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Eine Brücke ... - Adolf-Reichwein-Verein

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sehen, auf dem sie vor einem Sanatorium stehen, allerdings<br />

ohne weitere Erklärung.<br />

Sohn Vitja war viermal kurz verheiratet und hat keine Kinder.<br />

Er lebt mit Vera in dem kleineren Haus (er ist kaum mit uns<br />

zusammen, ohne Erklärung). Saschka ist mit Ludmilla (Luda)<br />

verheiratet, einer immer<br />

freundlichen und hübschen<br />

Frau, mit der er zwei Töchter<br />

hat; sie leben in dem größeren,<br />

neueren der beiden Häuser,<br />

das nur eine Kochecke<br />

und keine sanitären Einrichtungen<br />

besitzt. Luda arbeitet<br />

im Haushalt, die jüngste Tochter<br />

Katharina (Katja) wohnt bei<br />

ihren Eltern und bei einem<br />

Freund in der Stadt, weil sie<br />

dort tagsüber studiert (Fernstudium)<br />

und nachts als<br />

Croupier im Casino arbeitet.<br />

Sie kam am Freitagabend<br />

kurz vorbei, so dass wir immerhin sehen konnten, dass sie<br />

blond und sehr hübsch ist. Die ältere Tochter Lilja lebt mit ihrem<br />

Mann und einem neunjährigen Sohn in der Stadt, wir haben<br />

sie aber nicht kennen gelernt.<br />

Ich darf in Katjas Zimmer und in ihrem Bett schlafen. Roland<br />

wird das Ehebett von Saschka und Luda überlassen, die in<br />

Veras älterem Häuschen übernachten.<br />

Saschka arbeitet in der Nähe bei den eingezäunten Datschen<br />

als Nachtwächter, Hausmeister und Techniker (auch an der<br />

Wasserpumpe am Fluss). Er besitzt zwei Datschen, eine mit<br />

und eine ohne Wasserleitung, und will die zweite verkaufen.<br />

Er hat auch ein altes Auto (mit einem großen Sprung in der<br />

Frontscheibe) und fährt uns zweimal in die Stadt, zur Schule<br />

und zum Bahnhof (dort ist es allerdings unmöglich, für uns eine<br />

Bahnfahrkarte nach Kiew zu bekommen). Er transportiert<br />

auch unsere wunderbare Dolmetscherin Viktoria von und in<br />

ihre weit entfernte Wohnung.<br />

Veras Haus ist sehr einfach, gemütlich und warm, voller Erinnerungsstücke<br />

und Fotos von sich und ihrem Mann. Dieses<br />

zweite, kleinere, unverputzte Haus stammt noch von Veras<br />

Eltern und hat eine richtige Küche und ein eingebautes Badezimmer<br />

mit WC. Das Bad hat ein primitives Wasserleitungssystem,<br />

nur einen Wasserhahn an der Badewanne und statt<br />

Spülkasten an der Toilette nur einen Hahn am Leitungsrohr.<br />

Außerdem gibt es noch ein separates �Plumpsklo� außerhalb<br />

10<br />

Nr. 4 / April 2004<br />

des Hauses.<br />

Zum Haus führt eine dicke, abenteuerliche Gasleitung auf<br />

Stützen. Vera besitzt auch einen Fernseher, vor dem hauptsächlich<br />

Vitja viel Zeit verbringt. Ihr eigenes Zimmer ist vollständig<br />

mit bunten Teppichen ausgeschlagen und wirkt sehr<br />

heiter, lebendig und gemütlich.<br />

Vera ist eine vorbildliche Gastgeberin und um unser leibliches<br />

Wohl sehr besorgt. Sie tischt uns mehr Fleisch und Schnaps<br />

auf, als wir wollen, bzw. vertragen, dazu Salat aus dem Garten.<br />

Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass Rolands Kaffeemilch<br />

