ELGA: Mehr Flop als top? - PrOgiParK
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Paul-WatzlaWick-EhrEnring dEr ÄrztEkammEr für WiEn 2011<br />
nicht nur Historiker, sondern ein gar nicht so unbedeutender<br />
Stadtforscher. Er wusste auch, dass<br />
die Strudlhofstiege gar kein besonderes Bauwerk<br />
ist, das einen Romantitel verdiente. Aber der Name<br />
garantierte eine gewisse Aufmerksamkeit. Strudl<br />
ist ein mehrfach kodierter, mit Wien verbundener<br />
Begriff, wenn auch der Namensgeber ein Tiroler<br />
Maler und Bildhauer aus der Leopoldinischen Zeit<br />
war. Also war die Rolle der Stiege eine literarische,<br />
sicher keine architektonische.<br />
An anderen Stellen des Romans gibt es Bemerkungen<br />
zu Wien, die Doderer nicht nur <strong>als</strong> einen<br />
„Fremdgänger“ mit den Augen eines Entdeckers<br />
ausweisen, sondern eben <strong>als</strong> intimen Kenner der<br />
Topografie und Geschichte der Stadt. Zitat: „Mary<br />
war beim Teetisch gesessen, den Blick draußen in<br />
der kaum beginnenden Dämmerung eines Nachsommerabends.<br />
Man sah hier eine Gasse entlang<br />
und dann über den Donaukanal (der kein Kanal<br />
ist, sondern ein erheblicher, breiter und tiefer,<br />
rasch fließender Teil des Stromes).“<br />
In diesem Halbsatz ist ein Wiener Trauma verpackt,<br />
dass seit der großen Donauregulierung<br />
1873 angeblich Wien nicht mehr an der Donau<br />
liegt, sondern eben an einem Kanal. Dabei handelt<br />
es sich nur um ein Problem der Benennung, der<br />
semantischen Kodierung. Hätte man den „erheblichen,<br />
breiten und tiefen, rasch fließenden Teil<br />
des Stromes“ nicht Kanal, sondern von Anfang an<br />
Innere Donau genannt, wären die Wiener nicht<br />
dem Irrtum aufgesessen, dass ihre Stadt nicht<br />
mehr an der Donau liegt.<br />
Weil es so schön ist, noch ein anderes Beispiel<br />
von Doderer, das uns von der Beschreibung wegführt.<br />
Zitat: „Ohne weiteres ist klar, daß die K.‘sche<br />
Wohnung denselben Grundriss haben mußte, wie<br />
die darunter liegende Siebenschein‘sche: alle<br />
Räume lagen in einer Achse – vier große und ein<br />
kleiner Raum, was keinen üblen Prospekt abgab<br />
–, bis auf das besonders ausgedehnte Schlafzimmer<br />
(bei Siebenscheins Gesellschaftsraum) und<br />
ein Kabinett von bescheidenen Maßen (unten des<br />
Doktors Arbeitszimmer). Die K.‘sche Wohnung<br />
war <strong>als</strong>o sehr groß ... denn unten hatte der Doktor<br />
Siebenschein ja auch sein Rechtsanwaltsbüro<br />
samt Wartezimmer untergebracht.“<br />
Hier beschreibt Doderer keinen Ort, sondern<br />
skizziert ein System, ja eine ganze Soziologie der<br />
gehobenen Gründerzeitwohnung, das Thema der<br />
Variabilität und Multifunktionalität, das Generationen<br />
von Architekten zu komplizierten theoretischen<br />
Abhandlungen verführt hat und das etwa<br />
ein Adolf Behne <strong>als</strong> rationalistisches Konzept gegenüber<br />
einem funktionalistischen – das die Form<br />
der Räume an Funktionen bindet – bevorzugte.<br />
Das Ganze wird in ein paar Sätzen, mit zwei Familiennamen<br />
und einigen Nutzungen, abgehandelt<br />
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und, wie es zumindest erscheint, erschöpfend.<br />
Die scharfe Analyse hüllt sich in das Kleid einer<br />
biederen Feststellung, der Erzähler ist ein verkappter<br />
Wissender, er ist Fremdgänger im System<br />
Stadt, der durch Distanz, den Blick von außen, zur<br />
Kenntnis einer Sache vorgedrungen ist.<br />
Ehrenrettung der Beschreibung?<br />
Es gibt im Zusammenhang mit Bauen und Architektur<br />
eine Form der Beschreibung, die einigen<br />
Anspruch auf Wirklichkeitsnähe hat: Das ist die<br />
Ausschreibung, <strong>als</strong>o eine Beschreibung aller Leistungen,<br />
die mit der Herstellung eines Bauwerks zu<br />
tun haben und die auch schließlich die Grundlage<br />
für die Kalkulation, <strong>als</strong>o für die Kosten der Herstellung,<br />
bilden. Gerade aber diese an kaum überbietbarer<br />
Perfektion grenzende Form der Beschreibung<br />
hat am allerwenigsten mit Architektur,<br />
der kulturellen oder gar künstlerischen Bedeutung<br />
eines Bauwerks zu tun; schon gar nichts mit<br />
ästhetischer Wirkung, Atmosphäre, Aura oder<br />
kultureller Positionierung.<br />
Diese Art technischer Perfektion schließt alle anderen<br />
Eigenschaften aus. Das ist der Punkt, an dem<br />
sich die Beschreibung selbst desavouiert. Hier unterliegt<br />
sie einem eindeutigen, gefesselten Interesse,<br />
einem Zweck, um eine in diesem Zusammenhang<br />
immer noch beliebte Vokabel zu verwenden.<br />
Sie bemerken: Der Begriff der Beschreibung beginnt<br />
sich aufzulösen. In Zusammenhang mit Architektur<br />
muss das Sehbare sichtbar gemacht<br />
werden. Das schafft die Beschreibung allein – und<br />
sei sie noch so genau – nie.<br />
Um die Verwirrung noch perfekter zu machen, ein<br />
paar willkürliche Behauptungen, Vermutungen in<br />
wilder Reihenfolge:<br />
Jede Beschreibung ist ein Schöpfungsakt, sicher<br />
ein fragwürdiger, fehlerhafter, unvollständiger,<br />
vielfach in die Irre führender, aber ein Schöpfungsakt.<br />
Der Gegenstand entsteht neu erst in der Beschreibung.<br />
Selbstbewusste Schöpfer, vor allem Künstler, sehen<br />
in dem verhängnisvollen Wort, zumindest seit<br />
der Romantik, eine Art Teilnahme an der Schöpfung,<br />
Gottnähe, und für die Kritiker reicht der<br />
Papst.<br />
Beschreibungen sind <strong>als</strong>o individuelle Leistungen.<br />
Ihnen liegt ein fokussiertes Interesse zugrunde,<br />
die sogenannte selektive Wahrnehmung. Es ist<br />
einfach ein Unterschied, ob ein Bauer, Jäger, Wilderer,<br />
Förster, Holzhändler, Geigenbauer oder ein<br />
romantischer Maler einen Wald beurteilen. Jeder<br />
sieht etwas anderes.<br />
Ich könnte mir vorstellen, dass Paul Watzlawick<br />
eine Versuchsreihe mit diesem „selektiven Blick“<br />
gemacht hätte – vielleicht hat er sie sogar –, dass<br />
er verschiedene Versuchspersonen mit unterschiedlichem<br />
Blick durch eine Stadt gehen und<br />
ihre Eindrücke beschreiben ließ. Soweit ich mich<br />
erinnere, hat 1960 Kevin Lynch Versuche in dieser<br />
Richtung im Zusammenhang mit architektonischer<br />
Stadtwahrnehmung gemacht. Vermutlich waren<br />
die Versuchspersonen Architekturstudenten, jedenfalls<br />
auf Bilder, Zeichen, ästhetische Wahrnehmung<br />
fokussierte Personen. Interessant wären<br />
aber Obdachlose, Polizisten, Einbrecher, Touristen,<br />
Rauchfangkehrer, Gourmets, Straßenkehrer,<br />
et cetera. Daraus könnte man vermutlich auch<br />
schließen, dass auf Beschreibungen nur im Besonderen,<br />
aber nicht im Allgemeinen, ein Verlass ist.<br />
Das heißt, dass jede einzelne mit anderen Interessen<br />
in Konflikt geraten muss. Anders gesagt: Jede<br />
Beschreibung schafft nur jeweils einen ganz kleinen<br />
Ausschnitt von wahrnehmbarer Wirklichkeit<br />
und bedarf der einfühlenden Nachsicht.<br />
Ich muss jetzt zugeben, dass ich mich in den unzähligen<br />
Möglichkeiten der Beschreibung verheddert<br />
habe. Der Titel des Vortrags lautet aber „Von<br />
der Unmöglichkeit, über Architektur zu schreiben?“<br />
Als Frage eine sogenannte No-na-Behauptung:<br />
Jeder (jede) kann über Architektur schreiben,<br />
aber ...?<br />
Zusätzlich ist mir die lebenslange Beschäftigung<br />
mit Objekten auf den Kopf gefallen. Architektur,<br />
auch das ist eine Binsenwahrheit, besteht ja nicht<br />
nur aus Objekten. Ja, es gab eine Zeit, da hat man<br />
nur mehr von soziologischen Fragen, urbanen Zusammenhängen,<br />
Strukturen, Typologien und Zeichen<br />
gesprochen – wichtige Erweiterungen der<br />
Beobachtungsfelder. Man kann sich darüber verständigen,<br />
dass die beste, ja einzige, Architekturwahrnehmung<br />
die unmittelbare Anschauung ist.<br />
Dieses Anschauen, ja Erleben, mit allen Sinnen<br />
muss aber mit Informationen genährt und unterstützt<br />
werden. Deshalb sind die leersten, fadesten,<br />
unbefriedigendsten und unnötigsten Architekturtexte<br />
ausschließliche Beschreibungen.<br />
Paul Watzlawick verweist auf Bertrand Russel, der<br />
daran erinnert, dass ein Fehler der Wissenschaft<br />
darin liege, „zwei Sprachen zu vermengen, die<br />
streng voneinander getrennt sein müssten. Nämlich<br />
die Sprache, die sich auf Objekte bezieht, und<br />
die, die sich auf Beziehungen bezieht“.<br />
Wahrscheinlich kann man im Hinblick auf Architektur<br />
diese beiden Sprachen überhaupt nicht trennen.<br />
Das Schlamassel entsteht <strong>als</strong>o im Gemenge.<br />
Wirklichkeit – ein paar Zwischenrufe<br />
Ich neige dazu, Wirklichkeit – unabhängig von<br />
unseren subjektiven Wahrnehmungen, die ja die<br />
eigentlich interessanteren sind – <strong>als</strong> real anzuerkennen.<br />
Wenn ein Philosoph gegen einen Baum<br />
fährt, kann man vermutlich nachher nicht mehr