ist, kommt er dem<br />
nahe,was es heute heißt, Mensch zu<br />
sein in unserer Gesellschaft.<br />
Wiewirdman eigentlich Übersetzer?<br />
Darauf gibt es vermutlich sehr<br />
unterschiedliche Antworten, weil es<br />
kein klassischer Ausbildungsberuf<br />
ist. Bei mir war es eine Kombination<br />
aus Literaturinteresse, der Zuwendung<br />
zur schwedischen Literatur<br />
und der sich zufällig ergebenden<br />
Möglichkeit, ein Buch zu übersetzen.<br />
Das war damals von Henning<br />
Mankell „Mörder ohne Gesicht“, das<br />
erste Buch der Wallander-Reihe.<br />
Wiekam es dazu?<br />
Ich machte damals in seinem<br />
schwedischen Verlag ein Praktikum.<br />
Dann kaufte ein kleiner deutscher<br />
Verlag die Rechte,und ich bekam das<br />
Angebot, es zu übersetzen. Ich<br />
merkte, ich kann es. Und ich hatte<br />
das Glück, dass ich jedem in der Verlagsbranche<br />
sagen konnte, dass ich<br />
Mankell übersetzt habe.Das war ein<br />
echter Türöffner.<br />
Den Einstieg zu finden, ist sicherlich<br />
nicht leicht, oder?<br />
Nein, es ist gar nicht so einfach,<br />
sich als junger Übersetzer zu etablieren.<br />
Aber es war ein guter Zeitpunkt.<br />
1998, 1999 war die skandinavische<br />
Literatur im Aufwind und man<br />
Norwegens bekanntester Autor KarlOve Knausgård<br />
DER ÜBERSETZER UND SEIN WICHTIGSTER AUTOR<br />
Paul Berf,geboren 1963 in Frechen bei Köln, hat nach einer Buchhändlerlehre Germanistik,<br />
Anglistik und Skandinavistik in Köln studiertsowie Vergleichende Literaturwissenschaftin<br />
Uppsala, Schweden. Nach dem Studium arbeitete er einigeJahre als Dozent im Fach Skandinavistik<br />
an der Universität in Köln, seit 1999 ist er als selbstständiger Literaturübersetzer tätig.<br />
KarlOve Knausgård ist der bekannteste Autor Norwegens, auch wenn er inzwischen in<br />
Schweden lebt. Zusammen mit seiner Kollegin Erika Fatland hat er am Dienstagabend als<br />
„Literarischer Redner“ die Frankfurter Buchmesse eröffnet.<br />
brauchte Leute, die Bücher begutachten<br />
können. Durch Mankell ging<br />
es richtig los,aber auch „Der Besuch<br />
des Leibarztes“ und „Sofies Welt“<br />
führten zu einer Stimmung, mehr<br />
nach Skandinavien zu gucken.<br />
Wienähertman sich einem Buch an,<br />
das man übersetzt?<br />
Im Grunde mache ich, was jeder<br />
macht. Ich lese das Buch. Und während<br />
des Lesens nehme ich einen<br />
Ton, eine Melodie wahr. Jedes Buch<br />
hat seinen eigenen Klang. Die Voraussetzung,<br />
ein Buch übersetzen zu<br />
können, ist, dass ich diesen Ton<br />
finde.Wenn ich merke,ich finde keinen<br />
Kontakt zu dem Buch, mache<br />
ich es nicht. Ich versuche, jeden Autor<br />
so zu nehmen, als würde ich zum<br />
ersten Mal übersetzen. Routine ist<br />
ein großer Feind des Übersetzers.<br />
Undwie geht es dann weiter?<br />
Ich lese es noch mal portionsweise.<br />
Man übersetzt ja proTag eine<br />
bestimmte Anzahl Seiten. Das bereite<br />
ich dann einen Tagvorher vor:<br />
Vokabeln, Recherche. Denn das eigentliche<br />
Übersetzen muss in einem<br />
IMAGO IMAGES, CSABA PETER RAKOCZY<br />
Flow passieren. Da kann man nicht<br />
ständig aufhören. Diesen Ton im<br />
Kopf findet man am besten, wenn<br />
man in einem gewissen Rhythmus<br />
übersetzt.<br />
Nun ist es ja das eine, diesen Tonin<br />
der Fremdsprache zu finden, aber wie<br />
überträgt man ihn ins Deutsche?<br />
Das kann man nicht lernen. Ich<br />
habe immer eine Idee, wie es auf<br />
Deutsch klingen muss. Esist ein intuitiver<br />
Akt. Es hat viel mit Gefühl<br />
und Musikalität zu tun. Entweder<br />
man hat dieses spezielle Sprachtalent<br />
oder man hat es nicht.<br />
Wann ist eine Übersetzung gelungen?<br />
In einer gelungenen Übersetzung<br />
muss ich finden, was mich auch im<br />
Original an Atmosphäre und Tonhineinzieht.<br />
