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ELGA: Mehr Flop als top? - PrOgiParK

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lich ein Element der Perzeptions- und Rezeptionsästhetik.<br />

Diese Wahrnehmungsästhetiken sind von<br />

Anfang an subjektiv, personenbezogen, ein Element<br />

der Vielfalt, der Bewegung, des Wandels, der<br />

Halbfertigkeit und der permanenten Offenheit.<br />

Man könnte auch sagen: Wahrheiten auf Wanderschaft.<br />

Die Konzeptionsästhetik strebt nach Dauer, ewige<br />

Gültigkeit, gibt sich <strong>als</strong> absolut sicher, ist unduldsam<br />

und ausschließend. Künstlerurteile über<br />

Zeitgenossen grenzen oft ans Absurde. Ich bin<br />

der Meinung, dass diese Ausschließlichkeit im<br />

sogenannten Entwurfs- und Produktionsprozess<br />

notwendig ist. Ein Künstler, der alles toleriert,<br />

wird schwer überleben. Die sogenannte Rezeptionsästhetik<br />

wäre demnach eine der Bewertung,<br />

Einordnung, die in einem dauernden Prozess der<br />

Aufarbeitung entsteht und dementsprechend<br />

wandelbar ist. Ich dresche vermutlich auch hier<br />

altes Stroh, aber der Schreibende wird mit diesen<br />

unbequemen Gesetzen seine irritierenden Erfahrungen<br />

machen.<br />

Aber warum und für wen schreibt man denn eigentlich?<br />

Die Frage nach dem Warum ist schwer oder gar<br />

nicht zu beantworten. Dass gescheiterte Künstler,<br />

Studienabbrecher, et cetera Kritiker werden, daran<br />

mag etwas Wahres sein und soll auch in anderen<br />

Branchen vorkommen. Wenn sich Kunsthistoriker<br />

ins Baugewerbe verirren, kann es für die Architekturbetrachtung<br />

von Vorteil sein, weil sie<br />

meist ein größeres Beobachtungsfeld ins Spiel<br />

bringen, vorausgesetzt, dass sie Pläne lesen lernen,<br />

ihren Augen mehr vertrauen <strong>als</strong> den abrufbaren<br />

Texten. Man muss leider auch zur Kenntnis<br />

nehmen, dass die sogenannte „Intertextualität“<br />

mit entsprechendem Fachjargon immer mehr zunimmt,<br />

konkret, die Zunft widmet sich immer<br />

mehr den Texten statt den Kunstwerken/Bauten, ja<br />

sie schreiben immer mehr über Gebautes, das sie<br />

nie gesehen haben. Texte zu zitieren, die man nie<br />

gelesen hat, soll auch schon vorkommen.<br />

Ja, für wen schreibt man eigentlich?<br />

Ich behaupte einmal, sicher nicht für Architekten.<br />

Ich kenne unter den Architekten sehr wenige wirkliche<br />

Leser, und wenn, dann sind es meistens solche,<br />

die wenig oder nichts zum Bauen haben. Zugegeben,<br />

das Entwerfen und Bauen ist ein selbstausbeuterischer<br />

Beruf, der keine oder wenige Freiräume<br />

kennt. Der Architekt lebt in einer<br />

substanzraubenden Wirklichkeit. Ihm muss kein<br />

Schreiberling erklären, wie es in der Bauwirklichkeit<br />

zugeht. Wozu soll dann eigentlich ein Architekt<br />

lesen? Seine Erfahrungen holt er sich von Gebautem<br />

oder vom publizierten Gebauten. Zeitschriften sind<br />

Artikelfriedhöfe, die kaum gelesen werden. Das Interesse<br />

liegt entweder an Information über Neues<br />

Paul-WatzlaWick-EhrEnring dEr ÄrztEkammEr für WiEn 2011<br />

oder darin, ob man vorkommt, wie umfangreich<br />

die Texte und wie groß die Abbildungen sind. Das<br />

ist die Wirklichkeit. Die wahrnehmbare natürlich.<br />

Ich erinnere mich an eine Pressekonferenz in den<br />

1960er-Jahren der Zentralvereinigung der ArchitektInnen<br />

Österreichs, bei der die Wiener Zeitungen<br />

aufgefordert wurden, mehr, oder überhaupt,<br />

über Architektur zu schreiben. Dabei sagte<br />

ein Sprecher des Vereins: „Was ihr schreibt’s, ist<br />

wurscht, Hauptsache vü.“<br />

Drei Medien der Architekturdarstellung<br />

Ich möchte noch kurz von der Beziehung von drei<br />

Medien in der Architekturdarstellung oder, vielleicht<br />

besser, ihren Erscheinungsformen sprechen:<br />

von der Zeichnung, eingeschlossen Skizze,<br />

Entwurf, Plan, Modell und bildliche Darstellungen),<br />

dem Bau selbst – der sich von der Idealform<br />

weit entfernen kann – und schließlich dem Kommentar,<br />

<strong>als</strong>o die gesamten verbalen Erscheinungsformen<br />

der kulturellen Präsenz der Architektur.<br />

Keines dieser Medien allein kann die Architektur<br />

in ihrer Gesamtheit darstellen und damit sichern.<br />

Sie werden sich darüber wundern, dass ich auch<br />

den Bau selbst, die eigentliche „Architektur“, nur<br />

zu ihren Erscheinungsformen zähle. Der Bau ist,<br />

