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10 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 21 · 2 5./26. Januar 2020<br />
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Berlin<br />
Harmsens Berlin<br />
Fröhlichet<br />
Aussterm!<br />
Torsten Harmsen<br />
ist es gelungen, den T.rex<br />
Tristan Otto zu interviewen.<br />
Weltsensation! Es ist uns gelungen,<br />
den T.rexTristan Otto zum<br />
Sprechen zu bringen, kurzvor seiner<br />
Abreise nach Kopenhagen. Solch ein<br />
Glück haben natürlich nur Mutige,<br />
die nachts heimlich ins Museum<br />
schleichen, zehn Malauf einem Bein<br />
um Tristans Kopf in der Vitrine herumhüpfen<br />
und Formeln murmeln,<br />
die wir hier nicht verraten. Sonst<br />
könnte ja jeder mit Tristan Otto reden.<br />
Hier das Interview im Wortlaut:<br />
Herr Tristan Otto, Sie brechen bald<br />
nach Kopenhagen auf.<br />
Für eene Mark nach Dänemark!<br />
Haha, grrrrr. Nee, isQuatsch. Mein<br />
Umzuch is ja wohl ’n bisschen teurer.<br />
Außerdem jibts ja heute keene Mark<br />
mehr, sondern Euro oder so wat.<br />
Aber wat is schon Jeld? Bei uns Saurier<br />
damals jabs jar keens. Und<br />
weeßte warum? Weil wa keene Daumen<br />
hatten zum Jeldzählen.<br />
Sie hatten überhaupt ziemlich mickerige<br />
Ärmchen.<br />
Herzlichen Dank, grrrrr. Du<br />
kannst froh sein, det meen Kopp hinter<br />
Jlas is. Sonst wärste jetz Hackfleesch!<br />
Aba irjendwie haste recht.<br />
Mit die Ärmchen kannste nüscht<br />
machen, keenen umarmen, nich<br />
mal ’n Instrument spieln, höchstens<br />
so ’ne kleene Quetschkommode.<br />
Undwarum berlinern Sie?<br />
Watmach ick? Wie ick rede? Naja,<br />
ick lieje nu seit vier Jahrehier rum. Jeden<br />
Tach is die Hütte voll. Allet steht<br />
um meen Kopp rum und labert. Da<br />
nimmt man so manche Sprüche uff.<br />
Vorallem die,die lustich sind. Selbstironie!<br />
Ditisinmeene Laaredit beste.<br />
Oder wat würdest du saren, wenn de<br />
uff dir selbst kieken würdest, als Haufen<br />
zusammjefriemelte Knochen mit<br />
Kunstkopp, während dein eijener<br />
Kopp inne Jlaskiste liegt?<br />
Hatten Sie zuLebzeiten mal Schuppen<br />
oder Federn?<br />
Dit willste wissen, wa? Damit de<br />
berühmt wirst, weil de allet rausjekricht<br />
hast. Da wirdnüscht draus.Ja,<br />
ick weeß: Irjendwer hat mal behauptet,<br />
det ick eijentlich een Urahn vom<br />
Huhn bin. Ick kannte dit Huhn vorher<br />
jar nich. Habs mir denn mal zeijen<br />
lassen und bin fast aus de Vitrine<br />
gefalln vor Lachen. Dit kleene<br />
dumme Vieh, wat rumgackert und<br />
ständich mit ’n Kopp wackelt? Dit<br />
soll meen Urenkel sein? Nee, nee,<br />
grrrrr,forscht mal schön weita!<br />
Waswerden Sie inKopenhagen machen?<br />
Na,die kleene Meerjungfrau fressen!<br />
Hahaha, grrrrr. Nee, Spaß beiseite.<br />
Wahrscheinlich werd ick da<br />
doof rumstehn, jenau wie hier. Aba<br />
die Meerjungfrau wär schon lecka.<br />
Ick mach ja ooch Eindruck uff de<br />
Meedels. Ick bin jroß, hab ’n lieblichet<br />
Lächeln, hahaha, grrrrr. Wat<br />
willste mehr?<br />
Was möchten Sie den Menschen sagen<br />
aus der Sicht eines Sauriers, der<br />
vor66Millionen Jahren gelebt hat?<br />
Naja, fröhlichet Aussterm, sar ick<br />
nur! Meene janzen Kumpels hat et ja<br />
damals erwischt. Riesen-Asteroid<br />
und rrrrums! Ihr komischen Mini-<br />
Wesen habt ooch ’ne jute Chance,<br />
auszusterm. Bei euch wird dit imma<br />
wärmer. Irjendwann kriegt ihr ’nen<br />
Hitzekollaps. Denn dauert dit nich<br />
lange und wir komm wieda. Denn<br />
wir möjen dit schön warm und<br />
feucht, weeßte. Denn baun wir mit<br />
unsre kurzen Ärmchen een großet<br />
Museum, und denn stelln wa euren<br />
janzen sinnlosen Schrott da hin. Und<br />
euch selba, als Jerippe, mit eure<br />
