Nr. 39, Januar - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Nr. 39, Januar - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Nr. 39, Januar - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ERFAHRUNGSBERICHT<br />
Wie Laura mit „Schwung“<br />
Fahrradfahren lernte<br />
Zu ihrem fünften Geburtstag bekam<br />
Laura ein Fahrrad der Größe 16, das<br />
dann leider die meiste Zeit in der Garage<br />
stand. Auch das Fahrrad mit Stützrädern<br />
fand Laura eine wackelige Angelegenheit.<br />
Jedenfalls behagte ihr das<br />
Ganze nicht und sie war – wenn überhaupt<br />
– nur sehr schwer zu bewegen,<br />
sich auf das Fahrrad zu setzen und zu<br />
fahren. Als wir dann eineinhalb Jahre<br />
später einen Funtrailer (das ist ein angehängtes<br />
zweites Tandem-Rad) kauften,<br />
war ihr kleines Fahrrad gänzlich<br />
abgeschrieben. In diesem Sommer nun<br />
stellte sich die Frage, was ist, wenn Laura<br />
zu groß für den Funtrailer ist, was<br />
wahrscheinlich im nächsten Jahr der<br />
Fall sein wird. Unsere so geschätzte Mobilität<br />
hier zu Hause in der Rheinebene<br />
wie auch im Urlaub an der Nordsee nun<br />
dahin? Kaum daran zu denken! Im Juli<br />
erzählten uns dann Freunde, wie ihre<br />
nicht behinderten Kinder das Fahrradfahren<br />
gelernt hatten. Gleich am nächsten<br />
Tag setzten wir das Gehörte in die<br />
Tat um, und das ging so:<br />
1. Stützräder abmontieren, die behindern<br />
nur.<br />
2. Sattel und Lenkstange so weit<br />
nach unten machen, dass Laura,<br />
wenn sie auf dem Sattel sitzt, mit<br />
beiden Füßen gut auf dem Boden<br />
stehen kann.<br />
3. Die Pedale abschrauben.<br />
Und dann fing Laura mit Begeisterung<br />
an, Fahrrad „zu laufen“. Nach einer<br />
Weile begann sie, sich mit beiden<br />
Füßen gleichzeitig abzustoßen und die<br />
Beine dann hochzunehmen. Dabei bekam<br />
sie immer mehr „Schwung“ und<br />
die Ausrollphasen wurden so immer<br />
länger. Laura bereitete es zunehmend<br />
Spaß und wir feuerten sie zwischendurch<br />
an: „Eins, zwei, drei, und<br />
Schwuuuung!“ Strahlend und stolz kam<br />
sie zu uns zurückgerollt. Nach einiger<br />
Zeit rollte sie um die Kurve, im Kreis,<br />
über die Bordsteinkante usw. Auf dieser<br />
Art und Weise machten wir kleine Fahrradtouren<br />
und kamen so mit „Schwung“<br />
immer ein Stück weiter. Bei einer dieser<br />
Gelegenheiten sagte ich zu Laura: „Du<br />
könntest statt die Beine immer hoch zu<br />
halten, sie auf die Pedale stellen. Das ist<br />
nicht so anstrengend.“ „Okay!“, antwor-<br />
54 Leben mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>39</strong>, Jan. 2002<br />
tete sie. Zu Hause montierten wir die Pedale<br />
wieder dran, denn die hatten wir<br />
am Anfang der ganzen Übung ja abgeschraubt,<br />
damit Laura beim Abstoßen<br />
sich mit den Waden nicht an den Pedalen<br />
stieß und wehtat. Also, gesagt, getan!<br />
Und dann setzte sich Laura aufs<br />
Fahrrad, holte Schwung, stellte die Füße<br />
auf die Pedale und treppelte los. Wir<br />
standen da und konnten fast nicht glauben,<br />
was wir sahen. Laura konnte Fahrrad<br />
