Eine Brücke ... - Adolf-Reichwein-Verein
Eine Brücke ... - Adolf-Reichwein-Verein
Eine Brücke ... - Adolf-Reichwein-Verein
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
knüpft sich.... um die Jahrhundertwende.... an zwei Faktoren,<br />
nämlich an die bahnbrechenden naturwissenschaftlichen Lehren,<br />
die von den Kathedern seiner Hochschule aus verkündet<br />
werden, und an die weltumspannende Entwicklung des Zeißund<br />
des Glaswerkes mit ihren interessanten sozialen und<br />
Wohlfahrtseinrichtungen.... Jena beansprucht von jeher im<br />
deutschen Geistesleben einen Namen, der an das Wirken der<br />
überragendsten und in ihrer jeweiligen Zeit modernsten Geister<br />
anknüpft. Demgegenüber kann man nur bedauern, dass<br />
modernes Geistesleben sich hier noch nicht in der Form konsolidieren<br />
konnte, dass es zur Gründung einer Oberrealschule<br />
gekommen wäre. Neben die humanistische Bildungsstätte....<br />
auch eine realistische zu stellen, erscheint daher als eine im<br />
Rufe unserer Stadt begründete unabweisbare Notwendigkeit."<br />
Als der neu berufene Direktor der Oberrealschule, Herr Dr.<br />
Lietzmann, am 22. April 1914 ans Rednerpult trat, formulierte<br />
er die Bildungs- und Erziehungsinhalte. Die wichtigste Aufgabe<br />
sei "die Erziehung zur Persönlichkeit�... den Samen für eine<br />
in sich gefestigte Lebensauffassung solle die Schule legen,<br />
das Streben nach einem Verstehen des Weltgeschehens solle<br />
sie wecken, und .... eine bewusst geübte, auf eigene Überzeugung<br />
gegründete Lebenspraxis zur Gewohnheit machen."<br />
(Das klingt schon sehr wie <strong>Reichwein</strong>...). Lietzmann nannte<br />
als wichtige, wesentliche Lehrinhalte und Unterrichtsfächer<br />
die profilbestimmenden naturwissenschaftlich-technischen<br />
Unterrichtsfächer, die religiös-ethische Unterweisung, die<br />
deutsche Sprache, Kultur und Geschichte, die Sprache, Kultur<br />
und Geschichte der führenden Länder und Nationen Europas<br />
und der Welt, und nicht zuletzt die Antike �als Quell des geistigen<br />
Lebens ...� Dr. Lietzmanns Rede gipfelte in einem Bekenntnis<br />
zu Jena: �Des Vaterlandes jäher Fall und kraftvolles<br />
Erwachen ist ewig mit dem Namen Jena verknüpft. In keiner<br />
anderen Stadt des Geistes hat sich die Gedankenfreiheit in so<br />
verschiedener Richtung betätigen dürfen, wie hier in Jena.<br />
Nirgends kann man eine so wahre und vernünftige Freiheit<br />
genießen als in Jena, hat Schiller einmal gesagt."<br />
Im April 1914 eröffnet, erlitt die mit großen Hoffnungen versehene<br />
Einrichtung eine andere �realistische� Qualität � In beiden<br />
Weltkriegen fungierte sie als Lazarett, im März 1945 traf<br />
das Haus eine Bombe ( mit glücklicherweise nur geringfügiger<br />
Beschädigung im Kellerbereich), zwischen 1945 und 1947<br />
diente die Schule zunächst der amerikanischen, später der<br />
sowjetischen Militäradministration als Quartier. Die äußere<br />
Fassade zeigt noch heute Einschusslöcher, bei Sanierungsarbeiten<br />
haben wir noch vor drei Jahren Kalaschnikow-<br />
Munition gefunden.<br />
1947 wurde die Schule als �Einheitsschule Nr. 4� (mit gymnasialem<br />
Zweig � also mit Schülerinnen und Schülern der Klassen<br />
1 bis 12) wiedereröffnet, 1951 wurde ihr der Name <strong>Adolf</strong><br />
<strong>Reichwein</strong>s verliehen, nahezu zeitgleich einher ging die<br />
Gleichschaltung des Bildungssystems der ehemaligen DDR,<br />
also auch die Schließung der Universitätsschule Petersens,<br />
1957 wurde der gymnasiale Zweig aufgelöst, die Schule zur<br />
Polytechnischen Oberschule deklariert mit einem eigenständigen<br />
