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faktor Herbst 2021

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STIL<br />

Das ganze Jahr im Einsatz Vom Winter bis zum Frühlingsbeginn werden die Reben von Neu-Winzer<br />

Michael Winkler geschnitten. Im Frühling bindet er die jungen Triebe hoch – einige Rebsorten brauchen<br />

mehr Hilfe zum Ranken, andere halten sich selbst an den quergespannten Drähten fest.<br />

ren, zum Beispiel mit Schwefel.“ Ob sich der<br />

Aufwand wirklich gelohnt hat, wird sich erst<br />

im nächsten Frühjahr zeigen. Erst nach einem<br />

halben Jahr Gärung, Verarbeitung und<br />

viel Ruhe ist der Wein reif für den Genuss.<br />

DEN JAHRGANG 2020 verarbeitet Familie<br />

Winkler nicht selbst, sondern lässt ihn bei<br />

einem Winzer in Sachsen-Anhalt ausbauen.<br />

Rund 2,5 Tonnen sind in diesem Jahr zusammengekommen<br />

– „das ist immer noch eine<br />

Versuchsmenge.“ Solaris, Souvignier gris und<br />

Riesling werden zunächst einzeln vergoren<br />

und ausgebaut. „Hinterher gucken wir mal,<br />

wie wir die Weine verschneiden“, so der Winzer.<br />

Eine Göttinger Cuvée wird entstehen. Allein<br />

der Genuss der reifen Solaris-Trauben<br />

bringt die Fantasie in Schwung: In der Nase<br />

verbreiten sich leichte Zitrusnoten, unterm<br />

Gaumen entfalten die Aromen reifer Beerenfrüchte<br />

ihre betörende Wirkung. Das macht<br />

Lust auf Wein aus Niedersachsen.<br />

Schon ein Jahr zuvor haben die Winklers in<br />

kleinem Rahmen zu Hause eine Cuvée aus<br />

Muscaris und Solaris hergestellt. „Das war<br />

schon ein sehr gutes Tröpfchen,“ sagt Michael<br />

Winkler und lacht. „Fruchtiges Bouquet im<br />

Glas und trocken – so, wie wir das mögen,“<br />

ergänzt seine Frau. Perspektivisch will Familie<br />

Winkler alles selbst machen: von der Rebe bis<br />

zur Flasche<br />

ES WAR UM SEINEN 50. GEBURTSTAG herum,<br />

als sich Michael Winkler vorgenommen<br />

hat, neben seinem Hauptberuf als Apotheker<br />

in Göttingen noch etwas anderes anzufangen.<br />

Ein Faible für Wein, für den Genuss und das<br />

Lebensgefühl hatte er schon immer. Er ist ,am<br />

Tor zum Rheingau‘ geboren, einer Region in<br />

Hessen, wo der Weinanbau Tradi tion hat. So<br />

kam es dazu, dass er sich umgehört hat, ob<br />

und wie in Südniedersachsen Wein professionell<br />

angebaut werden kann. Und damit ist er<br />

nicht allein. Die Lust, etwas Besonderes zu<br />

machen, und die Leidenschaft für Wein sind<br />

es, die viele der Winzerpioniere antreiben. Es<br />

sind Lehrer dabei, ein Architekt, Restaurantbesitzer<br />

und auch Landwirte.<br />

2016 hat das Land Niedersachsen 7,5<br />

Hektar Weinanbaufläche genehmigt – eine<br />

EU- Verordnung hat das möglich gemacht.<br />

Winkler bekam rund 2,8 davon zugesprochen<br />

– bis heute eine der größten zusammenhängenden<br />

professionellen Anbauflächen in<br />

diesem Gebiet. Mittlerweile sind es bundesweit<br />

fast 25 Hektar, Tendenz steigend.<br />

WIRD NIEDERSACHSEN also einmal Weinland?<br />

Vielleicht, aber das wird dauern. „Die<br />

Perspektiven dafür sind zumindest nicht<br />

schlecht – der Klimawandel macht es möglich“,<br />

sagt Jan Brinkmann, Vorsitzender des<br />

,Niedersächsischen Weinanbauverbandes‘ , in<br />

dem mehr als die Hälfte der 38 Weinanbauer<br />

des Bundeslandes organisiert sind. „Wenn<br />

auch noch die regionalen Voraussetzungen<br />

stimmen“, so Brinkmann, „kann der Weinanbau<br />

hier also durchaus gelingen.“ Der Landwirt<br />

selbst glaubt an den Erfolg und möchte<br />

für seinen Betrieb in Bad Iburg neben Ackerbau<br />

und Sauenzucht eine weitere wirtschaftliche<br />

Säule aufbauen. Wie schnell die Anbaufläche<br />

aber wächst, ist gesetzlich streng geregelt<br />

– im Weingesetz. Um fünf Hektar darf die<br />

Anbaufläche pro Jahr landesweit wachsen,<br />

das sind etwa sieben Fußballfelder, in bestimmten<br />

Fällen auch mehr. Aktuell gibt es bei<br />

uns noch immer ein paar unbestellte Flächen<br />

– und so ist niedersächsischer Wein, und<br />

bleibt es noch sehr lange, ein ganz rares<br />

Tröpfchen.<br />

DENN: EINEN NEUEN WEINBERG aufzubauen,<br />

ist eine Lebens- und Generationenaufgabe<br />

zugleich. Die Investitionen sind nicht unerheblich.<br />

25.000 bis 30.000 Euro pro Hektar<br />

kostet es allein, den Berg anzulegen. Die ungezählten<br />

Arbeitsstunden kommen noch oben<br />

drauf. Arbeit gibt es immer wieder, das ganze<br />

Jahr über. Vom Winter bis zum Frühlingsbeginn<br />

werden die Reben geschnitten. Im Frühling<br />

werden die jungen Triebe hochgebunden,<br />

einige Rebsorten brauchen mehr Hilfe zum<br />

Ranken, andere halten sich selbst an den<br />

quer gespannten Drähten fest. Später wird das<br />

Unkraut unter den Reben mechanisch mit einem<br />

sogenannten Schlegel entfernt, damit es<br />

den Rebstöcken nicht Nährstoffe und Wasser<br />

wegnimmt. Je nach Bedarf setzt Michael<br />

Winkler auch Fungizide gegen Pilzbefall ein.<br />

Die meisten seiner Rebsorten gelten als pilzresistent.<br />

Darauf würden die meisten Weinanbauer<br />

in Niedersachsen setzen, so der Vorsitzendende<br />

Brinkmann. Grund sei das feuchtere<br />

Klima im Norden. Mit pilzresistenteren Sorten<br />

könne der Einsatz von Spritzmitteln massiv<br />

reduziert oder sogar ganz darauf verzichtet<br />

werden. Jeder dritte Verbandsanbauer produziert<br />

in Niedersachsen nach Bio-Kriterien.<br />

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108 Stil

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