Und ich muss vergessen,<br />
dass es eine Übersetzung ist. Es<br />
muss sich lesen, als hätte es ein deutscher<br />
Muttersprachler geschrieben.<br />
Unddas ist gar nicht so leicht.<br />
Gerade am Anfang haben Siedoch sicher<br />
manchmal Bücher übersetzt, die<br />
Sie sprachlich nicht so gelungen fanden.<br />
Belässt man das dann auf dieser<br />
sprachlichen Ebene oder versucht<br />
man, den Text besser zu machen?<br />
Letzteres. Wovon wir jetzt reden,<br />
ist ja Unterhaltungsliteratur. Inmeinem<br />
Fall waren es meist Krimis.Und<br />
da geht es um den Transport einer<br />
Handlung. DasSchwedische hat den<br />
Effekt, dass Schriftsprache und gesprochene<br />
Sprache wesentlich enger<br />
nebeneinander stehen als im Deutschen.<br />
Das gilt besonders auch für<br />
Unterhaltungsliteratur. Das würde<br />
im Deutschen aber nicht funktionieren,<br />
das würde der Leser nicht akzeptieren.<br />
In dem Moment muss<br />
man den Text ein bisschen heben.<br />
Die Reaktion des deutschen Lesers<br />
muss der des schwedischen Lesers<br />
entsprechen. Also muss ich das Buch<br />
literarisieren, mich etwas vonder gesprochenen<br />
Sprache entfernen.<br />
Worin besteht die Herausforderung,<br />
Schwedisch und Norwegisch ins<br />
Deutsche zu übertragen?<br />
Es ist genau diese Literarisierung.<br />
Auch in der Hochliteratur ist es so,<br />
dass es etwas mehr ins Gesprochene<br />
geht. Und der Wortschatz ist im<br />
Schwedischen und Norwegischen<br />
deutlich kleiner als im Deutschen.<br />
Würde man das eins zu eins so belassen,<br />
würde es einem literarisch beschlagenen<br />
deutschen Leser bei<br />
manchen Texten ärmlich erscheinen.<br />
Man muss die Stärke des Deutschen,<br />
die unter anderem im Wortschatz<br />
liegt, ausspielen, was aber<br />
auch nicht einfach ist, weil man für<br />
jeden Text die richtige Sprachebene<br />
finden muss.<br />
Sprechen Sie mit den Autoren über<br />
die Übersetzungen?<br />
Das ist ganz unterschiedlich. Ich<br />
mache jedem Autor das Angebot, ins<br />
Gespräch zu kommen. Meistens<br />
habe ich ja auch Fragen. Manchmal<br />
kommt gar nichts, manchmal nur<br />
sehr sporadisch eine Reaktion. Andere<br />
sind begeistert, wollen Fragen<br />
haben und beantworten diese mit<br />
großer Detailgenauigkeit. Daraus<br />
haben sich auch Freundschaften<br />
entwickelt –etwa mit Aris Fioretos<br />
und Fredrik Sjöberg. Aber das kann<br />
man nicht erwarten, das muss sich<br />
ergeben.<br />
Es gibt doch sicher Passagen, die man<br />
nicht einfach nur übersetzen kann,<br />
weil einem Deutschen der kulturelle<br />
Hintergrund für das Verständnis<br />
fehlt. Wiegeht man damit um?<br />
DasZiel ist, dass der deutsche Leser<br />
versteht, was der Muttersprachler<br />
versteht. Das ist das Primat der<br />
Zielsprache,man versucht, eine Wirkungskongruenz<br />
zu erzielen.<br />
Manchmal kann man eine kleine Erklärung<br />
reinbasteln, aber manchmal<br />
schwingt so viel an kulturellen Eigenheiten<br />
mit, dass man an Grenzen<br />
kommt. Alles kann man nicht transportieren.<br />
Ein paar Dinge wird man<br />
als deutscher Leser eben nicht verstehen.<br />
Man kann ja nicht tausend<br />
Fußnoten machen.<br />
Übersetzer haben lange nicht die Aufmerksamkeit<br />
erhalten, die sie verdient<br />
haben. Hatsich das verändert?<br />
Es hat sich schon verändert. Das<br />
fängt damit an, dass man öfter genannt<br />
wird. Und auch bei <strong>Zeitung</strong>srezensionen<br />
wird der Übersetzer<br />
meistens angegeben. Es gibt die Förderung<br />
durch den Deutschen Übersetzerfonds.<br />
Aber ganz ehrlich: Wir<br />
gehören nicht selbstverständlich<br />
zum Literaturbetrieb. Übersetzer<br />
sollen brav ihren Jobimstillen Kämmerlein<br />
machen.<br />
Wiekommt man damit klar?<br />
Ichhabe damit kein Problem. Ich<br />