fahren! Und das genau vier Tage vor<br />
ihrem zehnten Geburtstag! Wir haben<br />
nach ein paar Tagen Lenker und Sattel<br />
wieder so hoch wie möglich geschraubt,<br />
aber immer noch so, dass Laura mit beiden<br />
Füßen auf den Boden kommt, denn<br />
zum Losfahren stößt sie sich noch ab.<br />
Zum Bremsen benutzt sie richtig die<br />
Handbremse und nimmt erst wenn sie<br />
steht die Füße runter. Wichtig ist jedoch<br />
vor allem, dass Laura, wenn sie unsicher<br />
ist, die Füße auf den Boden stellen<br />
kann.<br />
Darum werden wir auch erst im<br />
Frühjahr auf ein Fahrrad für ihre Größe<br />
umsteigen. Auf diese schwungvolle Weise<br />
hat Laura in drei Monaten das Fahrradfahren<br />
gelernt und unsere Fahrradtouren<br />
betragen schon einige Kilometer<br />
– allerdings noch auf geteerten Wegen.<br />
Zum Glück gibt es davon bei uns genug.<br />
Der einzige (nicht wirkliche) Nachteil<br />
ist, dass Laura jetzt noch schneller, noch<br />
weiter weglaufen bzw. jetzt wegfahren<br />
könnte. Aber tatsächlich ist es so, dass<br />
sie die mit ihr gemeinsam festgesetzten<br />
Grenzen am jeweiligen Ende unserer<br />
Straße einhält.<br />
Wir hoffen und wünschen, dass auf<br />
diese Weise noch viele andere Kinder<br />
das Fahrradfahren lernen.<br />
E. Fischer, Karlsdorf<br />
Kommunionfeier<br />
in der Gemeinde<br />
Unser Andre (neun Jahre) hatte in<br />
diesem Jahr das schöne Fest der<br />
heiligen Kommunion. Und es wurde ein<br />
besonderes Fest, anders als bei unserem<br />
großen Sohn. Schon die Vorbereitungen<br />
waren eine Herausforderung,<br />
besonders für mich als Mutter. Ich wollte<br />
gern, dass das Fest bei uns in der Gemeinde<br />
stattfinden würde. Andererseits<br />
strebte die Schule, die Andre besucht,<br />
eine eigene interne Kommunionfeier für<br />
die Kinder mit einer Behinderung an.<br />
Wir entschieden uns für den „normalen“<br />
Weg in der Gemeinde. Für manche<br />
unfassbar, für viele selbstverständlich.<br />
Ich ging voller Optimismus an die<br />
Sache ran. Aber die erste Schwierigkeit<br />
gab es schon, als die Gruppen für den<br />
Kommunionsunterricht gebildet wurden.<br />
Keiner traute sich die Situation zu,<br />
ein Kind mit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> in der<br />
Gruppe zu haben. Mir blieb nichts anderes<br />
übrig, als selbst mit in die Gruppe<br />
als Gruppenmutter zu gehen. Mein Gedanke<br />
war es eigentlich gewesen, ihn alleine<br />
in die Gruppenstunde zu schicken,<br />
um ihm zu zeigen, dass ich ihm das zum<br />
einen zutraue und damit auch eine gewisse<br />
Selbstverständlichkeit zu zeigen.<br />
Nachdem also die Mütter alle unsicher<br />
waren, entschloss ich mich, mit einer<br />
Mutter die Gruppe mit Andre und drei<br />
weiteren Jungs zu übernehmen.<br />
Die ersten Stunden waren für mich<br />
grausam, denn die Kinder hielten eine<br />
sehr große Distanz zu Andre, und das<br />
obwohl sie drei Jahre mit ihm im Kindergarten<br />
waren, was dank einer kompetenten<br />
Erzieherin auch sehr gut geklappt<br />
hatte. Deshalb hatte ich mir, was<br />
die Integration betraf, gar keine Sorgen