blu März / April 2021
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Eine Sache möchte Rory Graham, wie<br />
der Rag 'n' Bone Man bürgerlich heißt,<br />
gleich klarstellen: „Für mich ist ‚Life by<br />
Misadventure‘ nicht wirklich ein Trennungsalbum.<br />
Ich habe mich sehr darum<br />
bemüht, den Anteil an Herzschmerz in<br />
Grenzen zu halten. Okay, vielleicht gibt<br />
es den einen oder anderen Song, an dem<br />
der Liebeskummer so ein wenig emporkriecht,<br />
aber insgesamt sind die Stücke<br />
nicht sehr weinerlich.“ Was auch damit<br />
zusammenhängt, dass der Rag 'n' Bone<br />
Man den überwiegenden Anteil der neuen<br />
Lieder schon geschrieben hatte, als sich<br />
der Liebesmist in seinem Leben Bahn<br />
brach. „Die meisten Songs sind entstanden,<br />
als es mir richtig, richtig gut ging. Ich<br />
war angekommen im Leben, Vater geworden,<br />
frisch verheiratet. Alles war gut.“ Rory<br />
und seine langjährige Partnerin begrüßten<br />
im September 2017 ihren Sohnemann<br />
Reuben, sie zogen in ein stattliches<br />
Anwesen in seiner Heimatstadt Brighton,<br />
heirateten im Mai 2019 – und trennten<br />
sich am Ende desselben Jahres. „Ich<br />
fühlte mich verdammt traurig und allein“,<br />
so der Sänger mit der beeindruckenden<br />
Statur und der noch beeindruckenderen<br />
Stimme. „Zu allem Überfluss ging es dann<br />
auch noch mit der Pandemie los. Ich war<br />
und bin der festen Überzeugung, dass<br />
die Welt gerade nichts weniger dringend<br />
braucht als weitere deprimierende Lieder<br />
über eine kaputtgegangene Liebe. Ich<br />
finde, die Menschen müssen gerade nicht<br />
noch weiter runtergezogen, sondern aufgerichtet<br />
werden.“ Freilich badet der im<br />
Januar 36 Jahre alt gewordene Graham<br />
im Album auch schon mal im Selbstmitleid,<br />
im intensiv-traurigen „Talking to<br />
Myself“ zum Beispiel. Einmal mussten<br />
diese Gefühle einfach raus. „Oh yeah, was<br />
für ein selbstsüchtiger Song. Was für ein<br />
‚Ich-armer-Kerl‘-Song. Wenn ich den jetzt<br />
höre, denke ich ‚Was für ein pathetisches<br />
Geheule‘. Aber der Song ist gut. Und<br />
er ist wahr. Ein Schnappschuss meines<br />
Lebens.“ Er habe kein selbstmitleidiges,<br />
sondern ein geradezu schmerzhaft ehrliches<br />
Album machen wollen, sagt Rory.<br />
Sehr freundlich und aufgeräumt guckt<br />
Rory Graham beim Gespräch in die<br />
Computerkamera. Es ist<br />
Montagvormittag,<br />
Sohn Reuben hat er gerade im Kindergarten<br />
abgeliefert („Er geht da drei<br />
Mal die Woche hin. Es ist gut für ihn,<br />
eine Struktur zu haben“). Jetzt noch<br />
ein paar Zoom-Interviews und „danach<br />
werde ich zu einem kleinen Spaziergang<br />
antreten.“ Das Leben hat sich wieder<br />
beruhigt in Brighton. Nach einer ersten<br />
fehlgeschlagenen Romanze, die Rory im<br />
Lied „Fall in Love Again“ thematisiert,<br />
ist er seit mehreren Monaten wieder<br />
liiert, und zwar mit einer Mitarbeiterin<br />
jenes Cafés um die Ecke, in dem er<br />
morgens gerne seinen Latte trinkt. Die<br />
Erleichterung und Freude, dass „Life by<br />
Misadventure“ endlich das Licht der Welt<br />
erblickt, steht dem Sänger, der einst in<br />
der Kneipenszene von Brighton seine<br />
ersten scheuen und zaghaften, vom<br />
jovial-kommunikativen Vater sowie ein<br />
paar Pints Lager forcierten, gesanglichen<br />
Gehversuche machte,<br />
ins Gesicht geschrieben.<br />
Intensiv genug daran<br />
gearbeitet hat er.<br />
Aufgenommen<br />
hat Rory das<br />
Album<br />
MUSIK<br />
in Nashville, im Studio des Top-<br />
Produzenten Mike Elizondo (Eminem,<br />
Alanis Morissette). Dabei zeichnete<br />
sich mehr und mehr ab, „dass wir die<br />
Kurve in Richtung eines Gitarrenalbums<br />
nehmen“. Der auf dem Debüt „Human“<br />
noch prägende Blues-Anteil fällt jetzt<br />
deutlich geringer aus. Dafür gesellen sich<br />
Funk, ein wenig Gospel („Somewhere<br />
Along the Way“) und eine gute Ladung<br />
Pop (wie im hinreißenden Piano-Song<br />
„Anywhere Away from Here“) stilistisch<br />
hinzu. „Mit den extrem großartigen Musikern<br />
in Nashville haben wir das Album<br />
schließlich komplett live eingespielt“,<br />
erzählt der Rag'n'Bone Man stolz. „Ich<br />
wollte, dass es so roh und so ehrlich,<br />
notfalls auch so unbequem ist wie nur<br />
möglich.“ Roter Faden der Songs, so Rory,<br />
seien seine „Sorgen und Zukunftsängste,<br />
insbesondere jetzt als Vater“. Dass „Life<br />
by Misadventure“ trotzdem insgesamt<br />
fröhlicher und heiterer klingt als das<br />
„Human“-Album, hat sogar schon<br />
Grahams Mum festgestellt. „Sie hat mich<br />
gelobt und gesagt, dass sie beim neuen<br />
Album weniger geweint hat als beim<br />
ersten.“<br />
*Steffen Rüth<br />
FOTOS: COLUMBIA RECORDS/SONY MUSIC