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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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e u r o p ä i S c H e in t e g r a t i o n – j u d i k at i V e u n d l e g i S l a t i V e po l i t i k 109<br />

das Recht auf den vorliegenden Fall angepasst werden, wodurch Richterrecht<br />

entsteht. Notwendigerweise ist dieses fallbezogen, da Gerichte nicht legitimiert<br />

sind, darüber hinaus Recht zu setzen. <strong>Die</strong> Legitimation von Richterrecht ist<br />

stark an seinen inkrementellen Charakter gebunden. Typischerweise stützt sich<br />

Rechtsfortbildung auf eine Reihe von Urteilen, in denen neue Rechtsgrundsätze<br />

zunächst sehr undeutlich enthalten sind. <strong>Die</strong>s erlaubt es dem Gerichtshof,<br />

die Reaktion nationaler Gerichte, juristischer Kommentatoren sowie <strong>der</strong> Politik<br />

kennenzulernen und seine Rechtsprechung gegebenenfalls zu modifizieren<br />

(Bleckmann 1983: 81).<br />

<strong>Die</strong> Unbestimmtheit im Urteil erlaubt dem Gerichtshof einen schrittweisen Ausbau richterrechtlicher<br />

Institute in enger Rückkopplung an die zentralen Instanzen <strong>der</strong> nationalen Rechtssysteme,<br />

ohne in die Verlegenheit von mehrfachen Kurswechseln zu geraten, welche die Konsistenz<br />

des Rechtssystems erheblich beeinträchtigen könnten. (Bogdandy 1995: 25)<br />

Wie Garrett et al. zeigen, ist <strong>der</strong> EuGH umso weniger empfänglich für politischen<br />

Druck, umso etablierter seine Rechtsprechung ist (Garrett/Kelemen/<br />

Schulz 1998). Angesichts seiner ungesicherten Legitimation und des Angewiesenseins<br />

auf die freiwillige Befolgung seiner Urteile muss <strong>der</strong> EuGH die Priorität<br />

auf eine konsistente Rechtsprechung legen, da er sonst in die Gefahr gerät,<br />

als politisch urteilen<strong>der</strong> Akteur zu erscheinen. Da ihm für politische Einflussnahme<br />

die Legitimation fehlt, würde er damit seine Autorität untergraben. 7<br />

Zwei Spezifika <strong>der</strong> EU verstärken das allgemeine Merkmal von Rechtsunsicherheit<br />

durch Richterrecht: zum einen die häufigen politischen Formelkompromisse<br />

und zum an<strong>der</strong>en die Überformung unterschiedlicher nationaler<br />

Rechtsrahmen durch Europarecht. Aufgrund <strong>der</strong> häufigen Formelkompromisse<br />

sowie lückenhafter und unvollkommener Rechtsakte besteht im <strong>europäischen</strong><br />

Kontext ein verhältnismäßig großer Bedarf an Richterrecht (Everling 2000:<br />

221). Aufgrund <strong>der</strong> Justizgewährungspflicht müssen Gerichte urteilen, wenn sie<br />

angerufen werden. Gibt <strong>der</strong> anzuwendende Rechtsakt keine eindeutige Antwort<br />

auf die Frage, zum Beispiel, weil es sich um einen Formelkompromiss handelt,<br />

muss <strong>der</strong> Gerichtshof ihn in die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung interpretieren. Keeling<br />

macht das für den EuGH bestehende Dilemma am Beispiel <strong>der</strong> Warenverkehrsfreiheit<br />

(alt Art. 30 bzw. 36, neu Art. 28 EGV bzw. 30 EGV) deutlich:<br />

The bulk of the task was, however, left to the Court. It was the Court that had to determine<br />

the scope of the prohibition decreed by Article 30. It was the Court that had to decide in what<br />

circumstances a measure caught by Article 30 was justified on the grounds set out in Article<br />

36. … The expression »creative jurisprudence«, which is often used in mock disparagement<br />

of courts that give non-obvious answers to questions for which there is no obvious answer,<br />

is especially absurd in this context; for whatever the Court did with such scant material, its<br />

jurisprudence was bound to be creative. (Keeling 1998: 512)<br />

7 Ich danke Fritz Scharpf für diesen Hinweis.

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