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faktor Herbst 2021

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mensch<br />

KINDER REAGIEREN IN IHRER ENTWICKLUNG sehr<br />

stark auf das Umfeld, in dem sie sich häufig bewegen. So<br />

lernen sie, wie ihre Eltern die Welt verstehen und vermitteln,<br />

aber sie lernen auch, sich für eigene Dinge zu interessieren.<br />

Dabei ist das eigentliche Wortlernen das Ergebnis<br />

einer dynamischen wechselseitigen Interaktion zwischen<br />

Umwelt und Mensch. Der Fokus der Forschung liegt in<br />

der WortSchatzInsel auf dem lernenden Kind – darauf,<br />

was es weiß und wofür es sich interessiert, und auf seiner<br />

Motivation zu lernen. Als erklärendes Beispiel dient hierbei<br />

die Bär- und Bagger-Studie, die das Team der Wort-<br />

SchatzInsel durchführte. Die Studie wurde bei 30 Monate<br />

alten Kleinkindern durchgeführt. Die Frage war: Lernen<br />

manche Kinder leichter Tiernamen wie beispielsweise<br />

Bär, und andere Kinder leichter Fahrzeugnamen wie<br />

Bagger? Das Ergebnis: Kinder lernen Wörter leichter,<br />

wenn sie sich für die Gegenstände interessieren, auf die<br />

sich das Wort bezieht. Die Präferenz der Kinder, so Mani,<br />

entwickelt sich aus ihrem eigenen Interesse, und somit<br />

steuern Kinder auch ihren eigenen Spracherwerb. „Ich<br />

selbst habe ein Bagger- und ein Bärenkind daheim.“<br />

INZWISCHEN HABEN WIR ES UNS für das Interview im<br />

Spielraum, gleich neben dem Testlabor, gemütlich gemacht.<br />

Mani sitzt entspannt auf einem Sofa und trinkt<br />

Tee. „Bevor Sie kamen, habe ich an einem neuen Forschungsantrag<br />

gesessen. Wir wollen untersuchen, wie<br />

Neugier unser Leben beeinflusst. So ein Antrag schreibt<br />

sich wie von selbst“, erzählt die Professorin. Was sie damit<br />

sagen will: Sie hat einen Job gefunden, in dem sie<br />

sich und ihre Forschungsziele verwirklichen kann. Und<br />

sie hat ein Team um sich, das unvergleichliche Arbeitsbedingungen<br />

schafft. „Die Zeit der einsamen, zerstreuten<br />

Wissenschaftler, die sich in ihrem Büro einschließen,<br />

gehört längst der Vergangenheit an“, sagt Mani mit großer<br />

Zufriedenheit. Sie ist ein Team-Mensch und sieht die<br />

enormen Vorteile, wenn Studien rund um den Globus zu<br />

validierten Ergebnissen führen. Auch hier in Göttingen<br />

arbeitet ihr Forschungsteam fakultätsübergreifend und<br />

interdisziplinär: Linguistik, Neurowissenschaften, Soziologie<br />

und das Primatenzentrum. „Wir wissen, dass<br />

wir mehr wissen können, wenn wir zusammenarbeiten.“<br />

Sie alle haben an Studien teil, die langfristig helfen sollen,<br />

das menschliche Gehirn zu verstehen und mehr Ruhe in<br />

gestresste Erziehung zu bringen.<br />

IHR LIEBLINGSZITAT STAMMT ÜBRIGENS von den<br />

Wissenschaftlerinnen Thelen und Smith: ,There is no<br />

plan.‘ Da ist kein Plan in der Welt. Sehr wenig ist von<br />

Beginn an in unserer Entwicklung festgeschrieben. Vieles<br />

lässt sich ändern oder verbessern. Nur weil ein Kind<br />

nicht mit fünf Sprachen aufwächst, muss es in seinem<br />

Leben keinen Nachteil haben. „Unser Gehirn ist so flexibel,<br />

dass wir vieles ausgleichen können, wenn wir wissen,<br />

wie das Gehirn funktioniert“, sagt Mani. Und um das<br />

Gehirn besser zu verstehen, sind Studien wie die der<br />

WortSchatzInsel notwendig. Demnach müssen Men-<br />

schen, die in sozial schwachen Milieus aufgewachsen<br />

sind, nicht auf Chancen im Leben verzichten. Mit den<br />

Ergebnissen aus wissenschaftlichen Studien können<br />

Strategien entwickelt werden, mögliche Unterschiede<br />

langfristig auszugleichen. Mani hofft, dass in Zukunft<br />

mit ihrer Hilfe Eltern von dem sozialen Druck befreit<br />

werden, ein Kind müsse dies oder jedes in einem bestimmten<br />

Alter können. Jeder Mensch ist individuell,<br />

und seine Entwicklung ist es ebenso. Sprache, und auch<br />

das zeigen die Studien, ist ein Vermittler zwischen der<br />

Welt, wie wir sie wahrnehmen, und den Menschen. Je<br />

mehr Wörter wir beherrschen, desto mehr verstehen wir<br />

von der Welt. Das ist es, was Mani antreibt und begeistert:<br />

Die Kraft der Sprache.<br />

Zu Hause unterhält sich die Inderin mit ihren Kindern<br />

auf Englisch, während ihr Mann Deutsch spricht. Einbis<br />

zweimal pro Jahr fliegt die Familie gemeinsam nach<br />

Delhi, wo Manis Mutter und ihre Schwester leben. Weil<br />

hier ihre familiären Wurzeln liegen und ebenso die kulturellen.<br />

Weil es ihr wichtig ist, dass ihre Kinder dieses<br />

Leben kennenlernen und neben Englisch und Deutsch<br />

als dritte Sprache Hindi verstehen. Und weil sie ihre Tradition<br />

auch an die nächste Generation weitergeben<br />

möchte. „Ich bin eine Wanderin. Meine Heimat ist, wo<br />

ich bin“, sagt Nivi Mani. „Sprache verändert die Sicht<br />

auf unsere Welt. Was auch bedeutet, dass man die Welt<br />

mit ihrer Hilfe verbessern kann.“ ƒ<br />

digital+<br />

Lernen Sie unsere Cover-Frau Nivi Mani und<br />

ihre spannnende Forschung in der WortSchatzInsel<br />

auch im digitalen Interview kennen unter:<br />

www.<strong>faktor</strong>-magazin.de/<strong>faktor</strong>-video<br />

Zur Person<br />

Prof. Dr. Nivedita Mani ist Professorin der Abteilung<br />

Psychologie der Sprache an der Uni Göttingen und<br />

Direktorin des Georg-Elias-Müller-Institutes für Psychologie.<br />

Die gebürtige Inderin kam 2010 nach Göttingen und ist<br />

seitdem leitende Forscherin in zahlreichen Projekten, die<br />

von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert<br />

sind. Sie wurde 2017 in die Akademie der Wissenschaften zu<br />

Göttingen gewählt und ist Co-Autorin zahlreicher Publikationen,<br />

unter anderem des Buchs ‚Early Word Learning‘.<br />

Zudem gewann die 41-Jährige bereits mehrer Auszeichnungen<br />

wie beispielsweise den Wissenschaftspreis<br />

der Fritz-Behrens Stiftung.<br />

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