faktor Herbst 2021
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mensch<br />
die Kleinen und das eigentliche Test labor. Auf eine gelbe<br />
Wand hat jemand eine Insel gemalt, darauf eine Schatztruhe,<br />
gefüllt mit Buchstaben. Schnell muss der Begriff<br />
eines typischen Labors revidiert werden: Hier in der<br />
WortSchatzInsel ist alles kunterbunt und gemütlich. Kinderfreundlich<br />
muss es natürlich sein, da die ‚Probanden‘<br />
dieser Einrichtung zum Teil gerade einmal sechs Monate<br />
alt sind. Forschung sieht daher in diesen Räumen etwas<br />
anders aus. Alles ist Spiel und darf mit Spaß verbunden<br />
sein.<br />
DOCH WIE KÖNNEN BABYS und Kleinkinder überhaupt<br />
in die Forschung eingebunden werden? Schließlich sind<br />
sie noch gar nicht in der Lage, verbal auf eine Frage zu<br />
antworten. Was in der WortSchatzInsel untersucht wird,<br />
sind daher vor allem die Blickbewegungen. Messungen<br />
mit Eyetracking und EEG (Elektroenzephalografie –<br />
Messung der elektrischen Aktivität der Hirnrinde) registrieren,<br />
wie Kinder Wörter verarbeiten. Ein Beispiel: Im<br />
Testraum steht ein Stuhl, an der Wand hängt ein Bildschirm.<br />
Dahinter verbirgt sich ein Lautsprechersystem,<br />
über das den Kindern Sätze vorgespielt werden. Mithilfe<br />
von Eyetracking wird nun beobachtet, wie das Kind reagiert.<br />
Beispielsweise sind auf dem Bildschirm zwei Bilder<br />
zu sehen: ein Auto und ein Keks. Wenn das Kind nun<br />
den Satz ‚Der Junge isst ... einen Keks.‘ hört, wird beobachtet,<br />
ob das Kind bereits in der kurzen Pause auf das<br />
Essen blickt, also bevor das Wort ‚Keks‘ genannt wird.<br />
Daran ist erkennbar, ob das Kind das Verb in seiner Bedeutung<br />
kennt und eine semantische Verknüpfung zwischen<br />
‚Junge‘, ‚essen‘ und ‚Keks‘ herstellt.<br />
„Beim EEG bekommen die Kinder während der Messung<br />
so eine Art Badekappe mit Sensoren und Kabeln<br />
aufgesetzt“, erklärt Mani. „Damit es für das Kind als<br />
normal angesehen wird, haben auch wir vom Team bei<br />
solchen Terminen alle eine Kappe auf.“ Die Augen der<br />
Sprachwissenschaftlerin strahlen, während sie von ihren<br />
zahlreichen Studien erzählt. Jedes Mal, wenn eine<br />
Hypothese aufgestellt wird, sei es wieder aufs Neue<br />
spannend zu sehen, was sich letztendlich daraus ergibt.<br />
„Und das Schöne ist: Es macht nicht nur uns Spaß, sondern<br />
auch den Kindern. Sie wollen alle wiederkommen.“<br />
Tatsächlich komme es nicht selten vor, dass die Eltern<br />
mit ihrem Nachwuchs auch mal einfach so im Labor<br />
vorbeischauen, um ‚Hallo‘ zu sagen.<br />
Die Tests sind einfach, aber effektiv. So hat die zweifache<br />
Mutter Mani auch bei der Erziehung ihrer eigenen<br />
Kinder, fünf und acht Jahre alt, schon das ein oder andere<br />
angewandt. „Meine Beiden müssen oft als Pilotkinder<br />
herhalten“, sagt sie lachend. Das bleibe nicht aus. Ausgehend<br />
von den Forschungsergebnissen werden Geschichten<br />
aus Büchern nicht nur vorgelesen, sondern auch<br />
während des Lesens besprochen, sodass das Kind die<br />
Geschichte mit anderen Worten hört. „Dadurch lernen<br />
die Kleinen, wie flexibel die Sprache ist und wie wir mit<br />
anderen Worten das Gleiche sagen können.“<br />
Zur WortSchatzInsel<br />
Nivedita Mani kam 2010 nach Göttingen, um die Forschergruppe ,Psychologie<br />
der Sprache‘ und das dazugehörige Babylab, die WortSchatzInsel, zu gründen.<br />
In dem Sprachlabor werden die ersten Schritte des Spracherwerbs bei Babys und<br />
Kleinkindern untersucht und wissenschaftlich begleitet. Hier wurde für die kleinen<br />
Probanden ein Umfeld geschaffen, das spielerisch kurze ‚Forschungssequenzen‘,<br />
die maximal fünf Minuten dauern, zulässt. Die WortSchatzInsel ist<br />
für alle Eltern offen, die Lust haben, mit ihren Kleinen an Studien teilzunehmen.<br />
www.wortschatzinsel.uni-goettingen.de<br />
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