was das Überleben betrifft, das sensibelste und<br />

vergänglichste Element dieser Trinität von Darstellung,<br />

Sprache und materialer Verwirklichung.<br />

Die bildliche Darstellung, in welcher Form immer,<br />

dokumentiert meist eine Idealform, die im Bau<br />

nie, oder ganz selten, erreicht wird. Der Bau<br />

selbst kann sich von seiner Idealform weit entfernen,<br />

sie nie erreichen, und beginnt in seiner substanziellen<br />

Existenz durch Nutzung, Alterung, Veränderung,<br />

et cetera einen Verfallsprozess. Der<br />

Kommentar kann sich durch historische Positionierung,<br />

Beschreibung, ästhetische „Verortung“<br />

an der Erhaltung der ursprünglichen Vollkommenheit<br />

beteiligen und so auch den Artefakt konservieren.<br />

Überleben kann eigentlich die Architektur<br />

nur in der Verbindung all dieser drei Komponenten.<br />

Architektur ist <strong>als</strong>o nicht nur das Gebaute<br />

allein, und am wenigsten überdauert sie in<br />

ihrer physischen Existenz.<br />

Noch einmal zurück zu den Objekten und zu einer<br />

scheinbar solideren Ebene der Sprache: Seit jeher<br />

ist der Handwerker ein Vertrauter des Architekten,<br />

und, wie gesagt, <strong>als</strong> Beispiel gut herzunehmen.<br />

Sein Denken ist schlicht, seine Kenntnisse sind solide,<br />

seine Sprache ist unbestechlich und an eine<br />

Dingwelt gebunden. Ob wir ihn heute noch <strong>als</strong> einen<br />

Garanten für eine sprachlich heile Welt ansehen<br />

können, ist eine Frage. Ich benutze noch einmal<br />

seine Figur des Tischlers, und sei es für einen<br />

Abgesang. Denn seine Sprache ist die einer fast<br />

vergangenen Arbeitswelt.<br />

Wahrscheinlich wird die Zahl der Tischler, die<br />

noch Tische bauen können, immer geringer. Sie<br />

reden, wenn sie es überhaupt nötig haben, über<br />

Holzarten oder Holzverbindungen, über die Stabilisierung<br />

der Bauteile, es geht auch um Werkzeuge.<br />

Aber vermutlich müssen Tischler über<br />

Tische gar nicht reden. Kritisch wird es erst, wenn<br />

sich andere Interessen einmischen. Wenn Architekten<br />

oder Designer dem Tischler erklären, was<br />

ein Tisch ist oder sein soll. Kein Tischler würde in<br />

seinem Milieu einen Tisch in Frage stellen, es sei<br />

denn, er ist ein Kunsttischler, Restaurator oder gar<br />

ein Fälscher. Jede Kultur, jede Gesellschaft hatte<br />

ihre Tische – und die Tischler, die sie verdiente.<br />

Die Sprache wird erst herausgefordert, wenn es<br />

um Mängel oder Missverständnisse geht.<br />

Ich lese zum Schluss einen kurzen Text aus dem<br />

Band „und oder oder und“ in der Sprache eines<br />

Tischlers. Ich hoffe, damit meinen H<strong>als</strong> aus den<br />

philosophischen Schlingen des Paul Watzlawicks<br />

zu ziehen:<br />

„federieren<br />

der tisch wackelt nicht, herr architekt, der federiert.<br />

damit war nicht nur klargestellt, wer der<br />

meister und fachmann war, sondern dass sich in<br />

einem einfachen tisch zwei weltzustände manifestieren<br />

können: der einfache mechanische defekt,<br />

den ein tischler nie zulassen würde, und ein<br />

höheres prinzip der baukunst, das elastische<br />

schwingen, das prinzip des nachgebens und des<br />

sanften widerstands, das im schwingen des<br />

schilfs oder der weide, ja in jedem baum unübertroffen<br />

zum ausdruck kommt: eben das federieren.<br />

ich war beschämt und wollte möglichst<br />

elegant den h<strong>als</strong> aus der schlinge ziehen: aber<br />

meister, sagte ich ein wenig überheblich, das wackeln<br />

ist doch an sich nichts schlechtes, schließlich<br />

gibt es den berühmten wackelstein, und<br />

deswegen fahren sogar die wiener ins waldviertel.<br />

ja, antwortete er prompt, aber sicher keine<br />

tischler.“ �<br />

Zur Person<br />

Friedrich Achleitner war fünf Jahre lang in Zusammenarbeit<br />

mit Johann Georg Gsteu <strong>als</strong> freischaffender<br />

Architekt tätig. Seit 1958 ist er freier<br />

Schriftsteller. Seine Werke, Montagen, Dialektgedichte,<br />

der „quadratroman“ und die später erschienenen<br />

Kurzprosatexte gehören zu den bedeutendsten<br />

der österreichischen Moderne. Friedrich<br />

Achleitner schloss Ende 2010 den Österreichischen<br />

Architekturführer mit den drei Bänden<br />

zu Wien ab, ein Opus magnum, das auf ungeteilte<br />

Bewunderung stieß.<br />

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