mickrigen Knöchelchen. Für unsre<br />
Kinda zur Warnung. Sehta, man<br />
kann ooch ohne Asteroid aussterben!<br />
Hahaha, grrrrr!<br />
Tristan Otto ist seit Millionen<br />
Jahren tot. Für JohannesVogel,<br />
Direktor des Museums<br />
für Naturkunde Berlin,<br />
ist der T.rex allerdings ein erstaunlich<br />
präsenter Zeitgenosse und<br />
er hat noch immer große Erwartungen<br />
an ihn. „Vor 66 Millionen Jahren<br />
hat es ihn erwischt. Dasselbe sollte<br />
uns nicht passieren“, sagt Vogel. Klimawandel,<br />
Artensterben, Existenzsorgen<br />
der Menschheit –eine ganz<br />
schön große Aufgabe für einen Saurier,wenn<br />
er allein durch die Präsenz<br />
seiner Überreste aktuell bedrohliche<br />
Szenarien positiv beeinflussen soll.<br />
Tristan Otto,sosieht Johannes Vogel<br />
jedenfalls den Auftrag, soll eben mal<br />
die Welt retten.<br />
Es hat sich am Freitag eine große<br />
Zahl an Menschen um Johannes Vogel<br />
und Tristan geschart. Tristan Otto<br />
wird verreisen –mindestens für die<br />
Dauer eines Jahres. Inden nächsten<br />
Wochen wird das Skelett mit seinen<br />
300 Einzelteilen in Berlin abgebaut,<br />
jedes Teil in einer eigens angefertigten<br />
kleinen Kiste verpackt und nach<br />
Kopenhagen geschickt, wo das Skelett<br />
wie ein Puzzle wieder zusammen<br />
gesetzt werden soll.<br />
VonApril an soll Tristan Otto ein<br />
Jahr lang in Kopenhagen gezeigt<br />
werden und auch dorteinen ähnlich<br />
großen Rummel bewirken wie in<br />
Berlin. Anschließend kehrt er voraussichtlich<br />
zurück. Aber das ist<br />
noch lang hin, wie JohannesVogel etwas<br />
vage formuliert. Am Wochenende<br />
gibt es im <strong>Berliner</strong> Museum jedenfalls<br />
ein großes Abschiedsfest.<br />
In den vergangenen vier Jahren<br />
hat das Skelett des Tyrannosaurus<br />
rex drei Millionen Besucher in das<br />
Naturkundemuseum an der Invalidenstraße<br />
in Mitte gelockt. Tristan<br />
Otto hat damit die Besucherzahlen<br />
dieses vorher etwas verschnarcht<br />
wirkenden Museums in ungeahnte<br />
Höhen katapultiert. Er ist ein Kassenschlager<br />
für das Museum, aber<br />
auch ein Ausdruck für die Bedeutung<br />
der Institution in der Museumslandschaftder<br />
Stadt und ein imposanter,<br />
konkret sichtbarer Nachweis<br />
für den Forschungsanspruch<br />
dieses Leibnitz-Instituts im Rahmen<br />
der Forschungslandschaft.<br />
Dasalles lässt sich an Zahlen festmachen.<br />
Etwa 500 000 Besucher<br />
hatte das Museum vor Tristan pro<br />
Jahr. Mit dem Aufstellen des imposanten<br />
Raubsauriers kletterten sie<br />
auf 850 000. Jetzt liegen die Zahlen<br />
stabil bei etwa 750 000.<br />
Nicht nachlassender Dino-Hype<br />
Entsprechend groß ist der Abschiedsrummel.<br />
Peter Kjaergaard,<br />
der Direktor des Statens Naturhistoriske<br />
Museums in Kopenhagen, wie<br />
das dänische Pendant des <strong>Berliner</strong><br />
Museums heißt, ist am Freitag gekommen,<br />
Forscher sind da, Pressevertreter.Das<br />
ist ein großes Aufgebot<br />
für ein paar Knochen, die für ein Jahr<br />
an einanderes Museum ausgeliehen<br />
werden, bevor sie wieder zurückkehren.<br />
Aber so ist es, und das hat noch<br />
mehr Gründe.<br />
Seit Steven Spielberg in seinem<br />
Film „Jurassic Park“inden 90er-Jahren<br />
die mythenbeladenen Tiere in<br />
animierter Aktion zeigte, ist die Faszination<br />
für Saurier kontinuierlich<br />
gestiegen. Der Dino-Hype hat bei<br />
Kindern seitdem auch nicht mehr<br />
nachgelassen. Schubladenweise besitzen<br />
Kinder heutzutage detailgetreue<br />
Nachbildungen aller möglichen<br />
Saurier. Sie sehen Informationssendungen<br />
im Fernsehenanund<br />
konfrontieren ihre Eltern beständig<br />
mit einem Wissensvorsprung, dem<br />
