Offene Kirche Elisabethen - Die Kirche für alle
Die Offene Kirche Elisabethen in Basel ist die Kirche für alle. Alle Menschen guten Glaubens, die Lebenssinn suchen, jede Lebensweise und Orientierung, dürfen ankommen und zuhause sein. Die ist ein Bericht über unsee Are im 2019.
Die Offene Kirche Elisabethen in Basel ist die Kirche für alle. Alle Menschen guten Glaubens, die Lebenssinn suchen, jede Lebensweise und Orientierung, dürfen ankommen und zuhause sein. Die ist ein Bericht über unsee Are im 2019.
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Ilias
Ilias
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Ilias: Sorge für Basels Seele
– Kirche für alle anderen
ALS IN DER NACHT VOM FREITAG, 22., AUF SAMSTAG, 23. MÄRZ, MEIN TELEFON NCHT STILLSTAND,
WUSSTE ICH, DASS ETWAS SCHWERES PASSIERT WAR UND DASS DIE STADT MICH BRAUCHTE.
Die Telefonanrufe kamen von überallher, meine Nummer
wurde wohl weitergereicht. Alle betrafen den am Donnerstag
getöten Schulbuben und hatten die Trauer zum Inhalt
und den Wunsch zum Ziel, am Samstag möge ein Trauermarsch
und eine Trauerfeier vor dem Schulhaus des Buben
stattfinden, die der Familie Trost geben, der Trauer und
Wut der albanischen Community in Basel entsprächen und
doch nicht ausarteten in Schuldzuweisungen oder Schlimmeres.
Noch in dieser Nacht musste ich mir überlegen, was wohl
angemessen sein könnte, dem Schmerz einer Familie aus
einem anderen Kulturkreis und einer Community, die zum
ersten Mal nicht nur in sportlichem oder diffamierendem
Kontext im Zentrum des öffentlichen Basler
Interesses stand. Der Morgen begann sehr
früh, zweistündig sollten die Sitzungen des
Krisenstabes sein. Dazwischen Gespräche mit
dem Initiator des Trauermarsches, der nicht
mit der Familie des Getöteten zu tun hatte,
und natürlich mit der hiesigen Community
und muslimischen Gemeinschaft. Für diesen
Einsatz holte ich mir auch noch KollegInnen
aus der kirchlichen Notfallseelsorge zu Hilfe
und bot sie auf, während des Trauermarsches
und der Feier präsent zu sein und in der
Menge zu spüren, was Einzelne brauchen
konnten.
Es formte sich die Idee eines Trauermarsches
und einer Kundgebung vor dem Gotthelfschulhaus,
wo der Getötete die Primar besuchte.
Alles war möglich, Eskalation war
zu befürchten
Als wir alle dann gegen 13.30 Uhr am Nachmittag
am Schützenmattpark ankamen, wo
die Trauerkundgebung gegen 14 Uhr starten
sollte, war ich sprachlos über die
schiere Menge an Menschen aller Altersgruppen
aus der Community der ganzen
Nordwestschweiz, die gar nicht mehr aufhören
wollte zu wachsen: Familien mit
vielen Kindern, alte Frauen in traditioneller
Kleidung, Fussballmannschaften mit
albanischen Adlershirts, hip-modische
Pärchen. Bei den beiden Letztgenannten wurde mir auch
etwas flau im Magen, denn ihre Trauer konnte jederzeit
auch in Wut umschlagen. Einige der Hochglanzpärchen
trugen denn auch selbst fabrizierte Schilder, die dem Ereignis
in keiner Weise gerecht wurden und mehr über ihre
eigene Befindlichkeit in dem ihnen offenbar immer noch
fremden Land Schweiz sagten: «Kein Vergeben – Kein Vergessen!»
«Wann hört das Morden an unseren Kindern auf?»
Ich begrüsste die engste Familie, angeführt vom Grossonkel
des Getöteten, der zur gleichen Zeit, islamischem Ritus
folgend, im Kosovo beigesetzt wurde: Der alte Mann war
freundlich und gefasst, stützte seine Frau und setzte sich
mit mir an die Spitze des Zuges. Immer wieder moderierte
MONTAG, 25. MÄRZ 2019 www.bzbasel.ch
BASEL-STADT, BASELLAND, SCHWARZBUBENLAND
Ein Flashmob der Menschlichl{eit
Trauermarsch Über tausend
Menschen gedachten an1
San1stag des Siebenjährigen,
der vergangene Woche auf
den1 Schulweg getötet wurde.
VON CLAUDIA HOTTIGER
Der Schützenmattpark platzt aus allen
Nähten, und doch herrscht eine surreale
Ruhe. Über tausend Menschen haben
sich an diesem sonnigen Samstagnachmittag
hier eingefunden, um mit
einem Trauermarsch des siebenjährigen
Ilias zu gedenken. Er wurde am
vergangenen Donnerstag von einer
75-jährigen Frau niedergestochen.
