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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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e u r o p ä i S c H e in t e g r a t i o n – j u d i k at i V e u n d l e g i S l a t i V e po l i t i k 113<br />

Kurz nachdem die Kommission Anfang <strong>der</strong> Neunzigerjahre konkrete Pläne<br />

für die Liberalisierung <strong>der</strong> Elektrizitäts- und Gassysteme entwarf, initiierte sie<br />

1991 Vertragsverletzungsverfahren gegen die bestehenden Ein- und Ausfuhrmonopole<br />

für Elektrizität und Gas in zehn Mitgliedstaaten (Slot 1994: 525). Als politisch<br />

kontroverse Fälle wurden die Verfahren nur langsam verfolgt und erst 1994<br />

beim EuGH eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch fünf Mitgliedstaaten<br />

betroffen (Spanien, Frankreich, Italien, Irland und die Nie<strong>der</strong>lande), da<br />

an<strong>der</strong>e Mitgliedstaaten die Beschuldigungen <strong>der</strong> Kommission hatten zurückweisen<br />

können o<strong>der</strong> ihre nationale Situation an die For<strong>der</strong>ungen angepasst hatten.<br />

<strong>Die</strong> Mitgliedstaaten wurden durch diese Verfahren erheblich unter Druck<br />

gesetzt, obwohl die Aufhebung <strong>der</strong> Ein- und Ausfuhrmonopole an den bestehenden<br />

Energieversorgungsmonopolen in den Mitgliedstaaten wenig geän<strong>der</strong>t<br />

hätte. Aber als erste Anwendung des Vertrages auf die nationalen Energieversorgungsmonopole<br />

machten die Fälle deutlich, dass anstelle einer gesteuerten<br />

Elektrizitätsliberalisierung auch eine ungesteuerte Liberalisierung über den<br />

Gerichtshof erfolgen konnte. Implizit wurde also mit vom EuGH gesetztem<br />

Richterrecht gedroht. Angesichts dieser Gefahr entschloss sich Frankreich, seine<br />

vorherige Position <strong>der</strong> strikten Opposition aufzugeben und im Ministerrat,<br />

wo ein Liberalisierungsvorschlag <strong>der</strong> Kommission diskutiert wurde, konstruktiv<br />

an einer Lösung mitzuarbeiten. Frankreich machte mit dem sogenannten Alleinkäufersystem<br />

einen Alternativvorschlag, mit dem wettbewerbliche Elemente<br />

in das französische Elektrizitätsversorgungssystem leichter einzuführen waren.<br />

Als größter Stromexporteur <strong>der</strong> Gemeinschaft, von dessen Lieferungen einige<br />

Mitgliedstaaten abhängig sind, hatte sich Frankreich zuvor in einer guten Lage<br />

gesehen, den Kommissionsvorschlag einfach zu blockieren. <strong>Die</strong>se festgefahrene<br />

Situation geriet aber mit <strong>der</strong> Kommissionsdrohung in Bewegung, da eine ungesteuerte<br />

Liberalisierung für alle Akteure nachteiliger als eine legislative Einigung<br />

gewesen wäre. Angesichts <strong>der</strong> Gefahr einer fallweisen, richterrechtlichen Aufhebung<br />

<strong>der</strong> bestehenden Monopole, die zu einer sehr fragmentierten und unsicheren<br />

Rechtslage geführt hätte, erschien ein geordneter, gemeinsamer Übergang<br />

zu einer vertragskonformen Politik vorteilhafter. Schließlich konnte man sich<br />

Mitte 1996 nach langen Verhandlungen im Rat auf einen Kompromiss einigen,<br />

noch bevor das EuGH-Urteil erfolgt war. <strong>Die</strong> Regierungen durften darauf vertrauen,<br />

dass <strong>der</strong> EuGH in seinem Urteil wahrscheinlich nicht einer soeben nach<br />

langen Konflikten verabschiedeten Richtlinie völlig wi<strong>der</strong>sprechen würde.<br />

<strong>Die</strong> »Wahl des kleineren Übels« funktioniert, weil judikative Politik durch die<br />

Mitgliedstaaten legislativ nur schwer rückgängig zu machen ist. Da die Mitgliedstaaten<br />

den EG-Vertrag, <strong>der</strong> die Rückfallposition bildet, nur einstimmig än<strong>der</strong>n<br />

können, kann eine Min<strong>der</strong>heit und im Extremfall sogar eine einzelne Regierung<br />

gemeinsam mit <strong>der</strong> Kommission die zukünftige Politik bestimmen – solange

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