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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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312 S t e f f e n ga n g H o f u n d pH i l i p p ge n S c H e l<br />

gen. Ergebnis: Der Markt gewinnt, die Politik verliert an Einfluss. Der <strong>Integration</strong>sprozess<br />

hat einen liberalen Drall.<br />

Viele Sozialwissenschaftler halten diese Diagnose heute für übertrieben.<br />

Auch im vollendeten Binnenmarkt spiele <strong>der</strong> Systemwettbewerb kaum eine Rolle.<br />

Empirisch gebe es keine Hinweise für ein regulatives »race to the bottom«<br />

(Mo ravcsik 2002; Radaelli 2004; Majone 2005; Schmidt 2007). Im Gegenteil, oft<br />

führe die Marktintegration sogar zu einer Anhebung des Regulierungsniveaus.<br />

Von einer allgemeinen Deregulierung könne keine Rede sein (zum Beispiel Vogel<br />

2001; Holzinger/Knill 2004). Auch von einer fiskalischen Implosion des<br />

Wohlfahrtsstaates ist wenig zu sehen. <strong>Die</strong> Abgabenquoten <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

verharren seit zwanzig Jahren auf historisch sehr hohem Niveau. Dramatische<br />

Erosionserscheinungen gibt es bislang nicht (Seils 2007).<br />

Emblematisch für diesen neuen Konsens ist James Carporasos und Sydney<br />

Tarrows Kritik an <strong>der</strong> Scharpf ’schen Asymmetriethese (Caporaso/Tarrow<br />

2008). <strong>Die</strong> These unterstelle, so behaupten sie, ein Maß an Entkoppelbarkeit von<br />

marktschaffenden und marktkorrigierenden Politiken, das praktisch nie gegeben<br />

sei. »Reine« Liberalisierung sei so gut wie unmöglich, weil »mehr Markt« in <strong>der</strong><br />

Regel nur durch »mehr Marktkorrektur« sozial erträglich und mithin politisch<br />

möglich sei. <strong>Die</strong>s gelte auch für den Europäischen Binnenmarkt, dessen Konstitutionsregeln,<br />

wie sich etwa an <strong>der</strong> Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes<br />

(EuGH) zur Arbeitsmobilität zeigen lasse, keineswegs ausschließlich auf<br />

Marktschaffung fixiert seien, son<strong>der</strong>n sozialen Erwägungen erhebliches Gewicht<br />

einräumten. Es sei deshalb falsch, von einem Ungleichgewicht zwischen<br />

positiver und negativer <strong>Integration</strong> zu sprechen, denn in <strong>der</strong> Regel produzierten<br />

die EU-Institutionen beides uno actu. <strong>Die</strong> soziale Dimension <strong>der</strong> <strong>Integration</strong> sei<br />

bereits »da«, wenn auch oftmals in wenig auffälliger und deshalb leicht übersehener<br />

Gestalt (ähnlich auch Joerges/Braams/Everson 2007:3).<br />

In diesem Papier zeigen wir am Beispiel <strong>der</strong> persönlichen Einkommensteuer,<br />

dass die Scharpf ’sche Asymmetrie-Vermutung mehr für sich hat, als Carporaso<br />

und Tarrow ihr zugestehen wollen. <strong>Die</strong> persönliche Einkommensteuer ist<br />

eine zentrale Säule marktkorrigieren<strong>der</strong> Politik im nationalen Wohlfahrtsstaat:<br />

Sie bildet eine wesentliche Finanzierungsquelle für sozial- und wirtschaftspolitische<br />

Ausgabenprogramme, spielt aufgrund ihrer progressiven Tarifstruktur<br />

selbst eine wichtige Rolle als Umverteilungsinstrument und dient vielfältigen<br />

Steuerungszielen von <strong>der</strong> Beschäftigungs- über die Familien- bis hin zur Wohnungsbau-<br />

und Sparför<strong>der</strong>ung. <strong>Die</strong> Vollendung des Binnenmarktes unterminiert<br />

die Tragfähigkeit dieser Säule. <strong>Die</strong> Einkommensbesteuerung gerät unter erheblichen<br />

indirekten Wettbewerbsdruck und verliert an Brauchbarkeit für marktkorrigierende<br />

Politikziele. <strong>Die</strong> Ursachen und Wirkungen dieses Wettbewerbsdrucks<br />

werden aber bisher we<strong>der</strong> politisch reflektiert, geschweige denn reguliert. Nicht

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