Zum Trauermarsch hatte der Aargauer
Emi Salahi aufgerufen, selbst Vater einer
zehnjährigen Tochter. Der Tod des
«Wir alle sind llias und llias
ist Basel.»
Frank Lorenz Offene Kirche Elisabethen
jungen hatte ihn erschüttert. Seinem
Aufruf folgten Tausende vor allem aus
der albanischen und muslimischen
Community. «Wie sicher ist mein
Schulweg?», heisst es auf einem Transparent,
das ein kleiner junge in die Höhe
hält. Andere tragen T-Shirts mit
dem Foto des Verstorbenen. Viele haben
Blumen mitgebracht.
Anteilnahme der Regierung
Kurz nach 14 Uhr setzt sich der Trauermarsch
in Bewegung, angeführt von
Familienangehörigen des Opfers. Auch
Regierungspräsidentin Elisabeth
Ackermann und Bildungsdirektor Conradin
Cramer sind vor Ort und zeigen
sich sichtlich gerührt. Aus jeder Seitenstrasse
strömen immer mehr Menschen
hinzu. Vom Schützenmattpark
führt der Trauermarsch zum St. Gal-
www.basellandschaftlichezeitung.ch 15
Frank Lorenz begleitete die Familie und leitete die Trauerfeier vor dem Gotthelfschulhaus. ROLAND SCHMID
)er-Ring, wo die schreckliche Tat begangen
worden war. Hier hält der
Trauerzug inne, genau da, wo der kleine
Ilias niedergestochen wurde, welcher
zeitgleich zum Trauermarsch in
seiner Heimat Kosovo beerdigt wurde.
Die Menschen legen Blumen und
Plüschtiere nieder, sie zünden Kerzen
an. An diesem Ort wird der Marsch
noch leiser. Viele weinen oder schauen
schweigend zu Boden, Menschen halten
sich schützend in den Armen.
Langsam verschiebt sich der Zug in
Richtung Gotthelf-Schulhaus, wo der
junge zur Schule gegangen war. «Wir
sind alle traurig und finden keine Worte
für das, was passiert ist», sagt Theologe
Frank Lorenz, der den Trauermarsch
gemeinsam mit Vertretern der
Familie und den Regierungsmitgliedern
anführte. Er ergreift als Erster das Mikrofon:
Er sei gerührt über diesen
«Flashmob der Menschlichkeit». «Wir
wollen uns durch die verrückte Tat eines
einzelnen Menschen nicht auseinanderdividieren
lassen. Heute sind wir
alle Ilias und Ilias ist Basel», sagt er und
grosser Applaus brandete auf.
«Warten auf Gerechtigkeit»
Dann richtet auch der Grossonkel
des verstorbenen jungen seine Worte
an die Menge. Immer wieder muss er
leer schlucken und seine Tränen wegwischen.
Mit zitternder Stimme sagt er
zuerst auf Deutsch und dann auf Albanisch:
«Wir beten und hoffen, dass so
etwas nicht mehr passiert. Wir warten
auf Gerechtigkeit und diese wird schon
kommen.»
Nicht nur ein junge sei von der
schrecklichen Tat betroffen, sondern
die ganze Stadt, Region und sogar drüber
hinaus, sagt ein Vorstandsmitglied
der Basler Muslim-Kommission ins Mikrofon.
Auch er ist den Tränen nahe.
«Wir sind fassungslos. Indem wir Anteil
nehmen, können wir hoffen, dass
es das Leid der Angehörigen lindert.»
Er schliesst mit den Worten: «Möge die
Seele des Kleinen im Paradies ruhen.»
er mit mir die Versuche weg, den Zug zu instrumentalisieren,
und musste manchmal all seine Autorität einsetzen
dafür.
Tausende vor dem Gotthelfschulhaus
Dann ein erster Stopp am Tatort, der mit Blumen, Spielzeug
und Kerzen übersät war. Ich hatte erst in der Nacht
vorher gelernt, dass Kerzen in der albanischen Kultur kein
Trauer-, sondern ein Festzeichen, mithin also unpassend
seien. Doch die Regeln moderner, öffentlicher Trauer setzten
diese Tradition ausser Kraft. So half ich den beiden
alten Leuten, über die Trauerzeichen hinwegzusteigen und
einen Moment im Schweigen zu verharren. Langsam trafen
wir vor dem nahe liegenden Gotthelfschulhaus ein. Und
der Platz füllte sich mit – wie ich den Eindruck hatte – noch
mehr Menschen, als bereits auf dem Zug dabei waren. Es
mussten weit über tausend sein. Der (albanischstämmige)
Schulhausabwart ermöglichte in der Wartezeit, die ich
durchsetzte, damit alle zur Kundgebung dazukommen
konnten, was die Stadtbasler Haustechnik in der «Kürze der
Zeit» nicht schaffte: Ein Mikrofon, einen Lautsprecher und
ein Podest stellte er auf, damit wir zu den Menschen so
sprechen konnten. Es sprachen dann besagter Grossonkel
auf Deutsch und Albanisch, ein albanischer Vertreter der
Basler Muslim Kommission (BMK) und am Anfang und
zum Schluss: ich. Ich nannte die Menschen einen «Flashmob
der Menschlichkeit» und sagte «Wir lassen uns durch
diese verrückte Tat nicht auseinanderbringen. Heute sind
wir alle Ilias und Ilias ist Basel.»