Teil mit erweitertem Russischunterricht, d. h.: Die Schülerinnen<br />
und Schüler begannen ab Klasse 3 mit dem Russischunterricht<br />
und erwarben in diesem Fach in Klasse 10 das<br />
45<br />
Nr. 4 / April 2004<br />
Abitur. Die meisten Absolventen dieses Zweigs erhielten auch<br />
einen Platz an der Erweiterten Oberschule, also die Möglichkeit,<br />
das Abitur in toto zu erwerben. In dieser Zeit lag die Übertrittsquote<br />
in Jena bei ca. 11 % - heute sind es 55 %.<br />
1991 wurde die ARO (<strong>Adolf</strong>-<strong>Reichwein</strong>-Oberschule) zum <strong>Adolf</strong>-<strong>Reichwein</strong>-Gymnasium,<br />
der Name wurde 1992 nach intensiver<br />
Diskussion von Schülerinnen, Schülern, Eltern, Lehrerinnen<br />
und Lehrern bestätigt, wohl eher aus Hochachtung<br />
gegenüber einer insgesamt überzeugenden Persönlichkeit<br />
denn aus Kenntnis seiner pädagogischen Ansätze und Ziele:<br />
Hatte das Gymnasium doch gerade erst seine Werkräume<br />
entsorgt. Aus der Tradition des erweiterten Russisch-<br />
Unterrichts sollte sich ein sprachliches, humanistisches Gymnasium<br />
entwickeln. Erste Fremdsprache neben Englisch war<br />
Latein, in den Klassen 9 und 10 gab es einen musischkünstlerischen<br />
Zweig, der bildende Kunst, Schauspiel und<br />
Musik mit fünf Wochenstunden (alternativ zur dritten Fremdsprache)<br />
in besonderer Weise pflegte.<br />
Inzwischen ist der wendebedingte Geburtenknick an den<br />
Gymnasien der Stadt angekommen: Fünf Gymnasien umwerben<br />
120 übertrittsfähige Abgänger der Klassenstufe 4. Immerhin,<br />
wir haben fürs kommende Schuljahr 42 Anmeldungen,<br />
davon werden mindestens zehn Doppelanmeldungen<br />
sein. Aber zwei Klassen werden es wohl, zumal wir an einem<br />
Schulversuch des Freistaates Thüringen beteiligt sind, bei<br />
dem eine zweite Fremdsprache (bei uns Latein oder Französisch)<br />
bereits in der fünften Klasse unterrichtet wird. Den musischen<br />
Zweig mussten wir aufgeben, dafür den naturwissenschaftlichen<br />
ausbauen: Der Trend ist unverkennbar, folgt den<br />
Problemen Deutschlands: Ingenieure haben deutlich bessere<br />
Berufschancen.<br />
Will man Schullandschaften in den Beitrittsländern begreifen,<br />
muss über Sanierungsstau, angesammelt in 40 Jahren DDR,<br />
gesprochen werden: 100 Millionen Euro für die Schulen der<br />
Stadt, 3,5 Millionen für unser Haus. Dach und Heizung sind<br />
neu, die Fenster noch aus Kaisers Zeiten und sorgen für entsprechend<br />
teure Energieverluste...<br />
Aber: Die Unterrichtsräume sind überwiegend freundlich, die<br />
naturwissenschaftlichen auf zeitgemäßem Niveau, mehr als<br />
40 PC�s stehen den Schülerinnen und Schülern auch über die<br />
Unterrichtszeiten hinaus zur individuellen Nutzung zur Verfügung,<br />
die Bibliothek ist täglich von 7.00 bis 16.00 Uhr geöffnet,<br />
im Keller gibt es eine Keramikwerkstatt, die Aula ist mittels<br />
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) ein Prachtstück<br />
geworden, gerade bauen wir eine neue Theaterbühne, denn<br />
die Musen stehen noch immer hoch im Kurs: Mindestens zwei<br />
große Theateraufführungen gibt�s pro Jahr, mindestens drei<br />
Chorkonzerte und als Spezialität: Die �Liebeserklärung an die<br />
Kunst�, in der Schülerinnen und Schülern an zwei Abenden<br />
ihre ganz individuell vorbereiteten Auftritte genießen � literarisch,<br />
musikalisch und mit der Präsentation eigener Bilder.<br />
Die Geschichte einer Schule, Geschichten einer Schule könnten<br />
möglicherweise Bücher füllen. Uns geht es darum, den<br />
Spannungsbogen zu begreifen und zu deuten, der sich um ein<br />
und in einem �historischen Gemäuer� dokumentiert.