faktor Winter 2022
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mensch<br />
sondern „nur“ als Selbstständige, wie sie betont – Mitarbeiterzahl:<br />
eins. Mit Messe-Besuchen und zahllosen<br />
Stippvisiten in Betrieben, auch außerhalb ihrer Beratungstätigkeit,<br />
hält sie engen Kontakt zur Branche und<br />
bleibt thematisch auf der Höhe der Zeit. „Ich sehe mir<br />
nahezu jede Bäckerei an, an der ich vorbeikomme“, sagt<br />
sie. Das sei schon immer so gewesen, auch auf Reisen im<br />
Ausland, denn jedes Land habe „eine individuelle Bäckerei-Kultur“.<br />
Zu ihren Lieblingsprodukten gehören<br />
Schweizer Brot mit dunkel ausgebackener Kruste,<br />
Zimtschnecken in Skandinavien und die unglaublichen<br />
Mengen an Baguette in Frankreich.<br />
„IHRE BRANCHE“ STÜNDE VOR großen Herausforderungen,<br />
der Beratungsbedarf sei enorm. „Frühere Probleme<br />
wirken heute wie Problemchen, heute ist Krise.“<br />
Durch steigende Kosten für Mieten und Energie und<br />
Schwierigkeiten in den Lieferketten würden Betriebsergebnisse<br />
schlechter. Viele Familien müssten sich fragen,<br />
ob sie gemeinsam bereit sind, durch diese Zeit zu gehen.<br />
Die angespannte Personalsituation verschärfe die Lage.<br />
„Das Thema Personal ist in der Beratung und in meinen<br />
Artikeln ganz zentral“, sagt Thiele-Hann. „Das war immer<br />
meine Stärke, und in diesem Bereich habe ich aus<br />
meiner Sicht dem eigenen Unternehmen besonders gedient.“<br />
Menschliche Nähe sei ein Pfund, mit dem kleinere<br />
Betriebe wuchern könnten: Sie hat gute Erfahrungen<br />
damit gemacht, selbst in Bewerbungsgesprächen zu sitzen,<br />
neuen Mitarbeitenden Produktionsbesichtigungen<br />
anzubieten und Schulungen selber durchzuführen. „Ich<br />
habe regelmäßig Fahrer auf ihren Touren begleitet. Die<br />
waren dann oft sehr erstaunt, wenn ich im Morgengrauen<br />
mit dickem Pullover und Turnschuhen am LKW stand<br />
und mitfahren wollte“, erzählt sie. „Das ist sinnvoll investierte<br />
Zeit. Die Fahrer bekommen in allen Filialen auf<br />
ihrer Tour mit, was los ist. Als Unternehmer erhalten sie<br />
so ungeahnt gute Einblicke.“<br />
DIE FRAGE, OB ES IN ZEHN JAHREN noch Bäckereien<br />
geben werde oder Backwaren dann nur noch in Supermärkten<br />
erhältlich seien, beantwortet sie so: „Für eine<br />
Zukunft mit handwerklich hergestellten Backwaren sind<br />
Unternehmer nötig, die den Mut haben, ihr Sortiment zu<br />
verkleinern und Öffnungszeiten zu kürzen.“ Aber auch<br />
die Kunden müssten treu zu ihrer Stammbäckerei stehen.<br />
„Ich wünsche der Branche Kunden, die nicht am Abend<br />
noch das volle Sortiment erwarten und die akzeptieren,<br />
dass es Spezialprodukte nur an bestimmten Tagen gibt.“<br />
Obwohl Katja Thiele-Hann und ihr Mann mittlerweile<br />
einen Zweitwohnsitz in Hamburg haben, sind sie Göttingen<br />
und der Region immer noch eng verbunden, die<br />
sie als umtriebige Netzwerkerin und erste weibliche<br />
Kreishandwerksmeisterin des Landes Niedersachsen von<br />
2007 bis 2014 mitgeprägt hat – so erfolgreich, dass sie<br />
nach ihrem Rücktritt einstimmig zur Ehrenkreishandwerksmeisterin<br />
gewählt wurde. Auch über ihren „geliebten“<br />
Club der Göttinger Wirtschaft hält sie weiter den<br />
Kontakt. „Bei den Exkursionen des Clubs in die Unternehmen<br />
lerne ich tolle Hidden Champions kennen“, erzählt<br />
Thiele-Hann. „Ich erfahre, was Unternehmer aus<br />
anderen Branchen in ihrem Alltag umtreibt.“ Für diese<br />
stünde sie auch gerne als Sparringspartnerin zur Verfügung,<br />
unentgeltlich, als „Göttingerin für Göttinger“.<br />
NACH DEN WÜNSCHEN FÜR SICH SELBST GEFRAGT,<br />
antwortet sie: „Ich würde mir vor allem wünschen, dass<br />
ich bald wieder so viel reisen kann wie vor Corona.“<br />
Sonst sei sie mit ihrem ,neuen‘ Leben sehr zufrieden.<br />
Ohne sie nach ihrer Lieblingsbackware zu Weihnachten<br />
zu fragen, konnten wir das Gespräch mit dem ,Bäckerkind‘<br />
nicht beenden. Nach kurzem Überlegen legt sie<br />
sich fest: „Zimtsterne mag ich sehr gern – sie selbst zu<br />
backen, ist allerdings eine Strafarbeit.“ Sie habe zwar<br />
Freude am Backen, aber nicht zu Hause. „Mit Mengen<br />
unter 160 Kilogramm“, sagt Thiele-Hann noch lächelnd,<br />
„kann ich nicht so gut umgehen.“ƒ<br />
ZUM UNTERNEHMEN<br />
Die Bäckerei Thiele wurde 1878 von Friedrich Wilhelm<br />
Thiele gegründet und seit 1998 von Katja Thiele-Hann in<br />
fünfter Generation geführt. In den 1950er Jahren konnte<br />
die Firma stark vergrößert werden: Lebensmittelhändler,<br />
Krankenhäuser und die Bundeswehr erhöhten den Absatz.<br />
1979 eröffnete die erste Filiale in Grone, bis 1996 folgten<br />
weitere Zweigstellen zwischen Hannover und Kassel.<br />
2009 wurde die Bäckerei Apel in Kassel mit 250<br />
Mitarbeitern hinzuerworben.<br />
2013 beginnt die Kooperation mit der AWO Göttingen.<br />
Das Projekt ,Brot-Galerie – Bestes von gestern‘ ermöglicht<br />
psychisch erkrankten Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt<br />
keine Chance haben, eine angemessene Berufstätigkeit.<br />
Im selben Jahr wird auch die Kooperationsvereinbarung<br />
,Schulbetrieb‘ mit dem Landkreis beschlossen.<br />
Im April 2021 verkauft Katja Thiele-Hann das Familienunternehmen<br />
an das Frankfurter ,Haus der Bäcker‘.<br />
Nachdem sie im Dezember 2021 auch als Geschäftsführerin<br />
ausscheidet, gründet sie die KTH Bäckereiberatung.<br />
www.kth-beratung.de<br />
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