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Wasser-verbindet-ebook

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Aralsee

Was mich hierherzog, weiß ich noch ganz genau. 1992 hörten wir in allen Staaten Zentralasiens

von der Aralseekatastrophe. So war es nur naheliegend, dass ich mir selbst ein

Bild davon machen wollte. Ich hatte damals, im Mai 1993 ein Flugzeug für eine Gruppe

deutscher Politiker gemietet, um nach Aralsk am Aralsee zu fliegen. Auf halber Strecke

sagte der Pilot zu mir: »Es tut mir leid, es gibt weit und breit keinen Flugplatz am

Aralsee, wir müssen in Kzyl-Orda landen«. Was tun? Am Horizent, in der Abendsonne,

stand ein Frachthelikopter der früheren Sowjetarmee. Der Pilot, ein stolzer Russe, der

in jedem Actionfilm eine Rolle finden könnte, war mit seinem kleinen Sohn unterwegs.

Glück für uns, dass er gerade nach Aralsk fliegen wollte. Er nahm uns mit und war bereit,

uns die folgenden zwei Tage die ganze Region mit seinem Hubschrauber zu zeigen. Die

Menschen in Aralsk waren von unserem Besuch nicht besonders begeistert. »Viele kommen,

stellen dumme Fragen, gehen wieder und wir bleiben – was kommt für uns dabei

heraus?«, war der Tenor. »Katastrophentourismus brauchen wir nicht«. Der See hatte

sich schon viele Kilometer von der ehemals stolzen Hafenstadt zurückgezogen. Während

des Fluges zur Kokaraldamm-Baustelle, etwa 150 km südliche Richtung, nicht weit

von Usbekistan entfernt, sahen wir die großen Frachtschiffe im Sand liegen. Es waren

Bilder, wie man sie schon so oft gesehen hat. Wir landeten genau an der Stelle, wo ich

18 Jahre später Fischer beobachten konnte, die inzwischen von einem kleinen Wunder

sprechen. Der Aralsee ist zurückgekehrt. Ein Damm wurde 2005, endlich solide gebaut,

fertiggestellt. Schnell hat sich das Ökosystem im nördlichen Teil des Aralsees erholt,

ganz im Gegensatz zu Barsakelmes, einer früheren Insel im Aralsee, die wir 1993 auch

besucht haben. Damals war es noch eine richtige Insel mit Kulan und Saigaantilopen.

Ich weiß noch genau, wie wir diese Tiere vor uns hertrieben. War wohl keine Absicht

des Piloten. Als die Sowjetunion untergegangen war, wurden die dort lebenden Menschen

einfach vergessen. Nur eine Familie und der Nationalparkverwalter mussten dort

noch aushalten. Seit Monaten hatte sich keine Menschenseele mehr gezeigt. Was war aus

der Insel und der kleinen Siedlung geworden? Die Insel, die keine mehr war, habe ich

dann im Herbst 2011 nochmals besucht. Selten habe ich eine derart tote Gegend gesehen.

Nicht einmal Käfer oder Ameisen sind geblieben. Würde man von Barsakelmes ein paar

Hundert Kilometer nach Südwesten reisen, käme man nach Moynak, der Ort auf dem

Territorium Usbekistans, der schon wirklich schöne Zeiten erlebt hat. Touristen kamen

zu Zeiten der Sowjetunion. Die warmen Sandstrände waren besonders beliebt. Heute

kommen Reisende, um sich die Schiffsskelette auf dem Aralseeboden anzusehen. Die

Fischfabrik, längst geschlossen, zeugt noch davon, dass von hier aus Fischkonserven in

die ganze Welt versandt wurden. Im örtlichen Museum kann man Bilder und Exponate

aus dieser Zeit finden. Schade, dass die Baumwolle wichtiger war als der See.

228 Fotoessay Aralsee

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