14.05.2020 Aufrufe

Nachhaltigkeit und Innovation - so kann's gehen

Gerade in der Krise braucht es Innovationen. Dann wären das aktuell perfekte Zeiten für Erfinder. Die Realität ist nicht ganz so einfach. Vor allem nachhaltige Ideen brauchen als Antrieb eher Vertrauen als Angst. UmweltDialog geht in seinem neuen Magazin (ET 18. Mai 2020) auf 80 Seiten der Frage nach, warum wir Politik, Gesellschaft und Markt neu erfinden müssen.

Gerade in der Krise braucht es Innovationen. Dann wären das aktuell perfekte Zeiten für Erfinder. Die Realität ist nicht ganz so einfach. Vor allem nachhaltige Ideen brauchen als Antrieb eher Vertrauen als Angst. UmweltDialog geht in seinem neuen Magazin (ET 18. Mai 2020) auf 80 Seiten der Frage nach, warum wir Politik, Gesellschaft und Markt neu erfinden müssen.

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<strong>Innovation</strong><br />

UmweltDialog: In Ihrem Buch „Raubbau<br />

an der Seele: Psychogramm einer überforderten<br />

Gesellschaft“ erzählen Sie, dass<br />

Sie − durchaus glücklich − eine Weile<br />

als Aussteiger in Italien ohne Strom <strong>und</strong><br />

Fernsehen gelebt haben. Heute dagegen<br />

leben Sie in der Weltstadt München − gut<br />

vernetzt, erfolgreich <strong>und</strong> vermutlich mit<br />

allerlei modernem Komfort. Ihre Großeltern<br />

würden sicher sagen: Aus dem<br />

Jungen ist ja doch noch was geworden!<br />

Haben Sie sich schlussendlich auch unserer<br />

Konsum- <strong>und</strong> Leistungsgesellschaft<br />

unterworfen?<br />

Wolfgang Schmidbauer: Unterworfen<br />

würde ich nicht sagen. Zum Teil angepasst<br />

trifft es eher. Das Aussteigerleben<br />

habe ich aufgegeben, als meine Älteste<br />

schulpflichtig wurde <strong>und</strong> ich mich für<br />

eine Therapieausbildung interessierte.<br />

Aber die Kritik an dem Wachstumswahn<br />

<strong>und</strong> der organisierten Verschwendung<br />

habe ich nicht aufgegeben. Im Übrigen<br />

waren meine Großeltern toleranter als<br />

Sie denken. Dogmatismus lag ihnen <strong>so</strong><br />

fern wie mir.<br />

Wir leben in einer Welt, die auf ehrgeizige,<br />

tüchtige, allseitig funktionierende Individuen<br />

zugeschnitten ist. Da hält nicht jeder<br />

mit. Depressionen <strong>und</strong> Burn-out sind gängige<br />

Schlagworte. Was läuft da aus Ihrer<br />

Sicht bei uns gr<strong>und</strong>sätzlich schief?<br />

Das zentrale psychologische Thema ist<br />

der Wandel des gr<strong>und</strong>legenden emotionalen<br />

Motivs durch den Schritt von<br />

einer altsteinzeitlichen Gleichgewichtsgesellschaft<br />

in die erst langsam, dann<br />

rapide − durch den Kapitalismus − sich<br />

zum Raubbau hin steigernde Ungleichgewichtsgesellschaft.<br />

Auf die Gleichgewichtsgesellschaft<br />

ist unser Organismus<br />

zugeschnitten. In diesen Kulturen,<br />

die wir altsteinzeitlich nennen, wurden<br />

die Menschen durch den Hunger motiviert,<br />

der gut <strong>und</strong> eindeutig zu stillen<br />

ist. Die Ungleichgewichtsgesellschaft<br />

motiviert sich durch die Angst, gegen<br />

die der Mensch nie genug an Sicherheit<br />

anhäufen kann. Wer Vorräte hat, hat<br />

auch Angst, dass sie ihm jemand wegnehmen<br />

kann. Seither werden Kinder<br />

geschlagen; Jägerkulturen tun das nicht,<br />

weil <strong>so</strong>lche Kinder schlechte Jäger sind,<br />

aber „gute“ Sklaven. Im modernen Staat<br />

haben wir zwar die Prügel wieder abgeschafft,<br />

aber die Angst ist geblieben.<br />

Sie hat sich multipliziert, inzwischen<br />

zum Beispiel zu den zahlreichen Ängsten<br />

vor falschen Entscheidungen, vor<br />

beruflichem oder privatem Versagen.<br />

Depressionen wurzeln darin, dass Kinder<br />

Ängste der Eltern wahrnehmen, es<br />

könnte „nichts“ aus ihnen werden, <strong>und</strong><br />

sich deshalb überanpassen, sich nicht<br />

mehr an ihren vitalen Bedürfnissen <strong>und</strong><br />

Grenzen orientieren.<br />

Nicht jeder erfährt in seiner täglichen Arbeit<br />

Sinnhaftigkeit. Die meisten arbeiten<br />

wegen des Geldes <strong>und</strong> allem, was sich<br />

daraus ergibt: ein angesehener Beruf, viel<br />

Geld verdienen, für den Partner attraktiv<br />

sein et cetera. Sie kritisieren das als unpersönlichen<br />

Perfektionismus. Warum<br />

eigentlich?<br />

Perfektionismus ist die Form der<br />

Angstabwehr, die in der Konsumgesellschaft<br />

„normal“ wird. Wer ihn anstrebt,<br />

verliert oft die Orientierung an dem, was<br />

ihm auf einer vitalen Ebene gut tut, was<br />

bekömmlich für ihn ist. Burn-out ist oft<br />

die Folge einer Übererfüllung beruflicher<br />

Normen. Wer sein Leben auf die<br />

Leistungskarte setzt, lebt sehr riskant.<br />

Viele Depressionen brechen aus, wenn −<br />

oft unbewusst − die Betroffenen den Eindruck<br />

haben, dass sie sich für weniger<br />

Anerkennung mehr anstrengen <strong>so</strong>llen.<br />

Sich in ihrer Haut wohlfühlen, Freizeit<br />

genießen können − das können Kinder<br />

nicht von Eltern lernen, die Angst haben,<br />

dass sie die nötige Leistung nicht<br />

bringen.<br />

An einer Stelle in Ihrem Buch heißt es: „In<br />

der Konsumgesellschaft <strong>so</strong>llen wir glauben,<br />

dass das Leben durch Leistung kontrollierbar<br />

wird. Wer genug leistet, kann<br />

sich Sicherheit <strong>und</strong> Glück kaufen.“ Aber<br />

was ist genug?<br />

Es ist eben eine Illusion, dass man Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Glück kaufen kann. Das<br />

funktioniert einfach nicht. Man kann nur<br />

dem Geld hinterherjagen − die aktive,<br />

manische, realitätsverleugnende >><br />

Wolfgang Schmidbauer:<br />

Raubbau an der Seele.<br />

Psychogramm einer<br />

überforderten Gesellschaft<br />

Oekom Verlag:<br />

München 2019<br />

Softcover, 256 Seiten<br />

ISBN 978-3-96006-009-3<br />

Euro 18,00.–<br />

Ausgabe 13 | Mai 2020 | Umweltdialog.de<br />

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