sich in letzter Konsequenz doch nur<br />
mit einem Besuch im Museum bei<br />
den echten Überbleibseln dieser Kolosse<br />
begegnen lässt. Aber da ist<br />
noch mehr.<br />
Tristan Otto wurde 2010 vondem<br />
Fossiliengräber und Paläontologen<br />
Craig Pfister gefunden. Man könnte<br />
auch sagen, aufgespürt. Pfister gräbt<br />
mit dem Einverständnis von LandbesitzerninMontana<br />
(USA) nach Dinosauriern.<br />
Er hat bereits mehrere<br />
Tyrannosaurier gefunden. Auf einer<br />
seinerWanderungen entdeckte er im<br />
Jahr 2010 einen Beckenknochen, der<br />
aus der Erde ragte. ZweiJahrespäter<br />
hatte er seinen Fund geborgen und<br />
bot das nach wissenschaftlichem<br />
Standardfreigelegte und präparierte<br />
Skelett zum Verkauf an. Die Käufer<br />
und heutigen Eigentümer Niels Nielsen<br />
und Jens Peter Jensen, zwei dänische<br />
Geschäftsleute, stellten dem<br />
<strong>Berliner</strong> Naturkundemuseum das<br />
Skelett kostenlos zur Verfügung. Und<br />
das war ein Glücksfall für das Museum.Denn<br />
so schmückten die Knochen<br />
kein Privathaus eines Multimillionärs<br />
wie es in den USA häufiger<br />
vorkommt. Und sie ermöglichen<br />
dem <strong>Berliner</strong> Museum vieleDinge.<br />
Manches davon hat damit zu tun,<br />
wie heutzutage Forschung betrieben<br />
wird, wie auf der Internetseite des<br />
Museums zu lesen ist. „Mit dieser<br />
Vereinbarung zeigt Tristan Otto einen<br />
Wegaus einem bisher von der<br />
Tristan<br />
for Future<br />
Das Saurierskelett Tristan Otto aus dem Naturkundemuseum geht für ein Jahr nach<br />
Kopenhagen –als Magnet für Museumsbesucher und als Botschafter für den<br />
Umweltschutz und gegen den Klimawandel. Zum Abschied wird im Museum gefeiert<br />
Wissenschaft stark kritisierten Dilemma:<br />
dem Erwerb von Fossilien<br />
und Artefakten durch Privatpersonen.<br />
Damit stünden die oft wertvollen<br />
Stücke der Forschung nicht mehr<br />
zur Verfügung. Andererseits können<br />
viele Museen die Kosten für Bergung<br />
und Aufarbeitung nicht aufbringen.<br />
DasBeispiel vonTristan Otto zeigt einen<br />
Weg aus diesem Problem.<br />
Gleichzeitig führt die Präsentation<br />
und jede Information, die über und<br />
um das Tier gesammelt werden können,<br />
zu einer Wertsteigerung –injedem<br />
Sinne eine Situation, von der<br />
alle profitieren“, schreibt das Museum.<br />
Der Nachteil ist allerdings,<br />
VonJulia Haak<br />
dass Privateigentümer eben auch<br />
weiterhin bestimmen können, ob<br />
und wo das Skelett gezeigt wird. Ab<br />
jetzt, so wollen es Nielsen und Jensen,<br />
soll das in Kopenhagen geschehen.<br />
Denn dort wird gerade ein<br />
neues Museum gebaut.<br />
Aber Tristan Otto ist eben auch<br />
ein besonderes Skelett, und da muss<br />
auch ein renommiertes Naturkundemuseum<br />
Kompromisse machen.<br />
Es ist eines der wenigen Originalskelette<br />
eines T.rexinEuropa. ZwölfMeter<br />
lang, vier Meter hoch, tiefschwarz<br />
und mit 170 Originalteilen bei insgesamt<br />
300 Knochen außergewöhnlich<br />
vollständig. MB.R.91216: So lautet<br />
der wissenschaftliche Name von<br />
Tristan Otto. Es ist eine Inventarnummer<br />
des Museums, woran sich<br />
vielleicht erkennen lässt, dass die<br />
Bindung an das <strong>Berliner</strong> Naturkundemuseum<br />
wohl von Dauer sein<br />
wird, auch wenn das Skelett in Privatbesitz<br />
bleibt und der neue Vertrag<br />
für die Zeit nach Kopenhagen erst<br />
noch geschlossen werden muss.<br />
Am Freitag sind auch die beiden<br />
Paläontologen des Museums gekommen,<br />
die sich intensiver mit<br />
dem Skelett befasst haben. Daniela<br />
Schwarz hat sich mit den Zähnen<br />
des T.rex beschäftigt, Oliver Hampe<br />
mit dem linken Unterkieferknochen.