Ziegenmilch ist. Stolz präsentiert uns Vera später die<br />

Ziege, die sie neben Hühnern, Enten, Gänsen (eine landet auf<br />

unserem Mittagstisch), Katzen und einem liebenswerten kleinen<br />

�Wach�-Hund besitzt. Die Ziege ist angepflockt auf der<br />

Wiese unten am Fluss, ein hübsches Tier, das täglich etwa<br />

vier Liter Milch gibt. Vera besitzt und bearbeitet auch einen<br />

separaten Kartoffelacker.<br />

Vera schämt sich etwas, weil sie vor nicht langer Zeit viele ihrer<br />

letzten schönen Zähne verloren hat, was wir nur bemerken,<br />

wenn sie herzhaft lacht. Dennoch lacht sie gern und häufig.<br />

Dann blitzt es goldfarben aus ihrem Mund. Sie sieht noch<br />

immer gut aus, hat diese schönen lebendigen, dunklen Augen,<br />

ist einfühlsam und direkt, lebenserfahren und klug, dazu<br />

sehr warmherzig, unsentimental und humorvoll. Immer wieder<br />

sagt sie, dass ich unserer Mutter so ähnlich sei und Roland<br />

seinem Vater. Er sei ein lieber Junge gewesen, der gerne in<br />

ihrer Nähe war und Roland fügt bestätigend hinzu, dass er<br />

immer ihre Nähe gesucht habe, weil er sie sehr gern hatte.<br />

Da Vera die deutsche Sprache nicht mehr beherrscht, sind wir<br />

überrascht und hocherfreut, ihr nach und nach doch noch einige<br />

Wörter entlocken zu können. Beim Zeigen meiner mitgebrachten<br />

Fotos von der Familie und beim Anblick unseres<br />

�Hexenhäuschens� auf Hiddensee stößt sie freudig und spontan<br />

das Wort �Vitte� hervor ! Weitere deutsche Wörter, an die<br />

sich Vera noch erinnern kann, sind: Stinkerkäse, Teller, Messer,<br />

Gabel, Löffel, Familie, Tisch, Stuhl, Flöte (Mutter spielte<br />

Flöte), Torte, Weihnachtsbaum, �ich sage�, �mir schreiben�<br />

und das Lied �Alle meine Entchen ...� Dieses Lied haben wir<br />

mindestens noch zweimal gemeinsam gesungen.<br />

Wir haben gutes Wetter mit viel Sonnenschein und Wärme,<br />

während es in Deutschland kalt ist. Wir gehen über die naturgeschützten<br />

Hügel am Fluss und zu den Datschen spazieren<br />

und haben den Eindruck, dass die Luft hier gut ist, was eigentlich<br />

nicht so sein sollte, denn noch immer sind hier etwa<br />

elf Eisenerzgruben und -hütten von ehemals 100 in Betrieb.<br />

Besuch in einer ukrainischen Schule<br />

Wir hatten auch die Gelegenheit, eine ukrainische Schule zu<br />

besuchen. Unsere Dolmetscherin Viktoria unterrichtet<br />

Deutsch von der ersten bis elften (Abschluss-) Klasse an der<br />

zweisprachigen staatlichen Schule in Krivoi Rog. Wir folgen<br />

gerne ihrer Einladung, sie, ihre noch junge Schulleiterin, ihre<br />

Kollegen und die sehr lebendigen, fröhlichen Schüler am Freitagmorgen<br />

zu besuchen. Zu unserer Überraschung werden<br />

wir von allen wie VIPs in deutscher Sprache empfangen, vorgestellt,<br />

interviewt, bewirtet und schließlich wieder entsprechend<br />

verabschiedet (von den Kindern wie von Autogrammjägern<br />

umringt). Noch am gleichen Tag kaufen wir in einem Elektro-Supermarkt<br />

für Vera ein Handy, auch, damit wir in Zukunft<br />

bequemer den Kontakt zu ihr halten können (weiterhin<br />

mit Viktorias Unterstützung). Dieser Laden unterscheidet sich<br />

kaum noch von den unsrigen. Sohn Saschka, der das Handy<br />

übernimmt, ist überglücklich und wir sehr erleichtert, neben

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