faktor Winter 2022
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leben<br />
Nicht nur der Tafelaufsatz und die Spülkumme verweisen<br />
auf eine andere Tischkultur. Wer über das historische<br />
Treppenhaus mit seinen niedrigen, von endlosen<br />
Schritten geformten Holzstufen hinauf ins Obergeschoss<br />
geht, den erwartet Spektakuläres: eine Tafel mit<br />
185 Teilen – Tellern, Terrinen und Körbchen. Das Service<br />
verkaufte die Fürstenberg Verkaufsniederlassung in<br />
Den Haag 1774 an einen holländischen Kunden. Sieben<br />
Maler hatten über ein Jahr lang die detailreichen Landschaften<br />
und Blumen-Arrangements auf das Porzellan<br />
gebannt, kein Motiv wiederholt sich.<br />
DER GERUCH VON PORZELLANMALFARBEN zieht von<br />
der angrenzenden Museumswerkstatt herüber. Der<br />
Raum erinnert mit seinem Parkett und seinen Maßen<br />
mehr an einen Tanzsaal als an eine Werkstatt. Was in der<br />
Produktion besonders wichtig ist, lässt sich hier erleben<br />
– das Formgeben und das Dekor des Porzellans. Mittig<br />
auf einem weißen Podest arbeiten zwei Porzelliner. Einer<br />
von ihnen gießt gerade Schlicker, flüssige Porzellanmasse,<br />
mit einem Messbecher in handliche Gipsformen. Mit<br />
der freien Hand dreht er eine der Formen auf einer<br />
Scheibe. So verteilt sich die Masse gleichmäßig an den<br />
Außenwänden, bilden sich keine Blasen, die später beim<br />
Brand zerplatzen. Überschüssige Masse gießt er zurück.<br />
Der Gips entzieht der Porzellanmasse Feuchtigkeit. Der<br />
Mitarbeiter öffnet behutsam die Form, nimmt eine wenige<br />
Zentimeter große gräuliche Maus heraus. Mit einem<br />
Pinsel glättet er die Kante, die dort entsteht, wo die<br />
Hälften der Form zusammentreffen. Dann muss das<br />
Mäuschen trocknen bis zum ersten Brand.<br />
NEBENAN ZEIGT MALERIN Dagmar Laske, wo die Manufaktur<br />
beim Dekor den Unterschied macht. Gerade<br />
hat sie mit geübtem Schwung einen Siebdruck mit<br />
kleinsten Punkten um eine Teekanne gelegt. Farbe werde<br />
zudem per Pistole aufgesprüht oder per Hand mit<br />
dem Pinsel aufgetragen. Bei manchem Teil folgen alle<br />
Techniken aufeinander, jede Schicht werde einzeln gebrannt.<br />
Viel Aufwand selbst für kleinste Teile.<br />
Laske weist auf eine Espresso-Tasse, deren Henkel per<br />
Hand vergoldet wurde. Ihre Leidenschaft ist jedoch die<br />
Porzellanmalerei. Zum Jubiläum habe sie eine besondere<br />
Vase bemalt, verrät die 55-Jährige. Ein Geschoss tiefer<br />
thront diese inmitten eines gedeckten Tisches. Bemalt in<br />
gedämpften Sepia- Tönen zeigt sie das alte Brennhaus,<br />
das Schloss und eine Pferdeskulptur. Zweieinhalb<br />
Monate habe sie daran gemalt, berichtet Laske mit freudigem<br />
Stolz.<br />
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