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Leve Lesers - Quickborn. Vereinigung für niederdeutsche Sprache ...

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Rezensionen – Böker<br />

Antipathien, ethische und religiöse Einstellungen<br />

und vieles mehr. Der Lebensweg<br />

einer Tante Grete in Langenhorn<br />

wird ebenso teilnehmend kommentiert<br />

wie das Romanwerk Fontanes,<br />

die Lebensbedingungen der Werftarbeiter<br />

in Kiel-Gaarden nicht weniger<br />

als die Metaphysik Kants. Warmherziges<br />

Lob von Verwandten, Freunden<br />

und Kollegen steht neben scharf pointierter<br />

Kritik an Autoritäten in Politik<br />

und Wissenschaft, z.B. dem großen Historiker<br />

und deutsch-nationalen Propagandisten<br />

Heinrich von Treitschke, von<br />

dem es heißt: Sein unbändiges Temperament<br />

machte ihn <strong>für</strong> historische Gerechtigkeit<br />

in einem ganz ungewöhnlichen<br />

Maße unfähig.(S.163) Vieles, was<br />

eine ausführliche Besprechung verdient,<br />

kann hier nur benannt werden:<br />

z.B. die Bemerkungen zur Entstehung<br />

und Wirkung seiner Hauptwerke: Geschichte<br />

des gelehrten Unterrichts<br />

(1885) – angesichts heutiger Bildungsdebatten<br />

wieder überraschend aktuell<br />

– System der Ethik (1889) – über Jahrzehnte<br />

eine Art Hausbuch <strong>für</strong> das gebildete<br />

Bürgertum – Einleitung in die<br />

Philosophie (1892) – ein Standardwerk,<br />

das bis 1930 nicht weniger als 42 Auflagen<br />

erlebte und in viele <strong>Sprache</strong>n<br />

übersetzt wurde – nicht zu reden von<br />

zahllosen Aufsätzen und Stellungnahmen<br />

zur Pädagogik, Ethik, Politik und<br />

Kultur. Dann der intensive Bezug zur<br />

Heimat, die als Potential und fraglos<br />

bejahte Realität ständig präsent ist und<br />

die er jedes Jahr von Berlin aus besucht.<br />

In dem Zusammenhang auch die stabile,<br />

aber nicht unkomplizierte Freundschaft<br />

mit Ferdinand Tönnies, dem Eiderstedter<br />

Bauernsohn und Pionier der<br />

deutschen Soziologie, der Paulsen<br />

40<br />

durch die Gemeinsamkeit heimatlicher<br />

Empfindungen verbunden war, aber<br />

hinter dessen akademischer Wirksamkeit<br />

so weit zurückblieb, wie er ihm an<br />

analytischer Denkkraft überlegen war.<br />

Paulsen rühmt an Tönnies die Energie<br />

und Schärfe des begrifflichen Denkens,<br />

(S. 247), macht ihm aber zugleich ein<br />

durchaus negatives Verhältnis zur gegebenen<br />

Welt zum Vorwurf (S. 290).<br />

Darin ist nun Paulsen entschieden der<br />

Gegentyp! Er kann von der gegebenen<br />

Welt offenbar gar nicht genug bekommen.<br />

Davon zeugt seine unstillbare<br />

Reiselust, die ihn kreuz und quer in alle<br />

deutschen Regionen zwischen Konstanz<br />

und Königsberg, Breslau und Bremen<br />

entfuhrt: Es wäre reizvoll, die zwei<br />

Kartenausschnitte von Nordfriesland<br />

und Groß-Berlin auf den Umschlagdeckeln<br />

noch durch eine Deutschlandkarte<br />

mit den Reiserouten Paulsens zu ergänzen.<br />

Die Autobiographie zeigt: ein<br />

historisch und kulturell umfassend<br />

Gebildeter erkundet sein Vaterland –<br />

wissend, wohin er fährt und warum,<br />

doch eben darum voll Neugier und<br />

immer zum Staunen bereit! Deutsche<br />

Reiseziele, aber auch Orte in Böhmen,<br />

Österreich und der Schweiz sind eindeutig<br />

dominant, Auslandsreisen<br />

vergleichsweise selten, mit Vorrang in<br />

nordseegermanische Länder wie England,<br />

Holland, Norwegen und Dänemark.<br />

Die Fortbewegung geschieht per<br />

Schiff und per Bahn, am liebsten aber<br />

per pedes, auf langen Fußmärschen<br />

und manchmal waghalsigen Klettertouren<br />

im Gebirge. Ein anderes Verkehrsmittel<br />

der Zukunft ist Paulsen<br />

durchaus suspekt: 1906 wird ihm ein<br />

Spaziergang an der Riviera durch<br />

Dreck und Staub aufwirbelnde Auto-<br />

22472<strong>Quickborn</strong>4-09-1.Korr. 40<br />

15.12.2009, 10:06 Uhr

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