D E R S T O C K S A M M L E R - Injuka Kunst
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Fünf Stockmachereien, die sich nach der Wende zu einer Vertriebsmanufaktur<br />
zusammentaten, halten im thüringischen Eichsfelddorf Lindewerra<br />
eine einzigartige Tradition aufrecht.<br />
Ein<br />
Dorf<br />
geht<br />
am<br />
Stock<br />
"Der Deutsche geht nicht mehr am Stock",<br />
bedauert Wolfgang Geyer. Der älteste Begleiter des<br />
Menschen, der ihm über hunderttausende Jahre<br />
Gehhilfe, Waffe und Werkzeug war, sei immer<br />
weniger gefragt. Dabei sei ein Mann ohne Stock<br />
noch vor gar nicht langer Zeit in der Öffentlichkeit<br />
undenkbar gewesen, sinniert er.<br />
Wolfgang Geyer muss indes nicht über<br />
Gebühr klagen. Wo er zu Hause ist, lebt noch immer<br />
fast jeder Zehnte nicht am, sondern vom Stock. Das<br />
nordthüringische Lindewerra blickt auf eine Tradition<br />
zurück, wie sie wohl nicht nur in Deutschland einmalig<br />
ist. Noch in den 60er Jahren arbeiteten in dem<br />
230-Seelen-Dorf 30 Stockmachereien. Sie fertigten<br />
im Jahr eine halbe Million Wander-, Spazier-,<br />
Kranken-, Ski- oder Jagdstöcke. 90 Prozent gingen in<br />
alle Welt, erinnert sich Geyer. Der 50-Jährige führt in<br />
vierter Generation eine Stockmacherwerkstatt. Auch<br />
Vater Hugo (78) und Sohn Michael (28) arbeiten im<br />
kleinen Familienbetrieb.<br />
Alle Werkstätten fußen übrigens auf einen<br />
gemeinsamen ideellen Gründer. Der hieß Wilhelm<br />
Ludwig Wagner und wanderte 1836 aus Hessen ins<br />
Eichsfeld ein. Da stieß er am Höheberg bei<br />
Lindewerra auf Eichenwaldungen, die zur Gerbsäuregewinnung<br />
entrindet worden waren. Obgleich<br />
damit dem Tode geweiht, sprossen aus ihrem<br />
Wurzelstock Ausschlagungen, die der Stockmacher<br />
als bestes Material ausmachte. Er ließ sich nieder<br />
und verbreitete seine <strong>Kunst</strong> alsbald im Ort.<br />
Wie zu Wagners Zeiten entstehe noch heute<br />
Noble Gehhilfen aus Ebenholz,<br />
verziert mit silbernen Griffen<br />
und Pferde- oder Löwenköpfen,<br />
liefert Lindewerra vor allem englischen<br />
Lords. "800 Mark muss<br />
einer dafür schon ausgeben",<br />
weiß Stockmacherrmeister<br />
Wolfgang Geyer.<br />
jeder Stock per Hand, erzählt Gerhard Rossi, ein<br />
anderer Meister. 30 Arbeitsgänge seien nötig - vom<br />
Biegen und Richten über Oberflächenbehandlung bis<br />
zum Komplettieren mit Spitze, Knauf oder Horngriff.<br />
Statt Eichenholz verwendeten sie nun aber<br />
meist Edelkastanie, die sie in der Türkei und Spanien<br />
kaufen. "Kastanie lässt sich gut verarbeiten, ist lange<br />
haltbar, preisgünstig und leichter als Eiche", so Rossi.<br />
Krankenstöcke entstehen dagegen aus stabilem<br />
Buchenschnittholz, ergänzt Geyer. Die Bretter werden<br />
zu Stäben geschnitten und die dann konisch gehobelt.<br />
Schmunzelnd verweist er auf die beiden<br />
gängigen Griffarten für Krankenstöcke: den nach dem<br />
alten Preußenkönig benannten geraden "Fritzgriff",<br />
der mit Holzzapfen am Stab stabil verleimt werde,<br />
sowie den geschwungenen Derbygriff.<br />
Fünf Stockmachereien arbeiten heute im Ort.<br />
Um sich nicht Konkurrenz zu machen, spezialisierten<br />
sie sich. Einer mache Spazier-und Wanderstöcke,<br />
andere legten ihren Schwerpunkt auf Krankenstöcke<br />
oder jagdliches Zubehör.<br />
Er leitet zugleich die 1990 gegründete<br />
Stockmanufaktur Lindewerra. Hierin taten sich die<br />
Meister zusammen, um nach Wegbrechen des<br />
staatlichen Außenhandels Einkauf, Versand, Verkauf<br />
und Messepräsentation rentabel in eigene Hände zu<br />
nehmen. Damals seien sie noch sieben Betriebe<br />
gewesen, erinnert sich Geyer. Doch ältere Kollegen,<br />
denen Nachwuchs fehlte, haben seither aufgegeben.<br />
Inzwischen ist Stockmacher nach abruptem<br />
Wendebruch auch wieder Ausbildungsberuf.<br />
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