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BT_04-2021_Nordausgabe_epaper

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››<br />

„Name: Sophie Scholl“<br />

wurde ursprünglich von<br />

Rike Reiniger als Monolog<br />

geschrieben. In der<br />

Neuinszenierung hat der Istanbuler Regisseur<br />

Emrah Elciboga ein Zwei-Personen-Stück<br />

daraus gemacht. Er hat Katharina<br />

El Masri und Kathrin Mohn – mit<br />

denen er bereits zusammengearbeitet<br />

hatte – gleich für das Stück im Auge gehabt.<br />

Die beiden jungen Frauen spielen<br />

mehrere Rollen und sind beide die gesamten<br />

70 Minuten auf der Bühne.<br />

In dem Stück geht es um eine Studentin<br />

der Gegenwart, die Sophie Scholl heißt<br />

(Katharina El Masri), und schwer an der<br />

Verantwortung ihres Namens zu tragen<br />

hat. Ihr Professor hat Unrecht getan und<br />

will seine Schuld der Sekretärin in die<br />

Schuhe schieben. Sophie könnte diese<br />

entlasten, würde dann aber ihre eigene<br />

Karriere aufs Spiel setzen. Ihr gegenübergestellt<br />

wird die historische Widerstandskämpferin<br />

Sophie Scholl (Kathrin<br />

Mohn).<br />

Die Loyalität zu sich selbst<br />

Da beide Schauspielerinnen mehrere<br />

Rollen spielen, stehen sie ununterbrochen<br />

im Rampenlicht. „Wir mussten uns<br />

darauf einlassen, schnell die Gefühlslage<br />

zu ändern. Außerdem muss man seine<br />

Rolle ja auch weiterspielen, wenn die<br />

andere Sophie spricht“, sagt Katharina<br />

El Masri. Regisseur Emrah Elciboga habe<br />

dabei einen anderen Ansatz als deutsche<br />

Regisseure. Er lege weniger Wert auf<br />

Technik und Aussprache, sondern verstärkt<br />

auf das Gefühl. „Weniger spielen,<br />

weniger tun, mehr fühlen. Und dieses<br />

Gefühl muss auf den Zuschauer übertragen<br />

werden“, so die 33-Jährige. Die<br />

Zusammenarbeit mit Elciboga sei anspruchsvoll,<br />

aber voller<br />

gegenseitiger Wertschätzung<br />

gewesen.<br />

Ein Vorteil trotz der<br />

schweren Rolle: Sie<br />

könne sich zu 100 Prozent<br />

auf ihre Co-Protagonistin<br />

Kathrin Mohn,<br />

mit der sie bereits auf<br />

der Bühne stand, verlassen.<br />

Zusammen könnten<br />

sie jeden möglichen<br />

Fehler ausbügeln. Sie<br />

ist sich sicher, dass die<br />

Zuschauer die Botschaft<br />

des Stückes verstehen. Es geht vor allem<br />

darum, die Loyalität zu sich selbst zu bewahren.<br />

Katharina El Masri: „Die historische<br />

Sophie Scholl ist nicht gestorben,<br />

um eine Heldin zu werden. Sie hat so<br />

gehandelt, weil sie sich damit selbst treu<br />

geblieben ist. Es gibt viele gesellschaftliche<br />

Probleme, bei denen die Menschen<br />

sich entscheiden müssen, ob sie sich<br />

selbst treu bleiben, oder den Weg des<br />

geringsten Widerstandes gehen.“<br />

Coaching auf Augenhöhe<br />

Emrah Elciboga ist ausgebildeter Schauspieler<br />

und Regisseur und hat<br />

bereits viele Theaterstücke, Filmspiele<br />

und TV-Sendungen produziert.<br />

Rike Reiniger – von der er<br />

in Ravensburg schon den „Zigeuner<br />

Boxer“ inszeniert hatte – hatte<br />

ihm ihren Monolog gegeben und<br />

ihn darum gebeten, ihn auf der<br />

Bühne umzusetzen. „Ich las den<br />

Text mit Begeisterung und wollte<br />

ihn aus einem anderen Blickwinkel<br />

erzählen. Die Zuschauer<br />

sollten sich mit der Person Sophie<br />

Scholl auseinandersetzen, nicht<br />

mit den den ohnehin bekannten<br />

historischen Geschehnissen“, sagt der<br />

Regisseur.<br />

Er habe zudem darauf aufmerksam machen<br />

wollen, dass sich die Gesellschaft<br />

heute aus der eigenen Verantwortung<br />

zieht, indem sie durch ihr Schweigen<br />

grausame Diktatoren stärkt. Loyalität sich<br />

selbst gegenüber und damit verbunden<br />

die Selbstachtung seien Tugenden, die<br />

sich nie ändern sollten. Der Zuschauer<br />

hinterfrage sich durch die Geschichte<br />

der beiden Sophies selbst.<br />

Apropos – wieso eigentlich zwei Sophies,<br />

wo das Stück ursprünglich ein<br />

Monolog war? Emrah Elciboga erklärt:<br />

„Das Publikum kann meiner Meinung<br />

nach auf diese Art Zusammenhänge besser<br />

nachvollziehen. Wir switchen zwischen<br />

Vergangenheit und Gegenwart.“<br />

Er habe großes Potential in seinen begabten<br />

Amateur-Schauspielerinnen gesehen<br />

und mit Coaching auf Augenhöhe<br />

eine professionelle Performance der<br />

beiden erzielt. Sowohl er als auch das<br />

Publikum seien sehr zufrieden mit dieser<br />

Version.<br />

Nur 45 Tage Produktion<br />

Eine Herausforderung der Produktion<br />

bestand im Erklären der schnellen<br />

Zeitsprünge im Text, dem verworrenen<br />

Ablauf der Ereignisse und der Abbildung<br />

der psychischen Zustände. „Wir verbrachten<br />

Stunden mit jedem einzelnen<br />

Wort, sowohl theoretisch als auch praktisch“,<br />

sagt er. Die größte Schwierigkeit<br />

jedoch, war die Produktionsphase. Nach<br />

Corona gab es ein Zeit- und Raumproblem.<br />

Erst nach drei Jahren Wartezeit<br />

konnte das Stück zum 100. Geburtstag<br />

von Sophie Scholl aufgeführt werden.<br />

Letztlich hatte das Team genau 45 Tage<br />

Zeit, um Regie, Musik, Bühnenbild,<br />

Kostüme, Lichter, Plakate, Broschüren<br />

und mehr umzusetzen. Elciboga: „Meine<br />

Ehefrau, meine Schauspielerinnen<br />

und ich haben Hand in Hand mit vielen<br />

Nachtschichten zusammengearbeitet.<br />

Unser Motto war: ,Wir werden nicht nur<br />

ein Theaterstück aufführen, wir werden<br />

auch ein Wunder vollbringen‘, und genau<br />

das geschah auch.“ Andere Theaterhäuser<br />

haben das Team schon für Aufführungen<br />

angefragt.<br />

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