Die anwesenden Regierungsvertretenden Cramer und
Ackermann wollten, das wusste ich vorher, nichts sagen.
Dafür aber – erneut – die Versuche von Einzelnen, die Trauer
zu instrumentalisieren: Eine wollte gar ein 20-minütiges
Gedicht auf Albanisch verlesen, was wir in keiner Weise
hätten einbetten können. Wieder konnten der Grossonkel
und der albanische Vertreter der BMK dies auffangen und
wegmoderieren. Als wir die Feier auflösen konnten, waren
alle sichtlich erleichtert, auch der Organisator aus Aarau,
Emir Salihi.
Alles war mir ein Lehrstück über Chancen und Risiken
öffentlicher Trauer an den emotionalen Bruchlinien zwischen
einer Mehrheits- und einer Minderheitskultur. Ich
merkte, dass ich meinen Intuitionen vertrauen kann, dass
ich einfach da und dabei sein muss und dass der Ewige
mir in den Momenten der Not die richtigen Worte eingibt.
Und ich merkte wieder die Kraft des Gebets: Ich betete
nämlich die ganze Zeit. Wie gesagt: Es hätte jederzeit
kippen können.
Resumée: Ilias war Stadtsorge und zeigt ein neues,
mögliches Ziel für die OKE
Ich habe diesen Einsatz später an Weiterbildungen mit
anderen Careteammitgliedern als Modellfall benutzt. Diejenigen
Caregivers, die ich mit diesem Einsatz trainieren
wollte, sagten, es gehe deutlich über eine üblichen Careeinsatz
hinaus, einige deklarierten ihre Überfordertheit, andere
lehnten eine solche Aufgabe schlicht ab. Tatsächlich war
Offene Kirche Elisabethen – 2019 Offene Kirche Elisabethen – 2019
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• Schweiz
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minuten Zürich Bern Basel Zentralschweiz Ostschweiz
Trauermarsch für getöteten lllas 23. März 2019 15:53; Akt: 24.03.201913:24 .J.
<<Heute sind wir alle Ilias»
Mehrere Tausend Menschen haben sich in Basel versammelt, um
vom 7-jährigen Ilias M.* Abschied zu nehmen. Die Familie war
dankbar und gerührt von der Anteilnahme.
Am Marsch für den getöteten Buben nahmen auch offizielle Vertreter der Regierung teil.
«Heute sind wir alle Ilias - und Ilias ist Basel», sagte der
reformierte Basler Pfarrer Frank Lorenz zur trauernden Menge.
Tausende folgten am Samstag dem Aufruf des Aargauers Emi
Salahi, der «instinktiv», wie er erklärte, auf Facebook den
Trauermarsch angestossen hatte. «Ich bin froh, dass so viele
Leute gekommen sind und wir alle zusammen unsere Solidarität
bekunden können», sagte Salahi sichtlich gerührt.
dieser Einsatz Ilias mehr als nur ein Careeinsatz, er war
offene Kirche ohne Kirche, für Basel. Er war Seelsorge an
der Seele Basels. Diese ist wohl in viele Teile fraktioniert,
deren Zentripetalkräfte immer noch stärker sind als ihre
Zentrifugalkräfte.
Zu den Fliehkräften gehören wohl die unterschiedlichen
Kulturen und Menschenbilder, die rein funktionale Bestimmung
der Menschen, die Unbewusstheit, dass ein mate
rialistischer Säkularimus auch eine Religion ist, deren
Resilienz sich erst noch bestätigen muss. Die uns einigenden
Kräfte sind lebensdienliche und nicht urteilende
Religion, die sich dem Rechtssaat unterordnet, Rituale,
die uns alle verbinden (neben FCB-Meisterfeiern und der
Fasnacht und dem schwindenden 1. August) und tragen,
überzeugende Persönlichkeiten, die Basel seinen Menschen
zu erklären vermögen, und zivilgesellschaftliche Player, die
gesunde Religion nicht mit Fundamentalismen in einen
Topf werfen und schlicht verwalten, sondern ihre Kraft
nutzen.
Ein solcher Einsatz für mich als Leiter der Offenen Kirche
Basel zeigt ein mögliches weiteres Ziel für eine Stadtpastoration:
an den kulturellen Bruchlinien Grenzgänger und
Brückenbauer sein, Worte finden in sehr öffentlichen Situationen,
Rituale erarbeiten und (mit)leiten, wenn die traditionellen
kirchlichen sich ausschliessen oder explizit nicht
erwünscht sind und doch das Vertrauen besteht, dass wir
von der Offenen Kirche fähig sind, dieses Wagnis einzugehen,
diese Aufgabe zu bewältigen und Trost und Frieden
zu bringen, wo es dringend nötig ist.
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