faktor Herbst 2021
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wissen<br />
1739 – 1891: Grätzelhaus im Zentrum der Entwicklung<br />
Das zwischen 1739 und 1741 errichtete Grätzelhaus in der heutigen<br />
Goethe-Allee wird zur Schnittstelle für die wirtschaftliche Entwicklung<br />
Göttingens: Anfangs dient es vor allem als Unterkunft für die<br />
wohlhabenden Studenten und Professoren. Der an technologischen<br />
Forschungserkenntnissen interessierte Johann Heinrich Grätzel<br />
profitiert vom Austausch mit den Universitätsangehörigen.<br />
Zwischen 1857 und 1874 betreibt der Göttinger Mikroskop-<br />
Pionier Rudolf Winkel hier seine erste Werkstatt. Im Jahr 1891<br />
wird das Haus an den Göttinger Pianofabrikanten Rittmüller<br />
verkauft, der entlang des Leinekanals eine moderne Produktionsanlage<br />
einrichtet.<br />
1890 – 1930: Pensionopolis statt Industrialisierung<br />
Zu Beginn der 1890er-Jahre stehen in der industrialisierten Stadt<br />
bereits 45 Dampfmaschinen. Im späten 19. Jahrhundert werden<br />
zahlreiche feinmechanische Betriebe gegründet, wobei einige dieser<br />
historischen Start-ups und akademischen Ausgründungen noch immer<br />
wichtige Vertreter des heutigen ,Measurement Valley‘ sind.<br />
Um 1900 wohnen rund 30.000 Menschen in Göttingen, dreimal<br />
so viel wie Mitte des Jahrhunderts. Die Stadt versteht sich zu dieser<br />
Zeit allerdings eher als ,Pensionopolis‘ – einen beliebten Altersruhesitz<br />
mit moderner Kanalisation, Trinkwasserversorgung und einem<br />
aufgeforsteten Hainberg – denn als aufstrebenden Wirtschaftsstandort.<br />
1914 – 1945: Wirtschaftsförderung aus der Not heraus<br />
In der Rolle der mäßig industrialisierten, aber mit modernsten<br />
Annehmlichkeiten und Einrichtungen ausgestatteten Kleinstadt<br />
gefällt sich Göttingen auch in den folgenden Jahrzehnten. Erst die<br />
Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs zwingen den Stadtoberen<br />
dazu, sich wieder mit dem Thema Wirtschaftsförderung auseinanderzusetzen:<br />
Auch weil die Stadt während des Kriegs von größeren<br />
Zerstörungen verschont bleibt, beherbergt Göttingen 1945 rund<br />
80.000 Menschen – davon bis zu einem Drittel Heimatvertriebene<br />
und Zugewanderte.<br />
Obwohl sich alle politischen Beteiligten einig sind, dass Göttingen<br />
dringend neue Arbeitsplätze benötigt, ist der Handlungsspielraum<br />
der Stadt äußerst gering. In der unmittelbaren Nachkriegszeit mangelt<br />
es nicht nur an Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum, sondern<br />
auch an Baumaterialien und geeigneten Grundstücken. Zwar wird<br />
im Maschmühlenweg ein erstes Gewerbe- und Industriegebiet<br />
vorangebracht, doch sind die finanziellen Mittel der Stadt bis<br />
weit nach der Einführung der D-Mark 1948 beschränkt und die<br />
Investitionspolitik zurückhaltend. Erschwerend kommt hinzu, dass<br />
auch das Reichsbahn-Zentralamt auf den ehemaligen Militärflugplatz<br />
mit seinen großen Hallen in Grone Ansprüche erhebt.<br />
Zwischenzeitlich gelingt es immerhin, die Göttinger Filmstudios<br />
auf dem Flugplatzgelände anzusiedeln.<br />
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