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Lebenslust_Goettingen_Fruehjahr_2022

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lebenslust:gö VERANSTALTUNGEN 41

Der LogenPlatz

Tipp von Jan Thomas Ockershausen

❜❜

Wie werde ich unsichtbar❛❛

Mit der Uraufführung von „Der tätowierte Mann“ von Peter Wortsman bringt das Deutsche Theater

ein bedrückendes Kammerspiel auf die Bühne des DT-2 und leistet so einen ebenso wertvollen wie

schmerzhaften Beitrag gegen das kollektive Vergessen.

Unbehagen und Ratlosigkeit strahlen der von Anna Paula Muth

gespielten Journalistin aus jedem Knopfloch ihrer biederen

Strickjacke. Zerbrechlich und verzweifelt versteckt sie sich hinter

dem Kamerastativ, schwer schluckend, manchmal den Tränen

nahe und nie auch nur im Ansatz fähig, dem Grauen angemessen zu

begegnen. Doch wie soll das

auch möglich sein, wenn man

einen KZ-Überlebenden interviewt?

Millionen von Menschen

sind in Auschwitz kaltblütig

und industriemäßig

abgeschlachtet worden. Paul

Wenning spielt einen solchen

Menschen, der ohne jegliches

Foto: Thomas Müller

Pathos vom alltäglichen Leben

im Konzentrationslager berichtet. Dabei tritt Wenning nicht in

Person auf die Bühne, sondern wird übergroß auf eine Leinwand projiziert.

Jede Regung, jede Mine wird hierdurch offenbar, der Zuschauer

nimmt eine fast voyeuristische Position ein. Dies ermöglicht Nähe,

Intimität, sowie die Gelegenheit genau hinzuschauen und es macht

die Eindrücke zudem etwas erträglicher.

Spiel großartig ergänzen. Wennings robuste Sachlichkeit kontrastiert

gut mit der eher filigran auftretenden Muth, die sich gleich einem Katalysator

zwischen das Publikum und die Verbitterung dieses beeindruckenden

Zeitzeugen schaltet.

„Man kann kein normales Leben mehr führen“. Diese Quintessenz

von Paul Wenning bezieht sich vordergründig nur auf diejenigen, die

in dem Lager eingesperrt werden, zudem aber wohl auch auf den

Zuschauer, an dem dieser Abend einfach nicht spurlos vorbeigehen

kann.

DER WEG

ZURÜCK

Dennis Kelly

dt.x Tiefgarage

ab 16. April

Wenning präsentiert seinen Monolog lakonisch, zuweilen aggressiv,

aber nie selbstmitleidig. Dort sitzt einfach ein alter Mann in seiner unpersönlich

eingerichteten tristen Wohnung und erinnert sich. Das

unerträgliche Leid von Millionen personifiziert sich in diesem einen

Jedermann, der stellvertretend für viele dem Unmöglichen Ausdruck

verleiht. Unsichtbar zu werden, das ist das Überlebensrezept. Nicht

auffallen und in der Masse mitschwimmen, denn der Mensch ist auf

eine Nummer reduziert, sein Leben zählt nichts. Sei es ein Selbstmord

mit geliehenem Gürtel wegen eines Stück Brots oder das Betteln um

einen Gnadenschuss, der wegen der strengen Vorschriften versagt

wird, die Schilderungen des Alltäglichen in dieser entmenschlichten

Umgebung werden von Wenning anschaulich vorgetragen. Alkohol,

Liebe ja sogar Geschäfte gab es im Lager, wenngleich sich diese teilweise

nur darauf beschränken, Lebensmittel gegen die Möglichkeit,

ohne Schläge ins Gas gehen zu dürfen, einzutauschen.

Mit Paul Wenning und Anna Paula Muth treffen zwei Schauspieler aufeinander,

die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich aber in ihrem

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