trete auch nicht gerne auf. Aber ich<br />
weiß, dass andere Übersetzer sehr<br />
darunter leiden, weil es ohnehin ein<br />
einsamer Beruf ist. Man sitzt Stunde<br />
um Stunde, Tag für TagamSchreibtisch.<br />
Wer schnelle Anerkennung<br />
braucht, sollte sich einen anderen<br />
Berufsuchen.<br />
DasGespräch führte Anne Burgmer.<br />
Camus und die<br />
Liebe zu<br />
Institutionen<br />
Zum Toddes Politologen<br />
Wolf-Dieter Narr<br />
VonHarry Nutt<br />
Politisches Engagement trug der<br />
<strong>Berliner</strong> Politologe Wolf-Dieter<br />
Narr nicht als wohlfeiles Bekenntnis<br />
vor sich her. Als er Mitte der 80er-<br />
Jahrezuder festen Überzeugung gelangte,<br />
dass es an seiner Universität<br />
dringend einer Professur für Frauenforschung<br />
bedürfe, entschloss er<br />
sich zusammen mit seinem Kollegen<br />
Peter Grottian dafür, fortan auf ein<br />
Drittel des eigenen Gehaltes zu verzichten.<br />
Man kann sich vorstellen,<br />
welche bürokratischen Konflikte die<br />
beiden Politikwissenschaftler damit<br />
in der Universitätsverwaltung auslösten.<br />
Unkonventionelle Maßnahmen<br />
wie diese,aber wohl auch seine<br />
permanente Ansprechbarkeit haben<br />
Wolf-Dieter Narr bei den Studenten<br />
am berühmten Otto-Suhr-Institut<br />
(OSI) der FU Berlin früh beliebt gemacht.<br />
Narr war ein Freund der Institutionenbildung<br />
von unten. Die Gründung<br />
des „Komitees für Grundrechte<br />
und Demokratie“ ging maßgeblich<br />
auf ihn zurück,<br />
und er überführte<br />
damit den<br />
Geist der West-<br />
<strong>Berliner</strong> Bewegung<br />
von1968 in<br />
die von der geisteswissenschaftlichen<br />
Postmoderne<br />
erfasste Wolf-Dieter Narr<br />
Universität der (1937–2019)<br />
80er-Jahre. Mit<br />
Texten über einen „streitbaren Pazifismus“<br />
engagierte er sich für die<br />
bundesrepublikanische Friedensbewegung,<br />
und Anfang der 90er-Jahre<br />
erkannte er als einer der ersten ein<br />
IMAGO IMAGES<br />
wichtiges gesellschaftspolitisches<br />
Thema für die kommenden Jahre.<br />
„Flüchtlinge, Asylsuchende, die<br />
Bundesrepublik Deutschland und<br />
wir. Thesen zu einem fast unlösbaren,<br />
aber täglich Lösungen fordernden<br />
Problem“ lautete der Titel eines<br />
Textes, den Narr 1991 im Verlag seines<br />
Komitees veröffentlichte.<br />
Wolf-Dieter Narr, 1937 in<br />
Schwenningen am Neckar geboren,<br />
hatte die Nazi-Zeit als Kind erlebt,<br />
und wie für viele seiner Generation<br />
war es für ihn folgerichtig, sich als<br />
junger Mensch politisch zu engagieren.<br />
1959 beteiligte er sich am Studentenkongress<br />
gegen Atomrüstung,<br />
knapp zehn Jahrespäter war er<br />
Mitbegründer der Bundesassistentenkonferenz,<br />
einer treibenden Kraft<br />
bei der späteren Hochschulreform.<br />
Aus Protest gegen die Große Koalition<br />
trat er 1969 aus der SPD aus und<br />
gründete 1971, u.a. mit Heinrich Albertz<br />
und Helmut Gollwitzer,das sogenannte<br />
Iran-Komitee.<br />
Bei aller Lust am Diskurs, seien<br />
sie sich, so schreibt sein Kollege<br />
Claus Leggewie in seinem Nachruf,<br />
einig gewesen in der Bewunderung<br />
für Albert Camus und über die Notwendigkeit<br />
einer Stärkung des institutionellen<br />
Rückgrats der Demokratie<br />
und der Grundrechte. AmSonnabend<br />
ist Wolf-Dieter Narr im Alter<br />
von82Jahren in Berlin gestorben.<br />
TOP 10<br />
Montag,14. Oktober<br />
1 Verhängnisv.Plan ZDF 6,01 19 %<br />
2 Bauer sucht Frau RTL 5,00 16 %<br />
3 Tagesschau ARD 4,99 17 %<br />
4 heute-journal ZDF 4,08 15 %<br />
5 heute ZDF 3,58 16 %<br />
6 RTL aktuell RTL 3,12 15 %<br />
7 SokoPotsdam ZDF 3,04 17 %<br />
8 Wer weiß denn ... ? ARD 2,91 17 %<br />
9 Extra RTL 2,78 14 %<br />
10 GZSZ RTL 2,75 10 %<br />
ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %