ELGA: Mehr Flop als top? - PrOgiParK
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Dam<strong>als</strong> gab es auch das Modewort gfäud. Alles Interesse<br />
galt dem Gfäuden, ob Personen, Lokalen,<br />
Orten oder Gegenständen. Ich habe den surrealen<br />
Hintergrund dieses Worts nie ganz begriffen. Für<br />
mich handelte es sich um eine Mischung von verfault<br />
und verfehlt. Wir waren permanent auf der<br />
Suche nach „Gfäudem“. H. C. Artmann war ein<br />
Spezialist für gfäude Orte in der Stadt. Unorte, die<br />
einmal Stadt waren oder erst, meist an der Peripherie,<br />
werden sollten. Brachen, die warteten und<br />
noch keine Zukunft hatten. Die bemalten Holz-<br />
tafeln der Ruine eines verlassenen Ringelspiels<br />
lieferten sogar die Bilder für den Buchdeckel von<br />
„med ana schwoazzn dintn“. Mir wurde erst viel<br />
später klar, dass dies nicht nur Exkursionen ins<br />
Sonderliche, Abgründige einer Stadt waren, sondern<br />
auch Wanderungen ins Unbeschreibbare.<br />
Die Beschreibung wurde durch das Atmosphärische,<br />
eben die Poesie, ersetzt.<br />
Beschreibung und Zweifel<br />
In diesem Vorspann stecken viele Fragen, die ich<br />
nie gestellt habe und sicher nie beantworten<br />
könnte. Ich probiere es zuerst mit einer vermutlich<br />
sehr alten Behauptung: Der perfekte Gegenstand<br />
ist der unbeschriebene Gegenstand. Jede<br />
Beschreibung nimmt dem Gegenstand etwas weg<br />
beziehungsweise erreicht ihn nur <strong>als</strong> Fragment.<br />
Und, paradox genug, umgekehrt: Die Beschreibung<br />
deckt den Gegenstand teilweise oder schließlich<br />
ganz zu. Die totale Beschreibung, so es sie<br />
überhaupt gibt, bringt den Gegenstand zum verschwinden.<br />
Die Beschreibung nimmt dem Gegenstand<br />
<strong>als</strong>o nicht nur etwas weg, sondern fügt auch<br />
etwas hinzu. Die Wahrnehmung und der Vorgang<br />
der Beschreibung schaffen einen neuen Gegenstand,<br />
eben den beschriebenen Gegenstand, in<br />
dem sich der ursprüngliche, der wirkliche, versteckt<br />
oder verflüchtigt hat.<br />
Die Beschreibung ist nicht die eigentliche Funktion<br />
der Sprache. Die Sprachen entwickelten sich im<br />
Umgang mit der sogenannten Wirklichkeit. Man<br />
brauchte Namen für die Dinge, um darüber reden<br />
zu können. Voraussetzung jeder Kommunikation<br />
war die Kenntnis der gleichen Dinge, die gleichen<br />
Erfahrungen mit ihnen, der gleiche Wissensstand.<br />
Die sinnlichen Grunderfahrungen wie Licht und<br />
Finsternis, Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit,<br />
Hunger und Durst oder Farben musste<br />
man nicht beschreiben. Das darüber Reden setzte<br />
erst ab einer zweiten Ebene ein: die Differenzierung<br />
durch Vergleich, Abweichungen, et cetera.<br />
„Beschreib mir das Aroma des Kaffees“: Diese<br />
Aufforderung ist vielleicht eine Falle. Jeder, der einen<br />
Kaffee getrunken hat – vorausgesetzt es war<br />
einer –, kennt das Aroma. Die Sprache darüber<br />
beginnt erst bei den Kaffeekennern, bei den Händ-<br />
Paul-WatzlaWick-EhrEnring dEr ÄrztEkammEr für WiEn 2011<br />
lern und Röstern. Die Sprache wird erst aktiv in<br />
der Differenzierung, in der Feststellung von Unterschieden,<br />
Qualitäten, Preisen. Oder in den verschiedenen<br />
Formen der Verarbeitung und der<br />
Aufbereitung. Eine Kaffeehauskultur entwickelt<br />
ihre eigene Sprache, und diese verlangt nicht die<br />
Beschreibung des Aromas des Kaffees an sich.<br />
Ich gehöre, nach Otto Antonia Graf, zu den Wiener<br />
Diapositivisten. Ich vermute, dass die Fotografie<br />
mehr über sich selbst aussagt <strong>als</strong> über den abgebildeten<br />
