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faktor Herbst 2021

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mensch<br />

LESEZEIT: 6 MINUTEN<br />

Jetzt sehe ich, dass alles, was in meinem Leben vorher<br />

passiert ist, einen Sinn hatte“, sagt Anika Riedel<br />

freudestrahlend, umgeben von gestapelten Holzpaletten<br />

mit hübsch sortierten Ketchup- Flaschen<br />

und Präsentkartons. „Denn es hat mich hierhin<br />

geführt, an den richtigen Platz.“ Im April vergangenen<br />

Jahres hat die 41-Jährige die Geschäftsführung der Riedels<br />

Ketchup-Manufaktur in Bevern, einem Flecken im Landkreis<br />

Holzminden, von ihrem Vater übernommen, mitten<br />

in Corona-Zeiten. Ein bürokratischer Hürdenlauf sei<br />

es gewesen. „Der ,Laden‘ ist auch definitiv noch ausbaufähig“,<br />

erklärt sie, lächelt und blickt sich um. Bislang<br />

dient nur eine kleine Ausstellungsfläche als Ketchup-Geschäft,<br />

platziert inmitten des recht nüchternen Getränkemarkts<br />

der Familie.<br />

Doch die Aus- und Umbaupläne müssen warten, denn<br />

das Geschäft mit dem Ketchup floriert und fordert aktuell<br />

viel Einsatz. „Seit dem Shutdown haben Webshop<br />

und der Verkauf im regionalen Einzelhandel richtig<br />

Schwung aufgenommen – unser Umsatz ist um 40 Prozent<br />

gestiegen“, erzählt Riedel. Eine positive Entwicklung,<br />

die dem kleinen Betrieb viel abverlangt. Ihr Vater<br />

Achim Riedel, der für die Produktion des Ketchups zuständig<br />

ist, kommt gerade dazu und erzählt, dass er im<br />

vergangenen Jahr insgesamt 55.000 Flaschen und Gläser<br />

abgefüllt habe – manuell. Er setzt sich zu seiner Tochter,<br />

nickt bedächtig und sagt: „Während manche in dieser<br />

Zeit weniger Arbeit hatten, ging es bei uns rund um die<br />

Uhr.“ Um Nachfrage und Versand bedienen zu können,<br />

haben sie kurzerhand den Getränkemarkt nur noch ab<br />

donnerstags geöffnet. Die Ketchup-Manufaktur ist bis<br />

dato eben noch ein originärer Familienbetrieb, in dem<br />

Zubereitung, Abfüllen, Etikettieren und Verpacken Handarbeit<br />

ist – das braucht seine Zeit. Während der Vater als<br />

„Innenminister“, sagt Anika Riedel, für die Manufaktur<br />

der aktuell über 15 verschiedenen Sorten zuständig ist,<br />

kümmert sie sich als „Außenministerin“ um Vertrieb,<br />

Märkte, Organisation, Design und Marketing sowie um<br />

die Entwicklung von Rezep tideen (siehe auch Seite 80).<br />

»Wir haben ein neues Konzept erarbeitet,<br />

das die regionalen Produzenten mit den<br />

Hof- und Dorfläden noch enger miteinander<br />

vernetzen soll, und wir wollen<br />

die Sichtbarkeit der kleineren<br />

Produzenten weiter hervorheben. «<br />

SIE IST GERN UNTERWEGS, lässt sich inspirieren, knüpft<br />

Netzwerke. Und so wurde sie, nachdem sie zuvor eine<br />

solche Position auch schon bei den Wirtschaftsjunioren in<br />

Holzminden innehatte, vergangenes Jahr auch beim<br />

Regio nalen Erzeugerverband in den Vorstand gewählt.<br />

Jetzt engagiert sie dort sich für die Weiterentwicklung der<br />

Marke ‚Kostbares Südniedersachsen‘. „Wir haben ein<br />

neues Konzept erarbeitet, das die regionalen Produzenten<br />

mit den Hof- und Dorfläden noch enger miteinander<br />

vernetzen soll“, erzählt Riedel. „Und wir wollen die<br />

Sichtbarkeit der kleineren Produzenten weiter hervorheben.“<br />

Dabei sei die Problematik der Begriffe Bio, Regionalität<br />

und Qualität durchaus ein Thema: Da habe jeder<br />

andere Vorstellungen. „Das Verbindende unserer Mitglieder<br />

ist die regionale Wertschöpfung und der gemeinsame<br />

Austausch darüber, welche Produkte oder Hersteller<br />

vor Ort wir in unsere eigenen Prozesse einbinden<br />

können.“<br />

FÜR DAS TOMATENMARK IN RIEDELS KETCHUP gibt<br />

es allerdings noch keinen deutschen Hersteller. „Deutschland<br />

ist eben kein klassisches Anbaugebiet für Tomaten“,<br />

erklärt die Geschäftsführerin. Sie beziehe es aus vertrauenswürdiger<br />

Quelle und in geprüfter Qualität aus Spanien.<br />

Aber für andere Ingredienzen ihrer Sorten habe sie<br />

selbstverständlich Zulieferer aus der Region: die Einbecker<br />

Senfmühle, die Brauerei Allersheim, die Imkereien<br />

Schrimpf und Abendroth, Janniks Gourmet-Essig.<br />

Vom Rittergut Meinbrexen kommen die Erdbeeren für<br />

den Erdbeer-Ketchup, und die Ölmühle Solling liefert<br />

den Kokosblütenzucker, der mit einem sehr niedrigen<br />

glykämischen Wert den zuckerreduzierten Varianten Geschmack<br />

gibt. „Es gibt Menschen, die im Ketchup keinen<br />

Zucker wollen, aber ganz ohne geht es einfach<br />

nicht“, sagt Achim Riedel. Vieles haben sie schon ausprobiert<br />

und verwenden neben der exotischen Variante<br />

auch natürlichen Rohrzucker: Er sei gesünder als Invertzucker<br />

oder Glukosesirup, die sonst in Ketchup üblich<br />

sind – außerdem ist er viel bekömmlicher.<br />

Und damit kommen wir zum offenen Geheimnis von<br />

Riedels Ketchup: Für Rezeptur, Sensorik, Geschmack<br />

und Duft ist Achim Riedel der Profi, der beruflich<br />

dafür ausgebildet ist. Jahrzehntelang war er als Gewürzkontrolleur<br />

tätig und weiß genau, welche Mischung und<br />

Fermentierung beim Kochen ein optimales Ergebnis liefern.<br />

„Wir nennen es die fruchtig-frische Geschmacksexplosion“,<br />

sagt die Tochter mit einem stolzen Seitenblick<br />

auf ihren Vater. Sie weiß, dass es irgendwann eine<br />

besondere Herausforderung wird, eine Nachfolge für<br />

ihn zu finden. „Um an ihn heranzureichen, müsste ich<br />

mich definitiv sensorisch noch weiterentwickeln“, sagt<br />

Anika Riedel. „Zwar habe auch ich eine extrem feine<br />

Nase – aber leider auch das Problem, dass ich ganz stark<br />

auf Gewürze reagiere und aufpassen muss.“<br />

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