Gegenstand. Trotzdem vermag sie andererseits,<br />
in Sekundenschnelle visuell viel mehr<br />
und anderes zu vermitteln, <strong>als</strong> die Sprache. Die<br />
Sprache ist ein langsames, zeitraubendes Medi-<br />
um. Eine besondere Qualität der Vermittlung entsteht<br />
dann, wenn derjenige, der über einen Gegenstand,<br />
oder ein Gebäude, spricht, zusätzlich<br />
Fotos verwendet, die er selbst gemacht, <strong>als</strong>o schon<br />
mit einer bestimmten Absicht fotografiert hat. Der<br />
Diapositivist erzeugt schon eine fokussierte, präparierte<br />
Wirklichkeit, besser: eine selektive Wahrnehmung<br />
von Wirklichkeit, die im Kommentar<br />
durch das Medium der Sprache ergänzt wird. Man<br />
könnte auch von einer besonderen Informations-<br />
oder Kommunikationsstrategie sprechen, nach<br />
Wittgenstein wäre das dann eine Kombination von<br />
Vorzeigen und Sprechen, von visueller Wirklichkeit<br />
und Kommentar.<br />
Thomas Bernhard, den ich nicht gern zitiere, hat<br />
einmal behauptet, dass man alles, was man sieht,<br />
nicht beschreiben muss. Das klingt plausibel, ist<br />
aber ein Irrtum. Denn nicht alles Sichtbare wird<br />
gesehen. Und eine Beschreibung kann ein Instrument<br />
des sichtbar Machens sein, ein Zwang zum<br />
genauen Hinschauen. Ich glaube, Goethe hat einmal<br />
behauptet, „man sieht nur, was man weiß“.<br />
Damit kann man leben.<br />
Vom Schreiben über Architektur<br />
Was heißt überhaupt beschreiben? Was ist beschreibbar?<br />
Wird Beschreibung nicht überbewertet?<br />
Ich hege den Verdacht, dass eine gute Beschreibung<br />
auch ohne Beschreibung auskommt. Da ich<br />
kein Philosoph bin, kann ich hier passen. Aber<br />
ich erlaube mir daran herumzunörgeln. Können<br />
nicht gerade die Voraussetzungen für eine Beschreibung<br />
nicht beschrieben werden, sozusagen<br />
die Grundprodukte – elementare Sinneswahrnehmungen<br />
wie Geruch, Temperatur, Licht, Farben,<br />
Feuchtigkeit, Aggregatzustände, et cetera?<br />
Karl Valentins „dreißig Zentimeter gelb“ bringt<br />
Friedrich Achleitner: Am 14. März 2011 hielt der österreichische Architekturexperte, Schriftsteller und Polyhistor<br />
im Rahmen der „Wiener Vorlesungen“ im Kuppelsaal der Technischen Universität in Wien einen viel beachteten<br />
Vortrag zum Thema „Von der Unmöglichkeit, über Architektur zu schreiben?“<br />
mit drei Worten das Problem auf den Punkt. Es<br />
geht vermutlich gar nicht um die Beschreibung<br />
des Unbeschreibbaren. Über Architektur zu<br />
schreiben heißt nicht, Architektur zu beschreiben,<br />
man schreibt eben über, und das betrifft<br />
nicht nur das Sichtbare.<br />
Ich konnte einmal bei einer kleinen Auftragsarbeit<br />
eine interessante Entdeckung machen: Die<br />
Berliner Heimito-von-Doderer-Gesellschaft bat<br />
mich, über die Strudlhofstiege, genauer, über ihr<br />
Vorkommen im Roman, einen Vortrag zu halten.<br />
Man hat mir sogar, mit Hilfe der segensreichen<br />
Computer-Suchprogramme, alle Seiten des Textes<br />
gemailt, auf denen das Wort Strudlhofstiege vorkommt.<br />
Meine Überraschung war groß, die Stiege<br />
wurde an keiner Stelle wirklich beschrieben, sie<br />
kam nur <strong>als</strong> Hintergrund oder Bühne für Begegnungen<br />
der Figuren vor, und wenn Details beschrieben<br />
oder erwähnt wurden, dann beiläufig<br />
oder sogar f<strong>als</strong>ch.<br />
Doderer setzte voraus, dass man die Stiege kennt<br />
oder sie aufsucht. Ich wage hier eine boshafte Unterstellung:<br />
Der Baumeistersohn Doderer war<br />
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